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Lolita aus Judäa

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Julius Korngold, der Unfehlbare von der „Neuen Freien Presse“, hatte nach der verspäteten Wiener „Salome“-Premiere im Volkstheater ein baldiges Ende ihrer Bühnenkarriere vorausgesagt — und nun wird sie bald siebzig! — Mahler sprach von einem genialen, sehr starken Werk: „Es arbeitet und lebt da unter einer Menge Schutt ein Vulcan, ein unterirdisches Feuer — nicht ein bloßes Feuerwerk!“ Wir würden unsere Einwände heute vielleicht anders formulieren und von Flitter und Süßholz sprechen, die sich neben künstlerisch bedeutenden Passagen (sowie dem ganzen etwa eine Viertelstunde dauernden Schlußteil) in dieser Partitur finden. Aber bedenkt man die Zeit, in der das Strauss-Werk entstand — die Jahre 1903 bis 1905 —, so bleibt der Eindruck von Genialität im Farbenspiel des Orchesters, die neue Palette, mit der hier einer arbeitet. Diese Farben werden atmosphärisch entwickelt, sie verdichten sich und zerfließen, kontrastieren mit Gegenfarben, durchdringen einander und erzeugen so eine „Kontrapunktik des Klanges'', auf die der frühverstorbene Münchner Musikkritiker Alexander Berrsche hingewiesen hat. Damit kontrastiert die blitzartige aphoristische Sprache der Motive und die Einbindung aller dieser Komponenten in große musikdramatische Komplexe.

Christoph von Dohnänyi, Jahrgang 1929, an dessen bescheidene Wiener Anfänge wir uns noch gut erinnern, seit 1968 Generalmusikdirektor in

Frankfurt, war vor allem bestrebt, die Gefahren des Strauss'schen Kontrapunkts von den Sängern abzuwenden und sie auch dynamisch nicht zuzudecken. In dieser Hinsicht brauchte er für Anja Silja nichts zu fürchten. Sie war stimmlich in guter Form und spielte die Salome faszinierend richtig: im ersten Teil als kindlich-neugierige Lolita von Judäa, in der Schlußszene als Tragödin von Format. Das Kostüm, das Wieland Wagner in seiner Inszenierung für die Herodias-Tochter vorgeschrieben hat, kann nur die Silja tragen. Von hinten — und man sieht sie oft so agieren — gleicht sie einer schlanken Athletin. Um sie gruppiert: ein Ensemble schön singender und gut aussehender Rollenträger: Gerhard Stolze und Ruth Hesse als Tetrarchenpaar, Hans-Günther Nöcker — Jochanaan, Gerhard Ungar — Narraboth und Ger-trude Jahn — Page. Das zu Beginn ein wenig schwunglos spielende Orchester erwärmte sich unter Doh-nänyis Leitung immer mehr, war präzise und klangschön. Wieland Wagners Inszenierung, vor allem das Bühnenbild, hat uns bei der Premiere besser gefallen. Der Über-raschungs- und Schockeffekt ist überwunden, und jetzt sieht man auch seine Schwächen: vor allem im zweiten Teil, wo allzuviel Dekoratives „abgeräumt“ ist. Denn zu dieser stilisierten Nüchternheit, zu dem großen leeren Innenraum, paßt die Musik nicht mehr.

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