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Machbar, doch für wen?

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Kurt Langbein, der als kritischer Journalist bereits manchen Alter-nativ-Bestseller verfaßte (so etwa „Bittere Pillen", „Gift-Grün") widmet sich mit drei Mitautoren (Marianne Enigl, Manfred Mühl-berger, Roland Bettschart) der sanften Industriegesellschaft von morgen. Seine „Reportagen aus der Zukunft" sind in Auszügen im Nachrichtenmagazin „Profil" erschienen.

Langbein recherchierte Technologien, die schon heute zur ökologischen Rettung der Welt eingesetzt werden könnten (wie Elektroauto, Solarenergie, Abfallrecycling) und wirtschaftliche Strategien zum Umweltschutz. In vielen Staaten der westlichen Welt sind sie ansatzweise vorhanden. Interessante Pilot-Projekte, in denen zukunftsweisende Forschungsergebnisse umgesetzt wurden, sind in dem Buch genauso zu finden wie ihre Entstehungsgeschichte, die begleitenden politischen Rahmenbedingungen und ihre Finanzierung. Dazu fiktive Briefe, die die herrliche, umweltfreundliche und doch hochtechnisierte Zeit nach der Jahrtausendwende in bunten Farben zeichnen. Fazit: „Die Zukunft ist machbar!"

Beeindruckt von der Fülle an Alternativen, die schon heute ökologisch vernünftiges Wirtschaften ermöglichen, beeindruckt von innovativen Konzernen und aufgeschlossenen Politikern, bleibt dem Leser ein nagender Zweifel: Die Zukunft ist also machbar! Bloß - wer macht die Zukunft? Und für wen?

Die Umstellung auf sanfte Technologien soll vor allem unsere eigene vergiftete, verödete Umwelt sanieren. Anstatt den Ärmsten der

Armen mit angepaßter Technologie und Hilfe zur Selbsthilfe das Überleben zu ermöglichen, das durch den Wohlstand der Ersten Welt tagtäglich gefährdet ist, wird weiterhin hauptsächlich an unserem Wohlstand gearbeitet. Die armen, verschuldeten und entwicklungsbedürftigen Staaten der Welt bleiben damit vom Fortschritt einmal mehr ausgeschlossen. Sie verfügen - wieder einmal - weder über Kno- v-how noch über Devisen, um ihr Überleben zu organisieren. Und dabei sind sie schon jetzt von Bodensterben und Ozon (um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen) schwer betroffen - nicht wie Europa und Amerika durch Ertragseinbußen, die nur die Überflußerträge schmälern.

Der Slogan von der „Machbarkeit der Zukunft" ist ein politisch oft verkaufter und gern gehörter: Jetzt sind wieder einmal die „Macher" -Techniker, Wirtschaftsfachleute, Politiker - gefragt, die uns unsere heile Welt erhalten. Schluß mit düsteren Prognosen von Erwärmung der Erde, drohender Verwüstung, Wasserverseuchung, Luftverschmutzung. Die Zahlen und Tabellen, die die ökologische Talfahrt dokumentieren, helfen nun, neue Geschäfte mit neuen Technologien zu machen.

Kann die heilige Kuh der Wohlstandsgesellschaft unangetastet bleiben? Und das, obwohl Experten längst einig sind, daß die sanfte Industriegesellschaft für die gesamte Weltbevölkerung einer ökologischen Katastrophe gleichkäme? Die Rechnung, wieviel Rohstoff, Energie, Luft, Wasser, Boden und Gesundheit geopfert würde, wenn die UdSSR westlichen PKW-Standard

erreichte, kann sogar ein Laie aufstellen. Also fordern wir (um unsere Zukunft zu sichern) von jenen, die erst auf dem Wege zur Industriegesellschaft sind, im Sinne des Umweltschutzes, am großen Kuchen erst gar nicht mitzunaschen.

Kritische Naturwissenschaftler, Philosophen und Künstler und einige wenige Politiker (meist erst nach ihrer aktiven Zeit) haben in den letzten Jahren oftmals davor gewarnt, die Welt den Technokraten zu überlassen. Auch Alterna-tiv-Technokraten können zur Gefahr werden, solange ihre Zukunftsvisionen nicht die Beseitigung der schreienden Ungerechtigkeit innerhalb der einzelnen Staaten und auf der ganzen Welt beinhalten.

Die kühnen Träume von der sanften Industriegesellschaft (die im Untertitel des Buches anklingen) träumen wir, die Reichen, die Satten, die Privilegierten. Wir, die schon heute ganz unsanft auf Kosten anderer leben, wollen unsere Umwelt auf Kosten anderer sanieren. Doch was ist mit jenen, die vom Überleben träumen? Sie blieben das, was sie durch unsere „zivilisierte" Ausbeutung geworden sind: Bittsteller. Und die sanfte Industriegesellschaft wird ganz unsanft reagieren, wenn aus den Bitten lautstarke Forderungen werden.

Reportagen aus ihrer Zukunft wären von Hunger, Not, Katastrophen und stummer Anklage gezeichnet. Doch darüber zu schreiben, hieße wider den Zeitgeist zu schreiben. Und damit sind derzeit wohl keine Bestseller erreichbar.

REPORTAGEN AUS DER ZUKUNFT. Von Roland Bettschart, Marianne Enigl, Kurt Langbein, Manfred Mühlberger. Orac-Verlag, Wien 1989. 256 Seiten, Pb., öS 298,-.

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