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Lyrik aus Österreich

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Im letzten Jahrzehnt hat man das Gedicht immer wieder für passe erklärt. Trotzdem hat die Lyrik — und haben die Lyriker — dem Druck der öffentlichen Verunsicherung standgehalten. Daß die Poesie noch nicht am Ende ist, dafür steht auch die neue Reihe „Lyrik aus Österreich“, die seit dem Frühjahr im Verlag G. Grasl in Baden bei Wien erscheint. Als ersper Band der neuen Reihe sind die lyrischen Texte des Kulturredakteurs der „Arbeiter-Zeitung“, Hans Heinz Hahnl, erschienen. Unter dem humorvollen Titel „In flagranti entwischt“ verbirgt sich ein poetisches Netz, in dem eigenes Erleben, Erfahrungen, Gesehenes, Gelesenes haften bleiben, und das offen für In- und Übereinander der verschiedensten Partikel ist. Hahnls lyrische Sensibilität zeigt sich teilweise nostalgisch meditierend, teilweise humoristisch ironisierend. Die Aktualität des journalistischen Alltags, inmitten dessen der Autor lebt, wird in die Meta-realität der dichterischen Aussage übergeführt, in die Kosmologie aus Millionen privaten „winzigen Szenen“, in die „Chemie der Gefühle“, in denen das Menschliche bewahrt bleibt.

Als Band 2 der Reihe „Lyrik aus Österreich“ erschienen die „Erfahrungen“ des ebenfalls in Wien lebenden Ernst David. Davids Art von Lyrik stellt oft ein lyrisches Ich in den Mittelpunkt der poetischen Bewegung und geht von seinen „Erfahrungen“ aus. Der Bereich, in dem sich Davids Gedichte abspielen, ist genügend breit. Er reicht von Landschafts- und Natur eindrücken bis zu erotischen poetischen Aussagen. Der Autor zeigt auch den Sinn für Sprache, für metaphorische und sprachliche Verfahrensweisen, für die sprachlichen Verknüpfungsmöglichkeiten, für die Relation zwischen Autor und Umwelt, die sich in der Sprache selbständig zu bewegen versucht, wobei qualitative Schwankungen auftreten und manches zuwenig dicht erscheint, mit rhythmi-

schen Störungen und Brechungen, die die schöne Form des Gedichtes beeinträchtigen.

Die Gedichte von Otto La ab er („Inventur“, erschienen als Band 3 der Reihe) sind Zeugnisse eines Geschlagenen, Verletzten, Leidenden, der die Welt aus der Sicht des Ohnmächtigen, des Bedrohten sieht. Der Dichter, im Jahre 1934 in Klosterneuburg bei Wien geboren, beging am 15. Juli 1973, noch fast unbekannt und unentdeckt, Selbstmord. Seine erst jetzt posthum veröffentlichten lyrischen Texte sind erschütternde Dokumente einer verkannten poetischen und menschlichen Sensibilität, Laabers Szenen und Bilder, in denen sich die Landschaft, die Natur, der Mensch, die Gesellschaft, die Zeit herbdüster, teilweise melancholisch und teilweise aggressiv zeigen, sind geistige Konfrontationen mit der kritischen, von Schmerz verdunkelten Erinnerung an die unwegsamen inneren und äußeren Gegenden, die manchmal auch in eine wahnwitzige Irone ausbricht (Lied der Näherin, Kekses Weltbild). Die Basis von Laabers Lyrik bleibt aber fast immer konstant: traurig und düster. Sie zeigt eine lieblose Welt, die verletzt. Die Verletzbarkeit gibt diesen Texten eine gewisse innere Spannung und eine plastische Atmosphäre:

Gehirnprozesse, sagt man,

der Baum der Erkenntnis,

Fortschritte —

inzwischen verdüstern die Apfelbäume.

Es ist auch ein Verdienst von Alfred Gesswein, Alois Vogel und dem Literaturkreis „Podium“, der auch eine beachtete Literaturzeitschrift gleichen Namens herausgibt, daß Laabers Gedichte jetzt erschienen sind. Sie profilieren die neue lyrische Reihe aus Österreich und sind ein gutes Zeichen an ihrem Start.

LYRIK AUS ÖSTERREICH. Verlag G. Grasl, Baden bei Wien. Pro Band öS SO.—.

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