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Luftschlösser vor Bankrott

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In Carthagena (Kolumbien) tagten die von Krisen geschüttelten lateinamerikanischen Schuldnerländer. US-Banken müssen gestützt werden. Wie kam es zu dieser Finanzkrise?

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In Carthagena (Kolumbien) tagten die von Krisen geschüttelten lateinamerikanischen Schuldnerländer. US-Banken müssen gestützt werden. Wie kam es zu dieser Finanzkrise?

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Jeder hat schon einmal etwas von Euro-Dollars gehört. Aber was ist das eigentlich? Eigentlich versteht man darunter nichts anderes als einen US-Dollar in einer Bank, die außerhalb der Vereinigten Staaten tätig ist. Und der Euro-Dollar-Markt ist die Summe aller Transaktionen, die zwischen Dollarbesitzern und -interessen-ten außerhalb der USA abgewik-kelt werden.

Entstanden ist dieser Markt schon in der Wiederaufbauphase nach dem letzten Weltkrieg. Für US-Banken wurde es damals interessant, sich verstärkt in Europa, wo das Zinsniveau höher als in den USA war, zu engagieren. Diese Entwicklung wurde auch dadurch begünstigt, daß sich die Töchter der amerikanischen Banken in Europa einer weitgehenden Freiheit von Aufsicht erfreuten.

Zunächst war London der bevorzugte Ort der Niederlassung. Später kamen andere Bankplätze dazu: Vaduz, Luxemburg, die Bahamas, Hongkong... Ihr gemeinsames Kennzeichen: Die Banken bewegen sich dort weitgehend ohne Aufsicht von Notenbanken. Nicht nur US-Banken engagierten sich auf diesem Markt.

Welchen Vorteil bietet es nun, auf diesem Markt zu agieren? Zweifellos ist es die enorme Freizügigkeit, die den Banken bei fehlender Notenbankaufsicht Möglichkeiten eröffnet, die im innerstaatlichen Bereich ausgeschlossen sind. Das betrifft vor allem die Mindestreserven. Im nationalen Bereich müssen alle Banken einen festgesetzten Teil der von ihnen vergebenen Kredite bei ihrer Nationalbank als Mindestreserve hinterlegen. Beträgt dieser Anteil beispielsweise zehn Prozent, so kann die Bank höchstens Kredite in der Höhe des zehnfachen Betrags der bei ihr eingelegten Gelder vergeben. Spätestens dann hat sie alle ihre Bargeldmittel durch Hinterlegung aufgebraucht.

Genau dieser Beschränkung sind die Euro-Banken nicht unterworfen. Theoretisch können sie die bei ihnen getätigten Einlagen beliebig vervielfacht zu Krediten umwandeln. Die bei Euro-Banken eingelegten Gelder können daher auch viel höhere Zinsen einbringen. Ab 1973, dem Jahr des ersten ölschocks, führten diese Vorteile zu einer besonders dynamischen Entwicklung des Euro-Dollar-Marktes. Die massive Verteuerung des Erdöls lenkte die Geldströme in die OPEC-Länder, die bald die einzigen Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen waren. Sie allein lieferten wertmäßig mehr ans Ausland, als sie von dort bezogen. Die dabei erzielten Uberschüsse wanderten als Guthaben in die Banken des Euro-Dollar-Marktes (als sogenannte Petro-Dollars).

Kurzfristig entwickelte dieser freie Markt eine sehr wohltätige Wirkung: Er sorgte für das „Recycling" der Petro-Dollars, also für ihre Rückführung dorthin, wo sie als Zahlungsmittel dringend benötigt wurden: in die ölimpor-tierenden Länder. Dort konnte man sich klarerweise nicht von heute auf morgen auf die drastisch gestiegenen ölpreise durch massive Importkürzungen umstellen.

Dieser Nachfrage kamen die Banken (nicht nur auf dem Euro-Markt) allzu bereitwillig nach.Gelten doch Länder als sichere Gläubiger, als unsinkbare Schiffe. Damit schien allen Beteiligten geholfen zu sein: Die OPEC-Staaten konnten ihr Geld unkontrolliert und lukrativ anlegen, die Banken machten gute Geschäfte mit Kunden, die wenig riskant schienen, und die Länder der Dritten Welt (aber nicht nur sie) konnten ihre wachsenden Defizite finanzieren.

Die neuerliche Verteuerung des Erdöls 1979 ließ jedoch die Schuldenberge dramatisch ansteigen. Bis heute sind die Schulden der Dritten Welt seit Beginn der siebziger Jahre um 700 Prozent gestiegen. An ihnen haben die Privatbanken im selben Zeitraum ihren Anteil von 30 auf 60 Prozent verdoppelt. Unfaßbar hoch ist der Schuldenstand einiger Länder geworden: Brasilien 97 Milliarden Dollar, Mexiko 89, Argentinien 44, " Südkorea 40, Venezuela 35 ...

Bei solchen Beträgen stellt schon die Zinsenzahlung vielfach eine untragbare Belastung dar. Viele Länder bewältigen sie nicht mehr. Dazu schreibt Ernst Löschner, Abteilungsdirektor der österreichischen Kontrollbank, in einer Untersuchung: „Die Außenschuld der Dritten Welt und der Ostblockländer verdoppelte sich innerhalb von fünf Jahren und erreichte Mitte 1983 einen Stand, bei dem eine Zinsänderung um nur einen Prozentpunkt einen Unterschied im Zinsendienst von acht Milliarden US-Dollar bewirken würde."

Und die Zinsen steigen tatsächlich. Ein Hauptgrund dafür sind die gigantischen Budgetdefizite der USA (im laufenden Jahr 200 Milliarden Dollar). Um Mittel zum Stopfen dieses Lochs anzulocken, müssen hohe Zinsen gezahlt werden. Gleichzeitig treibt die Nachfrage nach Dollars den Kurs der Währung in die Höhe.

Die Folge: Immer mehr Länder sehen sich außerstande, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Umschuldungsaktionen sollen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldner verhindern. Ihre Häufigkeit nimmt dramatisch zu: Zwischen 1956 und 1977 wurden international jährlich Beträge in einer Größenordnung von 500 Millionen Dollar umgeschuldet. 1982 waren es hingegen 40 Milliarden (für 20 Länder) und 1983 sogar 80 Milliarden für 30 Länder.

Mittlerweile wird deutlich, daß diese Umschuldungen das eigentliche Problem nicht lösen. Wohl wirkt bei diesen Aktionen, an denen oft Hunderte Banken und Notenbanken beteiligt sind, auch der Internationale Währungsfonds mit und verordnet dem Schuldnerland eine ökonomische Kur. Diese erweist sich jedoch vielfach als Abmagerungskur, die die Existenz des Patienten ernsthaft bedroht. Das Sparen wird nämlich vielfach auf Kosten der ohnedies schon am Existenzminimum dahinvegetierenden breiten Bevölkerungsschichten betrieben.

Das Grundproblem liegt darin, daß die geborgten Mittel allzu stark dem Konsum (vielfach der Elite, die allein zwischen 1977 und 1983 rund 55 Milliarden Dollar aus Lateinamerika in das Bankensystem der Industrieländer verschoben haben dürfte) und nicht sinnvollen Investitionen zugeführt worden sind. Den Geldforderungen steht daher heute keine erhöhte Leistungsfähigkeit der Schuldner gegenüber. Man wird daher nicht um die Konsequenz herumkommen, daß die Guthaben eigentlich Luftschlösser sind.

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