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Machtlos und mit viel Grimm

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Während in anderen Sommern das legendäre Ungeheuer von Loch Ness für Aufregung sorgte, mußten heuer Fragen des Importes und Exportes von Rindern und Schweinen die Rolle des Schlagzeilenlieferanten übernehmen. Freilich handelt es sich dabei um ein Problem, das ungleich ernster und realer ist als das sagenhafte Ungeheuer in den schottischen Seen.

Es begann damit, daß plötzlich im Juli in Österreich das Verarbei-tungs(rind)fleisch knapp wurde, und die Wurstpreise in die Höhe gingen. Allerdings nicht nur in Österreich.

Die Rindfleischknappheit erwies sich als weltweit, weil fast alle Regierungen denselben Fehler gemacht hatten: sie drosselten die Milchviehbestände, um die Milchüberschüsse zu bekämpfen, verringerten damit aber automatisch auch die Erzeugung des begehrten Rindfleisches, da Kälber ohne Kühe noch nicht erfunden sind.

Die Einfuhren von Verarbeitungsfleisch verzögerten sich daher und die Regierung reagierte auf diese vorübergehende Knappheit bekanntlich mit der Ausfuhrsperre von Schlachtrindern, obwohl das eine mit dem anderen in keinem Zusammenhang steht, weil Schlachtrinder nicht zur Wursterzeugung verwendet werden. Das war die erste Phase des Fleischkrieges zwischen Bauern und Regierung. Sie wurde am 15. August mit der Aufhebung der Exportsperre beendet.

Die zweite Phase betraf die Schweine. Auch bei Schweinen gab und gibt es eine Knappheit, und die Landwirtschaft wehrt sich auch durchaus nicht dagegen, daß man Schweine einführt. Allerdings wollen sich die Bauern nicht mit extrem billigem Schweinefleisch aus dem Ausland (das überdies — weil zu fett — keine besondere Qualität aufweist) die Inlandspreise zerstören lassen. Sind nämlich die Inlandspreise einmal zerstört, dann wenden sich noch mehr Bauern von der Schweinehaltung ab als es ohnehin schon der Fall ist. Die Folge würde sein, daß man auch nächstes Jahr im Inland zuwenig Schweine hat, die, langfristig gesehen, den Konsumenten immer noch billiger kommen als jene aus dem Ausland.

Doch die Regierung verfügte gegen den Willen der Landwirtschaft in einer Sitzung des Viehverkehrsfonds Anfang August eine totale Freigabe ohne jede Zolleinhebung für Schweineimporte. Die Folgen? „Österreich wird der Abfallkübel Europas“, wetterte der niederösterreichische Landwirtschaftskammerpräsident Bierbaum in der letzten Ausgabe des „österreichischen Bauernbündlers“. Denn das eingeführte Schweinefleisch ist zum Teil von sehr schlechter Qualität und etliches davon soll beispielsweise aus zwei Jahre alten Armeebeständen Jugoslawiens stammen. Zum anderen Teil wurde dänisches Schweinefleisch, das nach England hätte geliefert werden sollen, infolge des dortigen Dockerstreikes nach Österreich umdirigiert und zu Schleuderpreisen verkauft. Außerdem verließen viele Urlauber infolge des vorübergehenden Schlechtwettereinbruches die Alpenrepublik und mit ihnen ging eine große Anzahl potentieller Schweinfleischesser verloren. Die Kühlhäuser sind nun vollgestopft, was die Qualität nicht fördert; die Preise sind gesunken und der heimische Bauer muß machtlos und mit viel Grimm zusehen, wie ihm sein Markt kaputtgemacht wird.

Sonderbar mutet beim Fleischkrieg die Haltung des Gewerkschaftsbundes an, der sich dafür stark machte, daß es zur völligen Importfreigabe komme. Denn jener Bund, der sich durchaus und mit Recht dagegen wehrt, daß ausländische Arbeitskräfte den Inländern Arbeit wegnehmen, findet nichts dabei, daß vorübergehend und zufällig billigeres ausländisches Schweinefleisch den heimischen Bauern schwersten Schaden zufügt.

Die Vermutung, daß der Gewerkschaftsbund damit zum Kampf gegen den Viehverkehrsfonds angetreten ist (in dem Vertreter der Landwirtschaftskammern, der Bundeswirtschaftskammer und der Arbeiterkammer sitzen und der für die Einfuhr von Schweinefleisch zuständig ist), gewinnt neue Nahrung. Schon lange ist den Sozialisten die Existenz der landwirtschaftlichen Fonds (Getreideausgleichsfonds, Milchwirtschaftsfonds, Viehverkehrsfonds), die nicht sozialistisch dominiert sind, ein Dorn im Auge.

Die Zerschlagung der erwähnten Fonds würde allerdings das totale Preischaos bei Brot, Milchprodukten und Fleisch in Österreich nach sich ziehen.

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