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Mächtige Saurier

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Die Sozialpartnerschaft mit i hrer heutigen Funktion in Frage zu stellen, erscheint manchen -siehe die jüngste Wortmeldung von Heinz Kienzl an dieser Stelle (FURCHE 42/1989) - unbedacht, ja sogar gefährlich. Die Vorteile eines institutionalisierten Interessenausgleichs werden von dessen Verteidigern im Gegenzug mit eher einfallsloser Gleichmäßigkeit vorgebracht. Weil alles ja so gut ist, braucht man nichts zu ändern.

Es scheint, daß man in den ku-scheligen Winkeln des Verbändewesens den Sinn für die Wandlungen im öffentlichen Bewußtsein verloren hat. Die Geschichte wie-

derholt sich mit bedrückender Regelmäßigkeit. Immer wieder saßen Nutznießer der Systeme in ihren wohlausgestatteten Häusern und wunderten, ja entrüsteten sich, wenn das Volk, welches man ja reichlich mit Wohltaten bedachte, draußen murrte. Heute geht es allerdings nicht um vorenthaltenes Brot, sondern um das Abschütteln einer neuen und subtilen Form der Bevormundung.

Mit welchem Recht, ist zunächst zu fragen, wird eigentlich der Bürger von Staats wegen einem Gebilde - ob er will oder nicht - zugeteilt, das ihn neben seinen Mandataren ein zweites Mal zu repräsentieren hat? Dies noch dazu in einer Weise, welche die Wirksamkeit der allgemeinen staatlichen Vertretungskörper oftmals übertrifft.

In unserem Lande können wichtige politische Fragen so gut wie niemals gegen den Willen der Sozialpartner entschieden werden und zwar auch dann, wenn sie mit dem Interessenausgleich zwischen selbständig und unselbständig Erwerbstätigen nichts zu tun haben. Parlamentarier machen immer wieder die bittere Erfahrung, daß sie die gemeinsamen Entscheidungen der Sozialpartner einfach nur zu sanktionieren haben, daß sie schon Stirnrunzeln ernten, wenn sie es wagen, die hehre Weisheit der Kammer- und Gewerkschaftsfunktionäre in Zweifel zu ziehen.

So absonderlich schon eine solche Doppelvertretung der Bürger ist, so wird sie vollends durch den Umstand zum politischen Monstrum, daß der Vorgang der Repräsentation durch die offiziellen Verbände über weite Strecken ganz einfach undemokratisch abläuft. Genau genommen konserviert ja die österreichische Sozialpartnerschaft jene Klassensituation, die man im

vorigen Jahrhundert als Merkmal der neuen Industriegesellschaft ansah, und sie will jenen Klassenkampf entschärfen, der heute in der damaligen Form nicht mehr existiert. Erscheint doch geradezu absurd, die vielfältigen Probleme, Bedrängnisse und Anliegen, welche derzeit unsere pluralistische und dynamische soziale Wirklichkeit prägen, damit einfangen zu wollen, daß man jeden Erwerbstätigen (nicht aber Studenten, Pensionisten oder Hausfrauen) in eine Lade wirft, um diese dann mit anderen zu einer Kommode zusammenzubauen.

Die Willensbildung innerhalb der Verbände und Kammern, welche derart einer gemeinsamen Omni-potenz teilhaftigt werden, ist alles andere als demokratisch lupenrein. Die beamteten Sekretäre dominieren, die Mitglieder können - vor allem im ÖGB - entweder gar nicht an allgemeinen Wahlen teilnehmen oder empfinden diese als überflüssige Spiegelfechterei. Sie wissen nämlich ganz genau, daß die Verbände ohnedies im Schema der Großparteien einzementiert sind und daß alle, die nicht zur jeweiligen Mehrheit passen, mit ihren Vorstellungen eher brutal ignoriert werden.

In Österreich gibt es eine Vielzahl - meist sehr mächtiger - Gremien, Beiräte oder Kommissionen, in denen eine wohlkonstruierte Ausgewogenheit dadurch hergestellt wird, daß ein Handelskammersekretär Industrielle sowie Flickschuster und ein Arbeiterkammerreferent Bankbeamte sowie Eisenbahner vertritt. Dies in Anwendung der Fiktion, daß die einen wohl alle der schwarzen und die anderen der roten Reichshälfte zuzurechnen sind. Auf diese Weise entstehen Spielwiesen, auf denen sich die Esoteriker der Einflußverteilung tummeln, die aber beim besten Willen nicht in der Lage sind, die Lebenswirklichkeit der eigentlich Betroffenen in ihrer Vielfalt auch nur annähernd zu erfassen.

Gegen diese Lenkungs-, ja eigentlich Herrschaftskonstruktionen wächst zunehmend die Di-stanziertheit der Menschen. Es ist dies ein Vorgang, den man am besten mit dem schrecklichen Po-litvokabel „Entfremdung“ beschreiben kann. Die vielgeschmähten Parteien beginnen, d\es wenigstens zu begreifen. Sie versuchen, den Bürgern mehr Mitwirkung und Mitsprache in unmittelbar demokratischen Vorgängen zu bieten. Petitionen, Volksbefragun-

gen, Bürgerbeteiligungen und geregelte Initiativen kommen immer mehr zur Geltung.

Die Medien mischen eifrig mit und führen ihre Sonden schmerzlich in die kranken Stellen des Parteiensystems. Kritisch-selbständiger B*ürgersinn wird allseits modern. Dies kommt derzeit freilich vor allem dadurch zum Ausdruck, daß man die kleinen Gruppierungen mit Außenseitersituation bei Urnengängen stärkt. Auch das ist ein bedeutsames Signal; es entspricht den Regeln des demokratischen Wettbewerbs und Kräftespiels.

Die Repräsentanten der Sozialpartner - und für sie ist Kienzl typisch - scheinen aus diesen Entwicklungen nichts zu lernen. Sie sind wohletabliert in einem System, daß die Menschen zuerst in willkürlicher Weise auf große Gruppen aufteilt, um sich dann für die Harmonie des Zusammenwirkens dieser Konstrukte feiern zu lassen. Sie wollen ewige Dankbarkeit für die Bewältigung von Konflikten, die nur mehr in Restbeständen existieren, werden aber mit jenen Auseinandersetzungen nicht fertig, die heute unsere Existenz prägen. Stichworte dazu: Umwelt, Armut, soziale Diskriminierung, Familie, gesundheitliche Betreuung, Privilegien, Behinderung.

Dies ist kein Plädoyer für die Auflösung der Verbände und die Beseitigung der Sozialpartnerschaft. Wohl soll dies aber als Aufruf gesehen werden, dem deutlichen Wandel der sozialen Situation Rechnung zu tragen. Interessenvertretungen sind auch in der heutigen demokratischen Gesellschaft unentbehrlich, aber sie werden Herrscher über eine sie umgebende Natur zu sein.

Die klar erkennbare Entwicklung führt zu kleineren Einheiten, die flexibel und besser geeignet sind, den Dialog mit den Bürgern zu führen und die dem einzelnen mehr Auswahl und Entscheidungsfreiheit eröffnen.

Vor uns liegt ein Feld des Wachsens im demokratischen Zusammenleben. In Selbstgefälligkeit zu verharren und sich auf historische Meriten zu berufen, wird den Anforderungen unserer Zeit nicht dauerhaft genügen können.

Der Autor ist Volksanwalt.

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