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Machtinstrument UNO?

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FURCHE: Was halten Sie vom deutschen beziehungsweise italienischen Vorschlag, im UNO-Sicherheitsrat einen einzigen ständigen europäischen Sitz einzurichten?

MARCEL TREMEAU: Wir glauben nicht, daß damit die Sicherheit insgesamt effizienter würde. Der Sicherheitsrat ist Resultat der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Die Deutschen, die Italiener und die Japaner sind heute Demokraten, aber man sollte trotzdem nicht die gegenwärtige Situation ändern. Nach Präsident Francois Mitterrand dürfte eine Modifikation des Sicherheitsrates eines Tages keine Mitgliederverminderung bedeuten. Den Vorschlag Außenminister Hans-Dietrich Genschers könnte man akzeptieren, wonach nicht die Gruppe der fünf ständigen Si-cherheitsratsmitgliedergeändert werden soll, sondern die zwei europäischen Mitglieder - Frankreich und Großbritannien - künftig für Gesamteuropa sprechen sollen. Schon Außenminister Roland Dumas hat gemeinsam mit seinem britischen Amtskollegen darüber nachgedacht, wie man der Formel eines einzigen Europa Substanz geben kann.

FURCHE: Einige Dritte-Welt-Länder haben Angst, daß in der Post-Golfkrieg-Ara der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein geschlossener Kreis werden könnte.

TREMEAU: Eine große Erfahrung des Golfkriegs war das Erleben einer Kohärenz und einer politischen Harmonie im Sicherheitsrat, um eine Situation zu verurteilen, die eine Verletzung des Rechts dargestellt hat. Sogardie Sowjetunion wardiesesmal auf der Seite des Rechts. Das ist ein besonders bemerkenswertes Ereignis.

Ich kann nicht sagen, daß diese Befürchtung nicht gerechtfertigt ist. Die Dritte Welt-Länder haben das Recht zu fragen, wie die Situation in zehn Jahren sein könnte. Wir könnten uns das auch fragen. Aber wir beobachten mit Interesse, daß man nach dem Golfkrieg - das war immer französische Position - über palästinensische Probleme nachzudenken beginnt und daß Länder, die gegen die Resolution 242 waren, und auch andere, diese heute fast akzeptieren. Man sagt gegenwärtig, diese Resolutionen sind leer, weil sie keine politischen Folgen hatten. Ich hoffe, daß die Welt bald nicht mehr so sein wird, wie vorher.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die Rolle neutraler Länder?

TREMEAU:Da gibt es einmal in Österreich die Debatte über die Neutralität. Auch denkt man über die internationale Rolle Österreichs nach. Das Problem ist aber ein österreichisches. Die internationale Gemeinschaft kann nicht sagen, was Österreich tun soll. Aber die neutralen Länder hatten in der UNO immer eine positive Funktion. Vielleicht ist das eine Facette des Problems, das sich den Österreichern stellt. Das bedeutet, daß sich Österreich entscheiden muß, welche Vorteile und welche Nachteile sich aus der Einrichtung ihres Neutralitätsstatuts ergeben.

In der UNO haben die Neutralen eine sehr nützliche Rolle gespielt, im Sinne der Vermittlung und des Dialogs. Der aktuelle Sondervertreter des UN-Generalsekretärs für den Nahen Osten ist Herr Aatissari aus Finnland, einem neutralen Land. Die UNO-Frie-denstruppen setzen sich alle aus neutralen Ländern - Finnland, Schweden, Österreich - zusammen. Ihr Neutralitätsstatut erlaubt ihnen, eine objektive Rolle zu spielen und im politischen Plan sind sie unangreifbar. Die Neutralen sind ein echter Ausgleich im Spiel. Österreich muß damit unter den unterschiedlichen weltpoli- tischen Perspektiven selber umgehen lernen: Seinen Platz in Europa, seinen eventuellen EG-Beitritt und die Veränderungen in der Welt berücksichtigen. Wenn Wien die dritte UNO-Stadt ist, entspricht das nicht nur einem Wunsch Österreichs. Auch die UNO hat Interesse, in einem neutralen Land zu sein.

FURCHE: Während der Golßrise wurden die Resolutionen der UNO vom Weißen Haus ausgearbeitet. Man hat Angst, daß die UNO ein „Ding" der USA wird, wie de Gaulle seinerzeit gesagt hat.

TREMEAU: Ich glaube, daß die UNO kein „Ding" der USA werden kann, weil die Golfkrise gezeigt hat, daß diese Organisation ein Bewußtsein davon hat, wer sie ist und was sie sein kann: ein Garant des Friedens und des internationalen Rechts und der Gerechtigkeit. Ich glaube nicht, daß die USA Lust und die Möglichkeit haben, die UNO zu ihrem „Ding" zu machen. Präsident George Bush kennt das System sehr gut, und ich würde sagen, daß er sich bewußt ist, welche Rolle die UNO spielen kann, ohne ein amerikanisches Machtinstrument zu sein. Die Amerikaner brauchen nicht die UNO, um ihre Macht zu demonstrieren. Ich glaube, sie brauchen die UNO, um eine gerechtere Ordnung -wie im Golfkrieg - zu etablieren. Ich hoffe, daß man in diese Richtung geht. Dazu muß ich sagen, die anderen vier ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates würden es nicht akzeptieren, würde die UNO ein „Ding" eines jeden von ihnen. Wir haben auch seinerzeit nicht akzeptiert, daß die UNO von der Sowjetunion als „Ding" benutzt wird - oder von Frankreich oder von China.

Mit dem Ständigen Repräsentanten Frankreichs beiden Internationalen Organisationen in Wien, MARCEL TREMEAU, sprach GIBERTCISS.

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