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Losungen und Haßgefuhle

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Das Jüdische Dokumentationszentrum Wien untersucht derzeit antijüdische Affekte auf ihre Herkunft. Muß die Frage nach angemessenen kulturpolitischen Maßnahmen neu aufgeworfen werden?

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Das Jüdische Dokumentationszentrum Wien untersucht derzeit antijüdische Affekte auf ihre Herkunft. Muß die Frage nach angemessenen kulturpolitischen Maßnahmen neu aufgeworfen werden?

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Im Unterschied zu neueren österreichischen Veröffentlichungen über antijüdische Vorur-teüe sieht ein aktuelles Forschungsprojekt des Jüdischen Dokumentationszentrums ä - s hv Wien keine „Statistik“ heimischer Antisemiten vor.

Es geht hier vielmehr um die kritische Prüfung einer vorrangigen sozialwissenschaftlichen Erklärungsthese, die besagt, daß die Neigung zu solchen Vorurteilen primär auf kognitiven Lernprozessen beruhe und über kulturpolitische Maßnahmen zur kognitiven „Irrtums“-Berichtigung (also etwa durch historische Aufklärungsarbeit) hinlänglich therapierbar sei.

Eine entsprechende Alternativhypothese geht aufgrund vorliegender Primärquellen von den Annahmen aus, daß

• der Tendenz zum „antisemitischen Vorurteil“ in der Regel ein spezifisches Haßgefühl zugrunde hege, das zu verbergen die betreffenden Personen zumeist stark bestrebt seien, weswegen

• Antisemiten dazu neigen, ihre aggressiven Gefühle durch ein breitgestreutes Spektrum sprachlicher „Rationalisierungen“ (etwa „Vorurteile“ und pseudowissenschaftliche „Rassentheorien“, aber auch viele „antizionistische „Losungen“), die dem jeweiligen sozio-kulturellen und politischen Umfeld stets aufs neue angepaßt werden, zu kaschieren.

In diesem Zusammenhang erscheint die Verdrängung von Schuldgefühlen derzeit als hervorragendes taktisches Moment des bundesdeutschen und österreichischen Rechtsextremismus:

Während „verschämtere“ Propagandaformen mit Losungen und Parolen wie „Wir haben nur unsere Pflicht getan!“ oder „Unsere Väter waren keine Verbrecher!“ und „allüerter Vergasungsschwindel“ zumeist ihr Auslangen finden, bezwecken manifeste AntiJudaismen häufig eine Schuldprojektion der Täter und „Mitläufer“ auf die Gruppe der Opfer.

Zur Verdeutlichung sei hier diesbezüglich auf folgende „Zitate“ einer rechtsradikalen österreichischen Monatsschrift („Sieg“, 12/1985, Feldkirch) - aus einer ad hoc erfundenen „europäischen Rabbinerkonferenz des Jahres 1952“ — verwiesen:

„,Wir (die Rabbiner) weckten antideutsche Gefühle in Amerika, eine Kampagne, welche im 2. Weltkrieg gipfelte.'“

.„Unser Programm wird sein Endziel, die Entfachung des 3. Weltkrieges, erreichen. Israel wird neutral bleiben, und wenn endlich beide Teile verwüstet am Boden hegen, dann wird unsere Rasse unangefochten die Erde beherrschen!“'

Während die Autoreh dieses — intellektuell bescheidenen Propagandablattes ihrem radikalen An-tijudaismus zumeist nur über sehr plumpe Verleumdungskampagnen Ausdruck verleihen, sorgt eine Seniorenrunde im „Deutschen Kulturwerk europäischen Geistes“ (DKeG) für einen etwas gehobeneren Stil:

In ihrer Zeitschrift „Huttenbriefe“ (Jänner/Februar 1984, Graz) wußten DKeG-Mitglieder zum Beispiel zu berichten, daß „Adolf Hitler die jüdische Zinsknechtschaft gebrochen“ und „die Reichsmarkwährung aus der internationalen Geldverflechtung gelöst“ habe, weswegen „die jüdische Freimaurerloge ,Bnai Brith' und das Präsidium des Zionismus dem Deutschen Reich im März 1933 den Krieg erklärten“.

Ob pseudowissenschaftlich verpackt oder als anspruchslose ,JJolzhammer“-Methode — der Judenhaß verfolgt hier jedes Mal dasselbe taktische Ziel: nämlich potentielle politische Sympathisanten von der „Schuld“ der Juden am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu „überzeugen“.

Wurde dann die verhaßte Minderheit endlich zureichend kriminalisiert, so präsentiert sich der Antijudaismus häufig ungeschminkt — in Form von sehr ro-hen sadistischen Phantasien, wie der nachfolgende Vers aus einer anonymen Briefsendung vom Februar 1986 an das Jüdische Dokumentationszentrum:

„Du toter Jud, es floß dein Blut. Die Nazis nahmen Gas. Dein Judenblut färbt rot den Sud, du bist des Geiers Fraß. Mit Chuzpe dreist, die Welt drauf scheißt. Es bleibt der Judenhaß!“

Viele Losungen und „poetische“ Elaborate rechtsextremer Autoren sind hier grundlegend für die Annahme, daß „antisemitische Vorurteüe“ eher als zweckgerichtete Rationahsierungen denn als kognitive „Fehlleistungen“ entstehen.

Demnach seien solche „Vorurteüe“ zumeist Ausdruck einer „kognitiven Rechtfertigungsstrategie“, die Wirklichkeitssinn und „Ratio“ dort vortäuschen soll, wo in Wahrheit sadistischer Lustgewinn und (unbewußte) Schuldgefühle determinierend sind.

Führt unsere Untersuchung zu einer Bestätigung ihrer Alternä-tivhypothese (Haßgefühle und eine entsprechende Tendenz zur kognitiven „Schuldentlastung“ als maßgebliche Determinanten der antisemitischen Vorurteilsbildung), so wird dieser Befund natürlich prompt die Frage nach angemessenen kulturpolitischen Maßnahmen neu aufwerfen.

Allein, man sollte sich diesbezüglich nicht mit (vor)eiligen Losungen zufrieden geben, sondern entsprechende Vorschläge erst auf der Basis einer fundierteren Qualitätsbestimmung des Judenhasses f ormulierem Für einschlägige Untersuchungen stünden schon jetzt unter anderem einige „Tiefeninterviews“ mit Verantwortungsträgern und ehemaligen Befürwortern des NS-Regimes zur Verfügung.

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