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Lowe und Drache

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,JDie Partei darf nicht das ganze Leben beherrschen!“ Und: „Ohne Demokratie und Wissenschaft kann Wirtschaft nicht gedeihen.“ Oder: „Das Ziel ist nicht nur eine materielle, sondern auch eine geistige Kultur!“

Politische Parolen im Herbst 1986. Im kommunistischen China. Fast könnten sie von Plakatwänden in Österreich abgeschrieben sein. Bei uns wird die Wende freilich erst proklamiert. In China ist sie schon da.

Ins Wirtschaftsleben werden kapitalistische Anreize eingebaut, Entscheidungsbefugnisse dezentralisiert, klassische Musik ist wieder erlaubt, ja erwünscht, Religion wird zumindest nach außen hin nicht mehr direkt bekämpft: Rotchina wandelt auf neuen Pfaden.

Davon konnten sich auch die Teilnehmer an der österreichischen Industrieausstellung überzeugen, die in Schanghai zwischen 7. und 14. Oktober auf reges Interesse stieß, österreichische Journalisten bekamen sogar den Begriff „links“ als Schimpfwort vorgesetzt: ,J-,inke“ behinderten die notwendige Modernisierung durch ihren Hang zur „Gleichmacherei“, erläuterte ein KPC-Funktionär.

Steht die rote Welt nicht mehr lange? Die chinesischen Kommunisten glauben freilich das Umgekehrte: „Wir reformieren, damit sie bestehen bleibt.“

Andere sehen das anders. In Hongkong sind viele davon überzeugt, daß die der britischen Besitzung ab 1997 mit ihrer Rückkehr zu China zugestandene Statusgarantie als kapitalistische Enklave nicht zu einem allmählichen Kommunistischwerden Hongkongs, sondern zu einem Kapitalistischwerden Chinas führen konnte.

Der Besuch der britischen Königin in China war ein Ereignis, dem die KPC-Füh-rung politischen Spitzenrang einräumte. ,JDer Löwe kommt zum Drachen“, frohlockten die Chinesen.

Welches Wappentier das jeweils andere verschlucken wird, ist freilich noch keine ausgemachte Sache. Aber auch in der Hongkong benachbarten portugiesischen Besitzung Macao, über deren Eingliederung in China derzeit gleichfalls verhandelt wird, sagte uns Sozialminister Nuno Delerue: „Von Südchina könnte eines Tages Macao die Wirtschaftshauptstadt sein.“

Geschichtskundige werden trotzdem vorläufig noch Skeptiker bleiben und sich des chinesischen Dichters Li Bai erinnern, der vor 1200 Jahren den Zug ins legendäre Westreich Schu beschrieb: .Leichter ist es, den Himmel zu erklimmen, als Sichuan zu erreichen. Nach dem Westen starre ich und seufze...“

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