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Machtreigen in Fernost

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Ostasien ist in Aufregung. Grund: die sich häufenden Anzeichen einer sowjetisch-chinesischen Annäherung; eine solche hätte unabsehbare Gleichgewichtsverschiebungen in Fernost zur Folge.

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Ostasien ist in Aufregung. Grund: die sich häufenden Anzeichen einer sowjetisch-chinesischen Annäherung; eine solche hätte unabsehbare Gleichgewichtsverschiebungen in Fernost zur Folge.

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Die internationalen Kulissen, vor denen diese ersten Tastversuche nach über zwanzig Jahren der Entfremdung stattfinden, sind durchaus vielfältig und kompliziert. Wenn es auch sicher nicht in naher Zukunft zu einer neuerlichen Verbrüderung zwischen Peking und Moskau kommen wird, so deuten gegenwärtige Tendenzen und Entwicklungen auf allmähliche Machtverschiebungen in Fernost hin.

In den nur fünf Jahren der Politik der „Offenen Tür" wurde die Volksrepublik China in vielen Erwartungen von der Freundschaft mit den Vereinigten Staaten enttäuscht. Ein neuer, unberechenbarer Präsident löste Jimmy Carter im Weißen Haus ab. Ronald Reagan lehrte schon während seiner Wahlkampagne chinesische Diplomaten und Außenpolitiker das Zweifeln, als er die Reaktivie-rung des Verhältnisses zu den Nationalisten auf Taiwan versprach.

In diesem Jahr drohte die Frage der amerikanischen Waffenlieferungen an die Nationalregierung in Taipei die zerbrechliche Freundschaft zwischen China und den USA endgültig zu zerstören. Peking betrachtet diese Lieferungen als Einmischung in interne Angelegenheiten, zumal Washington mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu China die Regierung in Peking als die einzig legitime anerkannt hatte.

Nach Monaten der Geheimverhandlungen einigte man sich auf das sogenannte „Shanghaier Kommunique Nr. 2", in dem Washington etwas vage versprach, die Waffenlieferungen schrittweise einzustellen, falls Peking die Insel Taiwan friedlich in die Arme des Mutterlandes zurückholen werde.

Da ist Japan, das China unschätzbare Hilfe für seine ehrgeizigen Modernisierungspläne leisten kann und — nach Pekings vorläufigem Wunsch — auch soll. Japan wiederum verspricht sich auf längere Sicht Erstzugang zu einem der größten Zukunftsmärkte der Welt und zu Rohstoffen in großem Umfang, beides Dinge, die es dringend benötigen wird, will es seine SuperWirtschaft auch in Zukunft in Schwung halten.

Denn in den USA und den Ländern der EWG, aber auch in Südostasien verstärken sich protek-tionistische Tendenzen, die die Flut aus Nippon eingedämmt sehen wollen.

Dazu kommt die Frage der japanischen Verteidigung. Tokio wird seit langem, besonders seit Caspar Weinberger im Pentagon regiert, von den USA gedrängt, mehr zu seiner Verteidigung zu leisten: Das Schutzbündnis mit den USA reiche nicht aus, da Amerika im Ernstfall alle Hände voll zu tun hätte; und das kleine Heer (250.000 Freiwillige bei 118 Millionen Einwohnern) sei ein Witz für die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt.

Die Aufrüstung Japans jedoch ist für die meisten ost- und südostasiatischen Regierungen ein Alptraum, der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wachruft, als japanische Heere Tod und Chaos über die meisten Länder der Region brachten. Die leidenschaftliche Reaktion Chinas und anderer ostasiatischer Länder auf Japans Versuche, Geschichtsbücher für die Schule zu verschönern, beweist diese Empfindlichkeit.

In Moskau siecht eine überalterte Führungselite um Breschnew ihrem unweigerlichen Ende entgegen. Mehrmals hat Breschnew China die offene Hand ausgestreckt, mit gemischtem Erfolg.

Denn China sieht sich eingekreist: Im Norden stehen mindestens 600.000 sowjetische Soldaten an der gemeinsamen Grenze, im Süden stiftet ein von der UdSSR vollkommen abhängiges Vietnam Unruhe und hat ganz Indochina unter seiner Gewalt.

Kein Wunder dann, daß der nordkoreanische Präsident Kim Il-sung kürzlich in China mit unbeschreiblichen Ehren geradezu überhäuft worden ist, steht doch sein Land als Nachbar sowohl Chinas als auch der Sowjetunion neutral zwischen den kommunistischen Riesen. Dies ist ein Status quo, den China zumindest erhalten, wenn nicht zu seinen Gunsten verändern will.

Doch solange Breschnew und die Leute um ihn das Wort im Kreml haben, besteht die Möglichkeit der Entspannung. Peking traut der nächsten Generation in Moskau nicht und möchte gerne noch jetzt den Anfang machen. Niemand weiß, wie die nächste Führungsgruppe sieh China gegenüber verhalten wird.

Drei Grundbedingungen für bessere Verhältnisse zur UdSSR hat Peking bereits gestellt: Die russischen Divisionen an der gemeinsamen Grenze müssen abgezogen werden; die Sowjetunion muß sich aus Afghanistan zurückziehen; und die sowjetische Unterstützung Vietnams hat aufzuhören.

Durch die letzte Forderung erhofft sich Peking eine Erleichterung des Drucks an seiner Südflanke, zumal sich Vietnam ohne sowjetische Hilfe .keine Kriege und Stationierung seiner Soldaten in den Nachbarländern leisten kann.

Daß Moskau diesen Forderungen sicherlich nicht von heute auf morgen nachgeben wird, ist jedem klar, auch den Regierenden in Peking. Doch China will einen unabhängigeren, , neutraleren Kurs zwischen den beiden Supermächten steuern. Vor allem die Spannungszunahme zwischen den USA und der UdSSR macht dies in chinesischen Augen notwendig.

Die zwei westlich-kapitalistischen Hauptprotagonisten im fernöstlichen Machtspiel, Japan und die USA, scheinen sich mit ihren Erwartungen eines eindeutig prowestlichen China verrechnet zu haben. Auf seine Wirtschaftsmacht als einziges Druckmittel angewiesen, sieht sich Japan unweigerlich immer mehr in das amerikanische Lager gedrängt, eine logische Folge seiner Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Territorialfrage der nördlichen Kurilen-Inseln, die die Sowjetunion kurz nach dem Krieg besetzt hatte, und die Japan zurückverlangt, macht jegliche Verständigung zwischen Tokio und Moskau schwierig, zumal die Russen jegliche Existenz einer ungeklärten Territorialfrage einfach leugnen.

So mußte der japanische Außenminister Sakurauchi erst kürzlich bei einem Treffen mit Gromyko in New York eine diplomatische Ohrfeige einstecken, als er das Gespräch auf die Kurilen-Inseln brachte. Gromyko leugnete nicht nur die Existenz dieses Problems, sondern lehnte auch eine Einladung nach Tokio kühl ab.

Unter diesen Umständen können die Leute vom Pentagon und militaristische Kreise innerhalb Japans um so mehr auf die russische Gefahr verweisen und eine Aufrüstung Japans forcieren.

Die unvermeidbare Aufrüstung Japans jedoch, unter welchen Umständen auch immer, könnte große Hoffnungen japanischer Wirtschaftskreise auf ausgedehnten Handel mit China und anderen, ostasiatischen Ländern nur allzu leicht zunichte machen, aus bereits oben erwähnten Gründen.

Der Schlüssel im augenblicklichen und zukünftigen Machtgefü-ge Ostasiens ist und bleibt die Haltung Chinas. Es wird viel davon abhängen, wie sich die Regierungen in Moskau und Washington Peking gegenüber verhalten, und wer von den beiden mehr die Gunst des volkreichsten Staates der Welt genießen wird.

Keiner der beiden wird jedoch gewinnen können, da sich Peking diplomatischen Freiraum schaffen will, um seine Modernisierungen durchzusetzen. Interne Machtkämpfe und gigantische wirtschaftliche Probleme bereiten der chinesischen Regierung genug Sorgen, sodaß die gegenwärtigen, diplomatischen Offensiven als ein Bemühen gewertet werden müssen, die internationale Stellung Chinas klarzustellen und festzulegen.

Japan muß seine entscheidende Rolle als westlicher Vermittler zwischen den USA und China rechtzeitig erkennen. Es wird jedoch schwierig werden, zugleich amerikanischen Wünschen gemäß aufzurüsten und das Vertrauen Pekings und anderer ost-und südostasiatischer Länder aufrechtzuerhalten.

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