6953834-1984_22_07.jpg
Digital In Arbeit

London kapituliert vor dem Nordirland-Problem

Werbung
Werbung
Werbung

Von einem Abflauen des Terrors auf Nordirlands Straßen ist in diesen Tagen nicht das geringste Anzeichen zu bemerken. Im Gegenteil: Die Statistik sprach am 19./20. Mai vom blutigsten Wochenende der letzten zwei Jahre und registrierte vier Tote und zwei Dutzend Verletzte. Dahinter steht die Strategie der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und sinnverwandter Organisationen.

Seit Anfang Mai der lange erwartete Bericht des sogenannten „Neuen Irischen Forums" in Dublin erschienen ist, mehrt sich der Protest durch Kugel und Dynamit. Die unbeugsame Uberzeugung, nur ein vereintes Irland habe ein Recht auf die Zukunft, die britische Krone habe auf ihr Souveränitätsrecht zu verzichten, führte schließlich zum permanenten Gewaltverbrechen.

Daneben hat IRA den politischen Kompagnon, die Sinn-Fein-Partei unter ihrem Führer Gerry Adams, in den Werbefeld-zug geschickt, um an der Wahlurne, also mit demokratischen Mitteln, Anhang zu gewinnen. Am 14. Juni gehen die Wahlen zum Europaparlament im Königreich über die Bühne. Sinn Fein will sich dabei zur stärksten Partei des katholisch-republikanischen Lagers etablieren und der bisher führenden „Sozialdemokratischen und Arbeiter-Partei" (SDLP) den Rang ablaufen.

Bisher hatte die Doppelstrategie von Stimmzettel und Bombe, von Terror und Einsatz demokratischer Mittel vollen Erfolg, freilich nur im Sinne ihrer Schöpfer. SDLP-Führer John Hume, Mitverfasser des Forums-Berichtes, bangt um seinen Sitz in Straßburg.

Aus der Republik selbst freilich kommt nicht allein Schützenhilfe für Katholiken im Norden, die für eine Vereinigung der beiden getrennten Teile der grünen Insel eintreten, und zwar auf dem Wege der Gewaltlosigkeit und auf dem Boden der Konstitution. Premier Fitzgerald von .der Fine-Gael-Partei und sein Vize Dick Spring, Führer von Labour, werden nicht müde, darauf zu drängen, den Bericht in seiner Gesamtheit zu sehen. Das will heißen, alle drei Lösungen-Vereinigung, Föderation und von London mit Dublin geteilte Souveränität über Ulster — seien zu berücksichtigen.

Oppositionsführer Charles Haughey, Führer der größten Partei Fianna Fail, hat seine Unterschrift unter den Report gesetzt, tritt aber nur allzu schnell aus der mühsam geschlossenen Reihe: Nur die Einheit sei erstrebenswert, alle anderen Vorschläge wären nichts weiter als rhetorischer Aufputz, um London zu gewinnen und Drittländern Objektivität zu demonstrieren.

Parteigenosse O'Malley, vormals Kabinettsminister, wurde postwendend ausgestoßen, nachdem er an Haughey Kritik geübt hatte. SDLP-Chef Hume im Norden hingegen, kommt Haugheys Querschuß in der Kampagne mehr als ungelegen.

Ulster-Unionisten wiederum sehen im Urnengang zum Europaparlament eine Demonstration der Provinz für den Weiterverbleib unter der Krone. Da Royali-sten und Protestanten Nordirland zu zwei Dritteln beherrschen, ist diese Art von Referendum ohne Schwierigkeiten zu präsentieren. Jede Abkehr vom Status quo ist für die Ulster-Protestanten inakzeptabel. An dieser Einstellung kann und wird sich nichts ändern, so viel Rücksicht auch auf die Königstreuen genommen wird.

Der Forums-Bericht verzichtet erstmals — und darin liegt ein bemerkenswertes Faktum — auf die Forderung nach Einheit sogar gegen den Widerstand der Unioni-sten. Der Bericht malt in aller Ausführlichkeit das Bild ziviler und rechtlicher Freiheiten, des Respektes vor kultureller Tradition, freilich ohne die geringste Aussicht, die Protestanten zu gewinnen.

So bleibt denn das Forums-Expose nur ein Diskussionsbeitrag zur Lösung des so schmerzlich aktuellen Ulster-Problems — ein Papier, das sich London zu Herzen nehmen sollte.

Westminster freilich wird sich erst nach dem 14. Juni zu einer Diskussion des Forums-Reportes bereitfinden. Die Botschaft, etwa eine Million Bürger aufzufordern, ihre Treue zur Krone aufzugeben und Bürger eines anderen Staates zu werden ist unter den gegebenen Umständen nichts weiter als Illusion.

So aussichtslos es klingt: Premierministerin Margaret Thatcher hat im eigentlichen Sinne kapituliert, Nordirland als das große unlösbare Problem in der britischen Politik akzeptiert. Diese Erkenntnis hat Nordirlandminister Jim Prior offensichtlich veranlaßt, von der Rückkehr ins Parlament, auf einen anderen Ministerposten oder auf die Hinterbänke der Regierungspartei zu reden. In den bald drei Jahren seiner politischen Führung Ulsters mußte Prior die Ausweglosigkeit erkennen.

Obwohl die offiziellen Unioni-sten nach sechs Monaten der Absenz von der nordirischen Versammlung, ein Geisteskind Priors, wieder zurückgekehrt sind und ihren Protest aufgegeben haben, sieht Prior wohl kaum etwas Sinnvolles, was er in der Provinz noch in die Wege leiten könnte. Daran sind schon fünf Vorgänger gescheitert, nachdem vor zwölf Jahren der Provinz die Selbstregierung genommen worden war. Und der Forumsbericht ist vornehmlich für Minister Prior eine Enttäuschung.

Pfarrer Ian Paisley und Co. predigen weiter ihr ewiges Verbleiben im Königreich. Aber selbst konziliante Protestanten sehen etwa aus wirtschaftlichen Gründen im Süden kaum noch den Anreiz, den Dublin zur Zeit seines kleinen Wirtschaftswunders in den Siebzigerjahren geboten hat. Heute ist die Republik eher noch schlechter dran als das geteüte Nachbargebiet: Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Inflation, hoffnungslose Auslandsverschuldung.

Die Intensivierung des ständig lebendigen Terrors verhärtet nur die Einstellung der auf die Krone eingeschworenen Protestanten. Ein neuerlicher Zulauf zur radikalen Partei von Gerry Adams, die Mord und Totschlag zur Verteidigung politischer Ziele gutheißt, fordert den Haß über die konfessionelle Grenze hinweg.

Was den Unionisten und ihren Gesinnungsfreunden vom Forum zugestanden worden ist — Konsens, freiwillige Zustimmung zu einer der drei Spielarten, die Teilung aufzuheben —, bleibt eine Illusion. London kann nichts mehr tun, als vor dem Problem kapitulieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung