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Madien die Yankees dieTiirezu?

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1969 entsandte Nixon den damaligen Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, mit einer großen Schar von Spezialisten zu zwanzig lateinamerikanischen Regierungen, um sich in einem ausführlichen Gutachten Vorschläge für die Verbesserung der Beziehungen machen zu lassen. Ende 1970 hat er den ganzen Bericht zu den Akten gelegt. Nicht ein Vorschlag ist ausgeführt. In Buenos Aires spricht man von dem Rückzug der USA aus Lateinamerika, in Washington von einer „diskreten Präsenz“.

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1969 entsandte Nixon den damaligen Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, mit einer großen Schar von Spezialisten zu zwanzig lateinamerikanischen Regierungen, um sich in einem ausführlichen Gutachten Vorschläge für die Verbesserung der Beziehungen machen zu lassen. Ende 1970 hat er den ganzen Bericht zu den Akten gelegt. Nicht ein Vorschlag ist ausgeführt. In Buenos Aires spricht man von dem Rückzug der USA aus Lateinamerika, in Washington von einer „diskreten Präsenz“.

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Der Vietnamkrieg, die inneren sozialen Spannungen, das Negerproblem und die negative Zahlungsbilanz haben Nixon zur Erkenntnis geführt, daß die USA größere internationale Verpflichtungen übernommen haben, als sie verdauen können. Er legte Prioritäten fest, auf die er die Kraft der Vereinigten Staaten konzentrieren will. Zu ihnen gehört sches System“ zu ersetzen. Dieser Kampf ist vor allem im Rahmen der OAS (Organisation amerikanischer Staaten) zu erwarten, zumal Chile unter der Präsidentschaft Allendes zwar korrekte Beziehungen zu den USA unterhalten, aber ihren Einfluß zurückdrängen und die soziale Situation auf dem Kontinent zum Hauptthema der OAS machen will.

nicht Lateinamerika. Dies allein hätte auf dem südlichen Halbkontinent zwar stärkste Beachtung gefunden, aber keine Empörung ausgelöst. Diese entsteht erst durch das protektionistische Mills-Gesetz, welches das Repräsentantenhaus angenommen und der Senat behandelt hat.

Im Komitee der „Allianz für den Fortschritt“ (CIAP) in Washington wurde ein Bericht vorgelegt, in dem es heißt: „Die Bemühungen und die Fortschritte, die in den letzten 25 Jahren zur Liberalisierung des Handels unternommen wurden, werden binnen kurzem nutzlos geworden sein, wenn das protektionistische Gesetz angenommen wird.“ Nixon hatte wenig versprochen. Aber zu dem Wenigen gehörte, daß er die Importe aus den lateinamerikanischen Ländern, vor allem auch die von Industrieprodukten, erleichtern werde. Daß die USA jetzt die Türe nicht weiter auf-, sondern weiter zumachen wollen, hat auch in den lateinamerikanischen Kreisen, die ausgesprochen yankee-freundlich sind, ein stark feindliches Echo ausgelöst. Die USA entmutigen ihre Verbündeten durch die Senkung der Importe, die ohnedies in den letzten 20 Jahren relativ zurückgegangen sind.

Vorher schon, im Juli 1970, hatten die großen nordamerikanischen Gesellschaften gegen Nixons Vorschlag protestiert, das Hauptgewicht ihrer Investitionen von Europa nach Lateinamerika zu verlagern. Jetzt fühlen sie sich durch die Nationalisierungstendenz in Peru und Chile in ihrer Haltung bestärkt, zumal die Staaten des Andenpaktes (Kolumbien, Ekuador, Peru, Bolivien und Chile) ein Statut für Auslandsinvestitionen vorbereiten, nach dem das Auslandskapital nur bis zu 49 Prozent an großen Unternehmen beteiligt sein darf.

Die lateinamerikanische Haltung gegenüber der Wirtschaftspolitik der USA wird in der CECLA („Comi- sion Especial de Coordinazion Latinoameričana“, Spezialkommission zur lateinamerikanischen Koordination), ausgearbeitet. In ihr sprach man schon 1969 von der Notwendigkeit, das „interamerikanische System“ durch ein „lateinamerikani

In einer Pressekonferenz antwortete Allende kürzlich auf die Frage nach den zukünftigen Beziehungen Chiles zur OAS: „Wir werden nochmals sagen, daß Lateinamerika, ein potentiell reicher Kontinent, sich in einer dramatischen Situation befindet: 80 Prozent seiner Bevölkerung sind unterernährt, 140 Millionen Lateinamerikaner Voll- oder Halbanalphabeten, 11 Millionen ganz oder teilweise arbeitslos. Es fehlen 17 Millionen Wohnungen, und unglaublicherweise gibt es noch über 20 Millionen Lateinamerikaner, die den Gebrauch des Geldes als Zahlungsmittel nicht kennen.“

Mit dem letzten Hinweis bezog sich Allende offensichtlich vor allem auf die Indio-Bevölkerung in den Pazifikstaaten.

Wie wenig die Vereinigten Staaten geneigt scheinen, mit Chile in Konflikt zu geraten, zeigt die Räumung der sogenannten „meteorologischen Beobachtungsstation“ auf der Osterinsel. Vor den chilenischen Wahlen fragte der Korrespondent der „New York Times“ Allende, ob seine — etwaige — Regierung „die nordamerikanische Militärbasis auf der Osterinsel weiter dulden würde“. Man wurde hellhörig. Bisher hatte freilich niemand feststellen können, welche Art von Geräten dort auf- gestellt waren. Sogar dem. chilenischen Erziehungsminister hatte die nordamerikanische Besatzung der Station bei einer Besichtigungsfahrt den Zutritt verweigert. Die chilenische Zeitschrift „Ercilla“ meint, daß es sich hier um ein neues Kapitel im „elektronischen Krieg“ handle, weil die Osterinsel einer der wenigen isolierten Punkte sei, wo der störende Effekt der Radiowellen besonders gering ist. Der nordamerikanische Botschafter Edward Corry flog schnell selbst zur Osterinsel, und die geheimnisvollen Geräte wurden nicht über den Kontinent, sondern direkt von der Osterinsel nach Panama geflogen.

Aber nicht nur bei den linksgerichteten Staaten (Chile, Peru, Bolivien) und nicht nur im Andenblock hat die Außenpolitik gewechselt. Als der brasilianische Marschall Castelo Branco 1964 Goulart stürzte und seine „Revolution“ begann, ging er von den Grundsätzen der brasiliani schen Militärakademie, den Doktrinen der sogenannten „Sorbonne“, aus. Nach ihnen war der Krieg zwischen West und Ost unvermeidlich, daher müsse sich die brasilianische Außenpolitik ausschließlich nach Washington orientieren. Inzwischen glaubt man nicht mehr an einen neuen Weltkrieg. Präsident Medici und Außenminister Barboza erklärten vor der Militärakademie, daß Brasilien sich auf sich selbst besinnen und seine Entwicklung intensiv vorantreiben müsse. Man erkennt auch dort, daß die Ost-West-Spannung durch die Nord-Süd-Spannung verdrängt wird.

Dieser Standpunkt wird auch in Argentinien vertreten, aber beide „Großen“ lehnen die Verwirklichung der lateinamerikanischen Integra- tionsbewegung ab, weil sie sich nicht von den kleineren und weniger entwickelten lateinamerikanischen Ländern bremsen lassen wollen. Ebensowenig kommt ein Zusammengehen dieser beiden mehr oder weniger konkurrierenden Staaten auf wirtschaftlichem Gebiet in Betracht.

Dagegen erklärten führende Generäle beider Länder, daß der Ausbreitung subversiver Ideen entgegengetreten werden müsse. In einem Interview der „Prensa Latina“ mit einem Tupamaru heißt es, daß, „wenn die Entwicklung in Uruguay schneller vor sich geht als in den Nachbarstaaten und eine revolutionäre Situation entsteht, bei der wir irgendwann an die Macht kommen, außer Zweifel steht, daß eine der Möglichkeiten, die man ins Auge fassen muß, die direkte Intervention der USA oder die indirekte durch die Nachbarstaaten ist.“ Gemeint sind Brasilien und Argentinien.

Die lateinamerikanischen Länder erklären, an den Ostblock verkaufen zu wollen, was ihnen durch die protektionistische Politik der USA nicht abgenommen wird. Doch fragt es sich, ob die Sowjetunion in größerem Maßstabe bereit ist, sich Einfluß in Lateinamerika zu erkaufen. Ihr Einfluß in dieser Zone wird — wenn man von Kuba absieht — stark übertrieben. Nur die Rundfunkwellen dringen aus Moskau, Peking, Ost- Berlin und Prag In den Kontinent. Die kommunistischen Sendungen für Lateinamerika haben 1970 580 Wochenstunden erreicht, wobei auch in den Indio-Sprachen Quechua und Aymara gesendet wird. Aber es handelt sich wohl mehr um einen Wettbewerb ums Prestige; da Kurzwellen nur in Ausnahmefällen überhaupt gehört werden können, ist der Propagandaeffekt gleich Null.

Der Handelsaustausch zwischen der Sowjetunion und Lateinamerika im Jahre 1969 belief sich auf 130 Millionen Dollar gegenüber neun Mil liarden im Verkehr mit den USA. Der „Rückzug Nixons“ und die protektionistische nordamerikanische Politik auf der einen Seite, der Aufstieg linker Regierungen in Chile, Peru und Bolivien anderseits dürfte die neutralistische Tendenz in Lateinamerika verstärken, ohne daß aber mit einem ernsten Kampf um das lateinamerikanische Einflußgebiet zwischen Washington und Moskau zu rechnen ist, da dafür auf der östlichen Seite alle Voraussetzungen fehlen. USIS unterrichtet beispielsweise in Chile 9000 Schüler in englischer Sprache, die Gegenseite hat ganze 60 Russisch-Schüler. Die zehn Jahre zurückliegenden Versuche Pekings, Einfluß auf die Presse zu gewinnen, sind verpufft und vergessen. Für die chinesische Entwicklungshilfe wiederum hat einstweilen Afrika Vorrang.

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