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Digital In Arbeit

Machtlos und angewiesen

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Auf der Suche nach dem Haus der Kleinen Schwestern gerate ich in eine Gemischtwarenhandlung, kurz nach mir betritt eine Frau mit blauem Kopftuch, blauer Bluse, langem blauen Rock, einem großen Kreuz und einem Rosenkranz an der Seite das Geschäft — unzweifelhaft eine Kleine Schwester.

Wie alle anderen Frauen des Dorfes kauft sie nier ein. Offensichtlich kennt man sie im Geschäft schon gut, denn es herrscht ein herzliches Verhältnis.

Als ich wenig später ihr Haus betrete, spüre ich diese Offenheit auch sofort. In dem bescheidenen Heim der Schwestern sitzt gerade ein Ehepaar in der Küche. Es sind Nachbarn, die jetzt fast täglich mit großen Sorgen zu den Schwestern kommen.

Die Stube, in der ich mit frischem Brot und Tee bewirtet werde, besteht aus einem großen Holztisch, einer Eckbank, Holzstühlen sowie einem kleinen Kasten aus Holz mit Büchern und ^Schriften.

Bald plaudern wir zu viert, nachdem noch zwei Schwestern in Bluejeans, direkt von der Feldarbeit kommend, sich zu uns gesetzt haben.

Sie sind alle sehr herzlich und wirken fröhlich. Zwischen ihnen scheint eine tiefe Verbundenheit zu herrschen. Ich fühle mich rasch zu Hause, vertraut und angenommen.

Sie wollen in keiner Weise auffallen, wollen so leben wie ihre Nachbarn. Und das ist vielleicht das Besondere an ihrem Orden: Nur von ihrer Hände Arbeit leben sie unauffällig wie Jesus als Zimmermannsohn in Nazareth.

Als diese Frauen dem Ruf Gottes in den Orden der Kleinen Schwestern Jesu gefolgt sind, haben sie im allgemeinen nicht nur ihre Familie und ihr Milieu, sondern auch ihre Heimat und ihre Muttersprache verlassen, um in einer neuen Umgebung das Leben derer anzunehmen, zu denen sie Gott gesandt hat.

So feiern die Schwestern in Regelsbrunn, von denen mehrere französisch als Muttersprache haben, die Geburts- Und Namenstage ihrer Nachbarn, trauern mit ihnen um Verwandte und Freunde und stehen allen mit Rat und Tat zur Seite.

So springen sie etwa selbstverständlich ein, wenn ein Nachbar krank wird und seine Arbeit sonst liegenbleiben würde. Es ist auch stets mindestens eine Schwester im Haus, um Ratsuchende und Besucher aufnehmen zu können.

Wie die Menschen ihrer Umgebung leben sie von der Landwirtschaft und bewirtschaften acht Hektar Land, das der Diözese gehört. Einen Teil der Felder haben sie allerdings Menschen zum Bebauen gegeben, die noch ärmer sind als sie: zwei türkischen Familien.

Rat und Hilfe für die schwere Feldarbeit holen sich die Schwestern auch oft bei ihren Nachbarn. Von jemandem anderen Hilfe annehmen, ist nämlich oft schwieriger, als selbst etwas herzugeben.

Besser verstanden habe ich das, nachdem ich in der Kapelle gewesen bin. Dort, in diesem zwar an Fläche nicht sehr großen, dafür aber Dank einer zeltartigen Holzdecke sehr hohen Raum ist mir nämlich sofort ein Brotkorb aufgefallen. Darin liegt auf Stroh gebettet, aus Ton geformt das Jesuskind, das dem Betrachter lächelnd die Hände entgegenstreckt.

Gewohnt, dieses Bild nur in der Weihnachtszeit zu sehen, war ich einigermaßen überrascht. Die Schwestern aber soll es immer wieder daran erinnern, daß Christus schutzlos, schwach und machtlos auf die Welt gekommen ist, von Anfang an auf Menschen angewiesen.

Dieses „Werdet wie die Kinder", das die Kleinen Schwestern bewußt in die Wirklichkeit umsetzen möchten, ist gerade in unserer so stark vom Intellekt beherrschten Zeit dringend notwendig, hat es doch auch noch einen anderen Aspekt. Heute werden ja Kinder schon so früh auf kleine Erwachsene getrimmt, da tut es gut, sich mehr auf das Kind zu besinnen, auf sein Wesen, seine besondere Art und auf seinen Anspruch, geliebt und beschützt zu werden.

Reich beschenkt bin ich von Regelsbrunn heimgekehrt, bereichert um das, was die Kleinen Schwestern zeigen wollen: In einer anonymen Welt wollen sie den Wert des einzelnen, den Wert der Freundschaft in einer Uberflußgesellschaft die Freude des einfachen Lebens und in einer kinderfeindlichen Umgebung den Wert der Kindlichkeit erfahrbar machen. Wer sie erlebt, sieht manches neu.

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