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LUKIAN

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Eine Reform des britischen Scheidungsrechtes erspart es den nur noch auf dem Papier Verheirateten, einander ein letztes Mal sehen zu müssen. Um ihnen die Peinlichkeiten einer Begegnung vor dem Richter zu ersparen, kann das Scheidungsverfahren nun schriftlich abgewickelt werden.

Wie wir erfahren, wird dieses Beispiel schnell Schule machen. Während sich die katholische Kirche in ihrem übertriebenen Konservativismus noch dagegen sträubt, besonders empfindsamen Sündern statt der Ohren- die Briefbeichte einzuräumen, formierten sich dem Vernehmen nach im Justizpalast bereits verschiedene Lobbies, welche die Einführung einer humaneren Strafprozeßordnung auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Eine dieser Gruppen hat bereits einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der seelisch labilen Angeklagten sowie solchen, die „auf Grund der ihnen angelasteten Tat(en) einer ihre Verteidigungsfähigkeit herabsetzenden Erre gung der Zuhörerschaft“ ausgesetzt sein könnten, über Antrag der Verteidigung die Vernehmung durch eine Gegensprechanlage zwischen Gerichtssaal und einer, juristisch als Anklagebank deklarierten Spezialzelle“ ermöglichen würde.

Demgegenüber meinte ein Sprecher der ebenfalls neu konstituierten Arbeitsgemeinschaft zum Abbau aggres- sionsfördemder Kommunikationsformen“, Gegensprechanlagen seien eine faschistoide Augenauswischerei“ - Verhöre, so diese Gruppe, seien künftig ausschließlich in schriftlicher Form mit reiflicher Bedenkzeit abzuwickeln. „Natürlich werden die Prozesse ein bisserl länger dauern“, sagte ein Mitglied dieser Arbeitsgemeinschaft, „aber der Fortschritt hat halt seinen Preis“.

Freilich zeichnet sich bereits eine Spaltung auch dieser Gruppe ab, wobei ein Flügel das „Prinzip der Schriftlichkeit“ auf den Strafprozeß beschränken, der andere auch schon in der polizeilichen Vernehmung jeden persönlichen Kontakt des Vernommenen mit dem oder den Vernehmenden ausschalten will.

Leider legen unsere Gewährsleute, denen wir die hier wiedergegebenen Informationen verdanken, Wert auf die strikte Geheimhaltung ihrer Namen, die allerdings sehr bald bei allen Interviews heikleren Inhaltes der Normalfall sein wird. Denn, so ein für entsprechende Abänderungen des Mediengesetzentwurfes eintretender Abgeordneter, „Rechte, die unsere Gesellschaft Angeklagten zubilligt, kann sie doch ihren Mandataren, Beamten und so weiter nicht vorenthalten - wo doch heute ein Interview mit einer bürgerlichen Zeitung schon fast ärger ist als ein polizeiliches Verhör!“ Für das Fernsehen werde man sich halt etwas einfallen lassen. Etwa Verlesung der Interviewantworten durch einen Sprecher.

Abgeordnete der großen Oppositionspartei stellten strikt in Abrede, sie hätten „vorsichtig positiv“ auf Fühlungsnahmen der Regierungspartei reagiert, wie man sich gegebenenfalls zu einer Änderung der Geschäftsordnung des Hohen Hauses im Hinblick auf den zu erwartenden Ausbau des Persönlichkeitsschutzes“ zu stellen gedenke. „So ein Blödsinn“, flüsterte uns im Vorraum eines Wiener Nobelheurigen ein Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand zu, „natürlich wird die Effizienz der parlamentarischen Arbeit durch die Öffentlichkeit beein trächtigt, aber wozu haben wir denr. die Ausschüsse?“

Letztem Stand der Dinge zufolge wird auch deren Tätigkeit bereits für reformbedürftig gehalten. Wobei ins Treffen geführt wird, auch die Reform des britischen Ehescheidungsrechtes ziele ja nicht so sehr auf den Schutz vor der Öffentlichkeit ab, wie auf den Schutz der Persönlichkeit vor seelisch belastenden und entwürdigenden Begegnungen.

„Vor allem in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen“, meinte der Sekretär eines Ministers, „kommt es immer wieder zu Situationen, die Puls, Blutdruck, Atmung und so weiter unverantwortbar anheizen. Man sollte solche Dinge nur noch schriftlich abwickeln!“

Ein Minimum an Öffentlichkeit müsse freilich sein, findet der Hausarzt eines mittelrangigen Politikers: „Er muß mehr vor seinesgleichen als vor dem Volk geschützt werden. Gewisse Kontakte mit den Menschen können ihm sogar ganz gut tun, wenn sie richtig dosiert werden, wobei sich in meiner Praxis ein mehrwöchiger Stoß Hautnähe alle vier Jahre als therapeutisches Optimum erwiesen hat.“

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