6996788-1987_12_03.jpg
Digital In Arbeit

Männer & Frauen halbiert?

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt eine Reihe von neuen Fragen, durch die das Erreichte nicht verdrängt, sondern weitergeführt werden soll. Es wird heute immer deutlicher, daß es darum geht, die Werte von Mann und Frau in ihrer sogenannten Rollenverschiedenheit zu sehen und zu entwickeln — vor allem aber zu schützen. Die volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit von Mann und Frau ist Voraussetzung im sogenannten „Kampf“ um die Gleichberechtigung, damit nicht der halbierte Mann und die halbierte Frau das Ergebnis sind.

Auf dem Boden einer theologischen Fakultät kann ich dabei wohl auf die der Schöpfungsordnung hinweisen, wie sie uns gleichsam am Eingang zur Bibel skizziert wird: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 1,27).

Das heißt, der Mensch ist geschlechtsgeprägt, die weiblichen und männlichen Eigenschaften sind aufeinander zugeordnet, sie können zueinander in Spannung sein, aber sie widersprechen einander nicht. Es gehört daher zur menschlichen Seinsweise, daß es eine weibliche und eine männliche Weise des Erfahrens, des Denkens und Fühlens gibt. Wir kennen das aus unserer heutigen Industriegesellschaft, wo sich die Frauen gegen eine allzu männliche und einseitige Vorstellungsweise wehren. Macht uns bereits die Schöpfungsordnung aufmerksam, daß die konkrete gesellschaftliche Ungleichheit der Geschlechter nicht naturgegeben ist und daß ihre Gleichstellung eine Aufgabe ist, die zum Teil noch ansteht. Auch in diesem Zusammenhang — da jeder Mensch, Mann wie Frau, als Abbild Gottes gleichermaßen zum Heil berufen ist—müssen sich Christen die Frage stellen, ob sie in bezug auf den gesellschaftlichen und sozialen Status nicht an einer Sichtweise festhalten, die unter den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen von heute als Ungleichbehandlung von Mann und Frau empfunden wird.

Es geht heute um die Entfaltung der Persönlichkeit von Frau und Mann. Dabei ist zu beachten, daß hier der Mann neben dem ,Animus“ auch die „anima“, also frau liehe Persönlichkeitsanteiie, hat, genauso wie jede Frau neben der „anima“ einen „animus“ hat. Eine Aufteilung der Rollen, die Männern den Beruf in der Öffentlichkeit zuordnet und Frauen ausschließlich der Familie, bedroht die Persönlichkeit von Frau und Mann.

Dies begünstigt auch die verhängnisvolle Aufteilung in öffentliche und private Werte. Das heißt, auf der einen Seite für den Mann: geistig tätig sein, aktiv handeln, rational sein, gleichzeitig erfolgreich, gewinnend und beherrschend — solche Werte werden mehr oder weniger mit dem öffentlich-gesellschaftlichen Leben und damit mit dem Manne verbunden. Auf der anderen Seite gelten weibliche Werte wie weiblich, irdisch, erleidend, passiv, einfühlsam, emotional, irrational, hegen und pflegen, leiden und erdulden — solche Werte verknüpft man mit dem privaten und familiären Leben und damit ausschließlich mit der Frau.

Diese Halbierung der Rollen ist nicht ohne Folgen. In den letzten Jahren wird verstärkt gesehen, wie sehr auch die Männer in dieser Festlegung der Rollen an Menschlichkeit verlieren. Männer und Frauen werden einseitig, geradezu halbiert einander gegenübergestellt, sodaß beide sich nicht ganz in ihrer vollen Menschlichkeit entwickeln können, im Gegensatz zur Schöpfungsordnung. Im Aufbruch der Frauen liegt daher eine Chance, für Frauen und Männer, sich als ganze Menschen zu entfalten und zu entwickeln. Dies ist der Schöpfungsplan. Denn der Mensch ist als Mann und Frau geschaffen — ganz im Gegensatz zur Gleichmacherei.

,Da heute die Frauen eine immer aktivere Funktion im ganzen Leben der Gesellschaft ausüben, ist es von großer Wichtigkeit, daß sie auch an den verschiedenen Bereichen des Apostolates der Kirche wachsenden Anteil nehmen.“

(Dekret über das Laienapostolat, Art. 9)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung