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Lotte Ingrisch und zweimal Nestroy
Wohl ergibt die vor sieben Jahren in der „kleinen Josefstadt“ uraufgeführte Friedhofszene „Vanilli- kipferln“, ein Dialog zwischen einem verwitweten Oberbaurat und einer alternden Unverheirateten, die sich schließlich als Giftmischerin entlarvt, eine überaus wirksame und doch unaufdringliche Mischung von anheimelnd Gemütlichem mit Makabrem. Dies gelingt aber Lotte Ingrisch in den weiteren drei Einaktern nicht mehr. „Abend zu dritt“ ist ein handfester Sketch, bei dem wir im Verlauf einer medialen Sitzung erfahren, daß ein Klavierlehrer durch die Ehe mit einem me- diokren Weibsbild als Komponist scheiterte. Knalleffekt am Schluß: Er bringt sie um. Dies als tragisch zu bezeichnen, wäre zu hochgestochen, Komik fehlt völlig.
Wohl ergibt die vor sieben Jahren in der „kleinen Josefstadt“ uraufgeführte Friedhofszene „Vanilli- kipferln“, ein Dialog zwischen einem verwitweten Oberbaurat und einer alternden Unverheirateten, die sich schließlich als Giftmischerin entlarvt, eine überaus wirksame und doch unaufdringliche Mischung von anheimelnd Gemütlichem mit Makabrem. Dies gelingt aber Lotte Ingrisch in den weiteren drei Einaktern nicht mehr. „Abend zu dritt“ ist ein handfester Sketch, bei dem wir im Verlauf einer medialen Sitzung erfahren, daß ein Klavierlehrer durch die Ehe mit einem me- diokren Weibsbild als Komponist scheiterte. Knalleffekt am Schluß: Er bringt sie um. Dies als tragisch zu bezeichnen, wäre zu hochgestochen, Komik fehlt völlig.
In dem Einakter „Donau so blau“ stößt ein gelähmter Hofrat seine alternde Krankenschwester in die Donau, nachdem er in ihr seine ehemalige „himmlische“ Geliebte erkannt hat. Komik des Tragischen? Das ist eine feine Charakterstudie, ebenfalls frei von allem Komischen, das Letale wirkt aufgeklebt. Die uraufgeführte Szene „Letzte Rose“ bietet lediglich die witzige Entfaltung einer drolligen Gestalt. Das etwas angejahrte „letzte süße Mädel von Wien“ kommt zu einem Vorstadtphotographen, den sie sich kurzerhand zum Bräutigam macht. Hier gibt es ausschließlich vollsaftige Komik. ,
Lotte Ingrisch hat anfangs in ihren Stücken sehr beachtliche Akzente gesetzt, nun erweist sie szenisches Geschick, bietet gute Eigurenzeichnung und wirksame Dialoge, hoffentlich verfällt sie nicht der Routine, dem Kommerz. Sowohl Hilde Krahl wie Josef Meinrad zeichnen in diesen Zweipersonenstücken unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner glaubhaft je unterschied-, liehe vier Gestalten. Hilde Krahl arbeitet mit schärferen darstellerischen Mitteln, was im ersten Einakter den Eindruck mindert, im vierten angebracht ist. Verhalten und dadurch eindringlicher wirkt sie als Krankenschwester. Josef Meinrad bleibt in allen vier Rollen diskret, gewinnend schlicht. Realistisches wie auch Unrealistisches kennzeichnet die Bühnenbilder von Lois Egg.
Als zweite Premiere der laufenden Spielzeit war im Akademietheater die Posse „Unverhofft“ von Nestroy zu sehen, die vor zwei Jahren vom Volkstheater in den Wiener Außenbezirken aufgeführt wurde. Die genießerische Verkapselung des Partikuliers Herrn von Ledig in egoistischem Junggesellenbehagen wird da bekanntlich durch das plötzliche Vorhandensein eines Säuglings auf seiner Bettdecke auf- gebrochen. Wie aus Schrecken und Wut unverhofft Vaterstolz aufkommt, um den dann gefinkelte Possenstrategie Herrn von Ledig prellt, macht den Spaß des Stücks aus. Doch bei der Liebe zu dem putzigen Steckkisseninhalt bleibt es dann. Das Geblitze witziger Sottisen steigert zuweilen Verwicklungen und Mißverständnisse ins geistvoll Facettierte.
Regisseur Franz Reichert hält das Spiel wirksam in Schwung, steigert es gelegentlich durch unaufdringliche Zutaten. Otto Tausig läßt in der possenhaften Gestalt des Herrn von Ledig das Menschliche spüren. Gelöstes Spiel von Susi Nicoletti, von Manfred Inger und Hanns Obonya, von Lotte Ledi und Ernst Ander. Der Bühnenbildner Hans Kleber kehrte zur gemalten, planen Dekoration zurück: Hinter einem halbhohen Zwischenvorhang aus weißer Seide sieht man Hänger von oben niedersinken, Kulissen begrenzen dann seitlich die Szene. Kurt Werner bearbeitet geschickt die ansprechende Musik von Adolph Müller senior.
Auch das Volkstheater bietet derzeit in den Wiener Außenbezirken — Premiere im Haupthaus — ein Stück von Nestroy, die von den Großbühnen lange nicht gespielte Posse „Das Mädl aus der Vorstadt oder Ehrlich währt am längsten“. Man sieht ihn gern, dieses Winkelagenten Schnoferl, der Gegensätze in, Güte auszugleichen, Liebesdinge einzurenken, Ungerechtigkeiten, aus der Welt zu schaffen sucht und dem dies auch über manche Hindernisse hinweg gelingt. Gerade unserer Zeit wäre solch ein Agent des guten Herzens in vielen Bereichen überaus nötig.
Diese Posse führt zwar teilweise in die Vorstadt, aber man sollte die Aufführung nicht dermaßen auf Vorstadtwirkungen hin anlegen, wie es unter der Regie von Karl Schuster geschieht, das Stück wird dadurch arg vergröbert. Harry Fuss spielt den Schnoferl mit viel Temperament, aber allzu einschichtig nur als sympathischen Hallodri. Hans Rüd- gers ist ein behäbig-liebessüchtiger Spekulant. Kauz, Traute Wassler bleibt als Frau von Erbsenstein ohne Führung, sie exaltiert unerträglich. Renate Bernhard als Thekla, Dolores Schmidinger als Rosalie heben sich unter den übrigen Darstellern heraus. Die schlichten Bühnenbilder entwarf Traude Lutz. Auch hier wurde die Musik von Adolf Müller — Schreibweise des Programmzettels — eingerichtet, Norbert Paw- licki besorgte dies mit merkbarer Einfühlung. Karl Maria Grimme
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