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Macht, Übermacht

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Vielleicht bringt es der kurze Wahlkampf mit sich, vielleicht aber das eigentümliche Taktieren der Parteien, daß man über Wahlziele, die einmal genannt werden, bisher wenigstens, nicht ausführlich und offen genug diskutiert. Mit Recht hat der Chefredakteur einer großen Wiener Tageszeitung unlängst dies in seinem Leitartikel bemängelt. Wenn, meinte er, Politiker der ÖVP und, vereinzelt, auch Politiker der SPÖ die große Koalition als bessere Alternative zur kleinen Koalition und zur Alleinregierung anpreisen, dann müßten sie heute schon sagen, was sie unter einer großen Koalition verstehen. Sollte es nicht die Wiederkehr der alten Koalition sein, mit allen ihren bekannten Fehlern, dann müßten die neuen Bedingungen schon heute genannt und diskutiert werden. Die Diskussion über eine Reform der Koalition war fast so alt wie die Koalition selbst, und man könnte auf diese alten Erfahrungen und Erkenntnisse jetzt in einer neuen Diskussion zurückgreifen.

Ähnliches gilt für eine kleine Koalition, obschon hier die Erfahrungen fehlen. Die dritte Möglichkeit, die Alleinregierung einer Partei, war zwischen 1966 und 1970 zwar verwirklicht worden. Trotzdem gilt es auch hier, daß ausreichende Erfahrungen fehlen. Es war ein Experiment, sagt abschwächend heute die ÖVP. Es war aber vor allem eine Alleinregierung der ÖVP. Wie eine Minderheitsregierung der SPÖ aussieht, wissen die Wähler heute schon. Eine Alleinregierung der SPÖ mit absoluter Mehrheit im Parlament wäre aber ein völlig neues Experiment. Die Wähler hätten also besonders hier ein Recht auf nähere Auskünfte, noch vor dem 10. Oktober.

Bundeskanzler Dr. Kreisky spricht aber in letzter Zeit nicht nur über seine Bereitschaft und die Bereitschaft seiner Partei zu den verschiedensten Formen der Zusammenarbeit — Koalitionen sind seiner Meinung nach nur eine Form der Zusammenarbeit —, sondern immer häufiger über die absolute Mehrheit und über eine Alleinregierung mit dieser absoluten Mehrheit als Wahlziel der SPÖ.

Unlängst sagte er in einer Wahlkampfrede, es sei besser, wenn eine Regierung ihr Programm „zügig verwirklichen“ kann, es sei also besser, eine „homogene Regierung zu haben, als eine, in der ständig Interessengegensätze überbrückt werden müssen“. Er habe, sagte Kreisky, „die Koalitionsregierung selbst erlebt, in der um jede Lösung gerungen werden mußte“, und er habe dann die „zügige Arbeit der SPÖ- Regierung“ erlebt.

Diese Auskunft des Bundeskanzlers über eine Alleinregierung war nicht vollständig und war etwas ungenau. Denn, abgesehen davon, daß sich auch eine Alleinregierung um die Überbrückung von Interessengegensätzen wird bemühen müssen, auch wenn die Interessengruppen nicht in der Regierung direkt vertreten sind, was von Vorteil sein mag, besagt doch der Ausdruck „zügige Arbeit“ noch nichts von deren Qualität und Gegenstand. Wenn außerdem eine Regierung um die Überbrückung von Interessengegensätzen und ganz allgemein um Lösungen „ringt“, so ist das für den politischen Alltag in einer Demokratie ganz normal und für den Staatsbürger irgendwie beruhigend. Am zügigsten arbeiten nämlich bekannterweise Diktaturen.

Unvollständig war aber die Auskunft des Bundeskanzlers, sofern seine Worte in den Zeitungen richtig wiedergegeben worden sind, hinsichtlich möglicher Folgeerscheinungen einer SPÖ-Alleinregierung. Vielleicht aber kann diese Folgeerscheinungen heute noch selbst er, der wahrscheinliche Hauptakteur kommender Vorgänge, nicht abschätzen. Man ist also auf Vermutungen und Anhaltspunkte angewiesen, denn es wäre eben ein völlig neues Experiment.

Einer dieser Anhaltspunkte ist, daß Politik mit Macht zu tun hat. Die ÖVP hört es heute nicht gerne, denn sie scheint an einem möglichst unpolitisch geführten Wahlkampf interessiert zu sein, aber einer ihrer besten Köpfe, der ÖAAB-Politiker Dr. Josef Taus, hat es vor dem Bundesparteirat in Klosterneuburg ausgesprochen (er sprach über Industriepolitik, die aber in einem Industriestaat wie Österreich einen wichtigen Teil der Politik darstellt): „Industrdepolitik muß sich auch mit Machtfragen beschäftigen“, sagte Dr. Taus, „mit der Verteilung der Macht, ihrer Begrenzung und ihrer Kontrolle… in der Industriepolitik spiegelt sich… auch das politische System wider, ob Freiheit herrscht oder Unfreiheit“.

Man schlage also nach, wieviel „Macht“ eine SPÖ-Alleinregierung hätte. In einem Staat, in dem Bundespräsident, Regierung, Parlamentsmehrheit, Gewerkschaftsmehrheit von einer Partei gestellt werden, ebenso die Mehrheit in drei Bundesländern und in fast allen großen Gemeinden. Das sind die für jeden Staatsbürger unmittelbar sichtbaren Machtverhältnisse. Was man nicht sieht, was aber dadurch um so fragwürdiger wäre, ist die wirtschaftliche Macht, die hinter diesen und anderen Positionen steht. Österreich ist bekanntlich kein Schweden, daher hinken schon alle Vergleiche, die von einem „schwedischen Weg“ der SPÖ wissen wollen. In Schweden gibt es zwar eine sozialdemokratische Regierung, aber auch eine ungleich stärkere private Industrie als in Österreich und eine ungleich stärkere unabhängige Presse. In Österreich sehen also die Dinge anders aus. Nach zwei Verstaatlichungen, angesichts auch der Wirtschaftsmacht mancher Großgemeinden, kann man in Österreich kaum besonders wirksame demokratische Gegengewichte im Falle einer einseitigen politischen Ausrichtung der Machtapparate erwarten. Die „Proporzwirtschaft“ unseligen Angedenkens käme dann zwar nicht wieder, wer kann aber heute sagen, ob in den unübersichtlichen Verästelungen der Personalpolitik, des Vergabewesens, der Subventionspolitik nicht das eine Parteibuch die un- kontrollierbare Vorherrschaft übernehmen würde?

Freilich, unter optimalen Umständen wäre eine Einparteienregierung einer Koalition vorzuziehen. Ihre Vorteile liegen auf der Hand. Aber in Österreich herrschen eben, schon aus historischen, geographischen usw. Gründen, keine optimalen, sondern besondere Umstände. Und unter diesen Umständen und nach den Erfahrungen auf partiellen Gebieten wäre eine SPÖ-Alleinregierung nach dem 10. Oktober ein Experiment — auf jeden Fall ein unbekanntes, vielleicht aber ein gefährliches. Niemand kann das heute genau sagen. Aber diskutieren müßte man darüber. Auch und besonders in einem Wahlkampf.

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