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Lolita der Antike

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Salzburgs- Festspiele und Richard Strauss’ Opern gehören zwar untrennbar zusammen, wie auch Strauss’ Werke aus Herbert von Karąjans Lebenswerk nicht wegzudenken sind. Und doch ist die Meisteroper „Salome” hier noch nie aufgeführt worden; wie Karajan das Werk an die zwei Jahrzehnte lang nicht dirigiert hat. Der Grund ist wohl in Karajans Vorstellungen von diesem Drama übersteigerter Leidenschaften, übersteigerter Phantasie, übersteigerter Ansprüche zu suchen. Ich glaube, fast fünfzehn Jahre lang hat er an einem Konzept gefeilt,, ohne freilich eine Sängerin gefunden zu haben, die dieses naiv-zügellose Geschöpf, eine Lolita der Antike, darstellen könnte. Doch jetzt hat er sie gefunden: Hildegard Behrens. Und rund um sie hat er ein „Salome”-Ensemble gruppiert, das für die nächsten Jahre Maßstäbe setzt.

Man muß sich allerdings von vielen gewohnten Vorstellungen trennen. Denn Karajan, der diese Gala im Großen Festspielhaus musikalisch und als Regisseur betreute, bemüht sich Klischees zu umgehen und seine sehr persönliche Sicht auszuformen. Aber sie bedeutet vor allem: Eiseskälte. Todeskälte. Sinnlichkeit gefriert. Und genau das macht Hildegard Behrens spürbar. Ein traumwandelndes Wesen, wie alle an diesem Hof des Te- trachen Herodes Antipas angekettet an das kalte Mondsymbol, also in allen Bedeutungsschichten wahrhaft mondsüchtig.

Was sie von einer Herodias unterscheidet, ist der Hauch des Naiven, die Vorstellung, daß alles ihr als Spielzeug der Launen dienen könnte: der in sie verliebte Syrer Narraboth, dessen Selbstmord sie nicht beachtet, wie der heilige Prophet oder auch dessen abgeschlagener Kopf… Und mit ihrer schönen, glasklaren lyrischen Sopranstimme steigert Hildegard Behrens die Partie von der kleinen Laune bis zur Hysterie. Lusterfüllung um jeden Preis, auch wenn sie den Tod anderer oder den eigenen als Folge hat. Karajans Regie stößt da merkbar zum zwielichtigen Text Oscar Wildes vor, dessen Vorstellungen von einem ästhetischen Gewissen und der Befreiung des Lebens von der bürgerlichen Moral das Werk prägen. Der Tanz der sieben

Schleier (von Heidrun Schwarz mit eminentem Feingefühl choreogra- phiert und gestaltet) ist dabei der Wendepunkt. Sie ist erst danach ganz Frau, Verkörperung eines dämonischen Todeswillens. Was Karąjan eigentlich mit höchst sparsamem Spiel andeutet.

Unterschiedlich wirkt Karąjans Personenführung bei den anderen Figuren (manche heiklen Details scheinen mir da nicht genügend durchdacht): Klug etwa der Versuch, Herodias erstmals als eine junge, den König noch immer fesselnde Frau-von knabenhafter Schlankheit darzustellen. Agnes Baltsa singt diese Partie eigentlich zu schön, mit zuviel Wohllaut und zu kostbarem Timbre. Immerhin versucht sie das Vulgäre der’ Herodias- partie hervorzukehren. Unmißverständlich ihr Verhältnis zu einer Sklavin, unmißverständlich auch ihr Girren um die Männer des Hofstaats.-.. Intensiv und nervös schillernd das Judenquintett Gespalten und haltlos das Wesen des Herodes Karl Walter Böhms, der die Partie besonders schön singt. Zu einfach hat es sich Karajan beim Propheten Jochanaan (Jose van Dam) gemacht: er läßt ihn zur Statue erstarren. Schlecht geführt sind Narraboth (der auch stimmlich etwas enttäuschende Wieslav Ochmann) und der Page (Heljä Angervo); alle Versuche der beiden, aus ihrer Vereinsamung herauszufinden, wie den Selbstmord des Syrers, verlegt Karąjan zu sehr in den Hintergrund. Als ob es Nebenereignisse wären.

Günther Schneider-Siemssen baute ein reizvolles Bühnenbild: Grottenhaft irisierend das Innere des Palasts; außen ein Haus des Todes, zernagt, ausgehöhlt, zerfallend. Eine Treppenspiraleführt hinunter zur Zisterne Jo- chanaans. Eine Aussichtsrampe schwingt durch die linke Bühnenhälfte. Die Dimensionen der Salzburger Festspielhausbühne sind jedenfalls sehr sicher bewältigt.

Das Ereignis des Abends war allerdings Karajan selbst mit den Wiener Philharmonikern. Eine Orgie des Raunens und Schillerns, der rieselnden Edelsteine und betörenden Wohlgerüche, der aufgedonnerten Pracht und hektischen Unruhe. Ich kann mir Strauss nicht sinnlicher gestaltet vorstellen.

Mit gleicher Intensität dirigierte Karąjan übrigens auch die Reprise von Verdis „Don Carlos”, die in der Glanzbesetzung vom Vorjahr wiederholt wurde. Mit einer Ausnahme: Placido Domingo sang diesmal die Titelpartie. Berückend schön, mit warm getöntem Wohllaut. Sein Carlos ist allerdings vi-, taler als der von Josė Carreras, der das Neurotische der Partie deutlicher gemacht hat.

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