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Macht und Ohnmacht

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Dezember 1984, Stopfenreuter Au: Sie klammern sich an Bäume, bilden Sperren mit ihren Körpern, die Polizei geht daran, den Platz zu räumen. Es setzt Schläge und Tritte, auch Blut fließt. Dann bläst die Regierung in Wien zum geordneten Rückzug.

Die Staatsmacht kapituliert vor dem gewaltlosen Widerstand der Au Schützer.

Dezember 1984, Arbeiterkammersaal in Hainburg: Sie ballen die Fäuste nicht nur in den Hosentaschen, sie fürchten um ihre Ar-

beitsplätze, sorgen sich um die Zukunft ihrer Familien. Sie, die Bauarbeiter, können nicht verstehen, daß nicht Recht sein kann, was Recht ist.

Und überhaupt: Heißt es da nicht irgendwo in einem Lied „... wenn unser starker Arm es will"? Jetzt dieses Ohnmachtsgefühl.

Macht. Ohnmacht. „Nicht die Notdurft, nicht die Begierde -nein, die Liebe zur Macht ist der Dämon der Menschen. Man gebe ihnen alles: Gesundheit, Nahrung, ' Wohnung, Unterhaltung—sie sind und bleiben unglücklich und grillig: Denn der Dämon wartet und wartet und will befriedigt sein", schreibt Friedrich Nietzsche in seiner „Morgenröte".

Vom Eros der Macht ist da die Rede, der die Wurzel aller Uberle-genheitsgefühle gegenüber anderen Menschen ist.

„Macht ist ein Sucht- und Rauschmittel. Wer einmal davon gekostet hat, will sie immer wieder, die Dosis muß gesteigert werden. Von einer bestimmten Grenze an — die individuell verschieden sein kann — wirkt sie selbstzerstörerisch", schreibt der Wiener Tiefenpsychologe Hans Strotzka in seinem psychoanalytischen Essay über die „Macht".

Wer hat es selbst noch nicht verspürt, dieses Gefühl, das einem kalten Schauer über den Rücken jagt, wenn man zu Menschen spricht, auf der Tastatur der Emotionen spielt, die Zuhörer für seine Sache gewinnt: Macht haben über andere, über deren Denken und Fühlen die Oberhand behalten.

Der Mißbrauch eben dieser Macht liegt keinen Steinwurf davon entfernt. Machtmißbrauch ist keine ausschließliche Angelegenheit der Politik, der Wirtschaft, der Medien. Und Ohnmacht auch nicht. Ohnmacht ist nur die Kehrseite der Medaille.

Genau in dieser Bipolarität von Macht und Ohnmacht liegt auch die Hoffnung. Jene Hoffnung, die davon ausgeht, daß Macht nur da ist, wo auch Ohnmacht ist und umgekehrt, daß in diesem Wechselspiel Machtträger einander kontrollieren, daß die Ohnmacht letztlich den Finger auf den Mißbrauch der Macht legt.

Das beginnt schon in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in den Beziehungen von Mann und Frau, in den Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern. Macht in den Beziehungen braucht man nicht gleich handfest unter Beweis zu stellen. Jenseits der Prügel wuchert die Machtausübung wesentlich effektiver, wenn auch subtiler.

Das ist im Kleinen nicht anders wie im Großen. Und gerade weil in Staat und Gesellschaft die wahren Machtträger zumeist im Dunkeln agieren, ist das Unbehagen auch so groß: über die sozial-partnerschaf tlichen Großverbände, die Einflüsterer in Politik und Wirtschaft. Die im Dunkeln sieht man nicht, ergo kann ihre Machtausübung auch nicht kontrolliert werden. Wer deren Macht infragestellt, tappt zumeist ins Leere.

Denn nur so kann Machtmißbrauch verhindert werden: „Durch Kontrolle und Kommunikationsverbesserung; sie ist möglich durch das Recht, durch Transparenz, Selbstkontrolle, durch direkte Demokratie und Aktivierung der Betroffenen".

So gesehen muß der Machtbegriff nicht zwangsläufig negativ besetzt werden. Die Macht, anderen Menschen, die die Macht nicht haben, zu helfen, die Macht, sich eindeutig auf die Seite der Ohnmächtigen zu stellen — auch diese Macht trägt Eros in sich.

Das 2. Quatember-Gespräch der Dompfarre St. Stephan, der Katholischen Aktion Wien, des Katholischen Akademikerverbandes Wien, der Katholischen Frauenbewegung Wien und der Katholischen Hochschuljugend Wien kreist um das Thema „Macht — Ohnmacht — Hoffnung".

Am 14. Februar steht eine Vesper im Dom zu St. Stephan unter diesem Mottp. Und im Rahmen eines Symposiums des Forum St. Stephan soll der Machtbegriff auf seine vielen Ausprägungen hin abgeklopft werden.

Wenn Max Weber die Macht als die „Fähigkeit von einzelnen oder Gruppen" definiert, „das Handeln anderer auch gegen Widerstand in einer gewünschten Richtung zu beeinflussen", dann soll von diesen Gesprächen auch die Macht ausgehen, den Mächtigen wie den Ohnmächtigen zu helfen, über sich und ihre Rolle in Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Kirche und Medien bewußt zu werden.

Dabei wird das notwendig sein, was Hans Strotzka als Gegenkraft gegen den Mißbrauch der Macht an den Schluß seines Buches stellt: „Liebe, Vernunft, Toleranz und gegenseitiges Verständnis sowie die Fähigkeit zum Kompromiß."

Der Einsatz genau dieser Mittel waresjadann auch, der die einander widerstrebenden Machtinteressen in der Donauau bei Hainburg letztlich zu einem vernünftigen Ende gebracht hat.

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