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Lulu-Suite
Am 24. Dezember 1935 ist Alban Berg während der Instrumentation des 3. Aktes seiner zweiten und letzten Oper „Lulu“ gestorben. Im Sommer 1934 hatte er eine „Lulu-Symphonie“, bestehend aus vier Orchesterstücken und dem Lied der Lulu, zusammengestellt, die am 30. November in Berlin uraufgeführt wurde. Am 11. Dezember 1935 fand die Erstaufführung der Lulu-Symphonie in Wien statt. Berg hörte hier zum ersten Mal Teile seines Werkes. Es war das letzte Konzert, dem er beiwohnte ... Die Uraufführung der Oper fand — Zeichen der Zeit! — erst am 2. Juni 1937 nicht in Wien, sondern in Zürich statt.
Diese Daten vermissen wir im Programmheft der Philharmoniker, das den beiden anderen Werken des auch im Rundfunk übertragenen 6. Abonnementkonzerts am vergangenen Sonntag je viereinhalb Seiten Kommentar widmet. (Es handelt sich um die bei uns wesentlich bekannteren Orchesterwerke „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss sowie um die Dritte von Brahms.) Dabei hätte Bergs hochkomplizierte Partitur — zumal es sich um Fragmente aus einer Oper handelt — dringend eines ausführlicheren, auch kompositionstechnischen Kommentars bedurft. Nicht zu erklären braucht man ihre Aussage. Aus ihr spricht, mit tief ergreifender Gewalt, die Klage über die zerstörte Schönheit. Psychologisch und symbolisch, affektiv und konstruktiv, expressiv und verinnerlicht, ist diese Musik der erhabene Ausdruck der Trauer um die verlorene Schönheit, die zugleich auch an die steinern-zarten Züge von Bergs Gesicht erinnern.
Claudio Abbado, der in jedem seiner drei heurigen Konzerte mit den Philharmonikern mindestens ein neueres Werk bringt, hat die komplizierte Partitur auswendig dirigiert. Aber ob er in jedem Augenblick seiner Sache ganz sicher war? Von den Philharmonikern hörten wir einige unvergleichlich schöne Streicherpassagen. Aber im ganzen haben wir diese Suite schon intensiver und eindrucksvoller erlebt.
Auch die Solistin Catherine Gayer konnte mit dem Lied der Lulu keinen Höhepunkt setzen: Sie sang zwar vollkommen richtig und sehr „musikalisch“, war aber hörbar indisponiert. — Diese aus Kanada stammende, an der Deutschen Oper Berlin tätige Künstlerin ist als ausgezeichnete Interpretin neuer und neuester Musik sehr geschätzt, und wir erinnern uns noch genau ihres Debüts vor zwölf Jahren in Venedig, als sie eine der schwierigsten Sopranpartien der zeitgenössischen Musik, nämlich die weibliche Hauptrolle in Nonos uraufgeführter Oper „Intolleranza“, mit unvergleichlicher Bravour meisterte.
Dafür ließ „Tod und Verklärung“, ein Paradestück des Orchesters, keinen Wunsch offen. Diese Partitur ist 1890 zum ersten Male erklungen und mag auf das Publikum von damals so neuartig und aufregend gewirkt haben, wie die Lulu-Musik bei ihrem ersten Erklingen — oder gar noch 40 Jahre später ...
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