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Mafiose Anti-Mafia?

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Im Dokumentarfilm über den mysteriösen Tod des italienischen ölkönigs Enrico Mattei gibt es eine Stelle, die nach Veröffentlichung des 1262 Seiten starken Untersuchungsberichtes der sogenannten Anti-Mafia-Kommission zu denken gibt. Der damals „beliebteste und bestgehaßte Italiener“ (Montanelli) lud vor seinem Abflug in Catania, wie Zeugenaussagen bestätigen, zahlreiche mehr oder minder prominente Sizilianer zur Reise mit seinem Privatflugzeug ein. Kein Einheimischer ließ sich überreden. Nur ein englischer Journalist folgte der Einladung nach Mailand, und so fand neben Mattei und seinem Piloten nur ein Ausländer, kein Sizilianer, den Tod in der Po-ebene.

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Im Dokumentarfilm über den mysteriösen Tod des italienischen ölkönigs Enrico Mattei gibt es eine Stelle, die nach Veröffentlichung des 1262 Seiten starken Untersuchungsberichtes der sogenannten Anti-Mafia-Kommission zu denken gibt. Der damals „beliebteste und bestgehaßte Italiener“ (Montanelli) lud vor seinem Abflug in Catania, wie Zeugenaussagen bestätigen, zahlreiche mehr oder minder prominente Sizilianer zur Reise mit seinem Privatflugzeug ein. Kein Einheimischer ließ sich überreden. Nur ein englischer Journalist folgte der Einladung nach Mailand, und so fand neben Mattei und seinem Piloten nur ein Ausländer, kein Sizilianer, den Tod in der Po-ebene.

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Freilich mag es ein Zufall gewesen sein, wie sie jedes Menschenleben in reicher Fülle bietet, daß kein einziger Sizilianer Matteis Aufforderung folgte. Wer besagten Untersuchungsbericht jedoch gelesen hat. wird stutzig. Allzu viel von dem, was auf Sizilien, Sardinien und weit herum auf dem Festland geschieht, erweist sich bei näherer Betrachtung keineswegs als Zufall, sondern ist das mathematische Ereignis eines vorher bis ins kleinste Detail einstudierten Plans, den „alle Eingeweihten kennen und den keiner zugibt“, dem sein eigenes Leben und das Fortkommen seiner Familienangehörigen teuer ist.

Täuschende Kriminalstatistik

In den letzten drei Jahren sind in Kalabrien — um ein Beispiel zu nennen — 18 Personen im „sar-dischen“ Stil erpreßt und erst nach Entrichtung von Lösegeldern im Umfang von 20 bis 100 Millionen Lire durch ihre Familienangehörigen Tage, Wochen oder Monate später wieder auf freien Fuß gesetzt worden. In diesem Zeitraum kam es zu 75 Morden. Sie waren meist das Ergebnis erfolgloser Erpressungen.

Durchschnittlich zweimal in der Woche erfolgen Sprengstoffanschläge auf Betriebsanlagen oder Privathäuser, ohne daß die Presse mehr als beiläufig darüber berichtet. Die öffentliche Meinung hat sich nachgerade an diese Gewaltakte gewöhnt. Sie geben längst keine Schlagzeilen mehr ab.

Wer nun meint, die Tragweite der kalabresischen Kriminalität käme in diesen Zahlen oder in der Indifferenz der öffentlichen Meinung zum Ausdruck, sieht sich von Silvestro

Prestifllippo eines besseren belehrt. In seiner Untersuchung über die „ehrenwerte Gesellschaft“ (Deckname für die Mafia aus der Zeit, da sie die Ehre der Einheimischen gegen Fremdherrschaft verteidigte) belehrt er uns, daß die Maflä-Chefs, die sogenannten Mafiosi, ihre Territorien so gut beherrschen, daß sie sich nur in den seltensten Fällen genötigt sehen, ihre Gewehre und Pistolen in Anschlag zu bringen oder gar den Drücker zu betätigen. Seiner Ansicht nach können die Großgrundbesitzer, Kaufleute, Viehzüchter, Ärzte und Anwälte, kurzum die Vertreter der Oberschicht, die nie von der Mafia unter Druck gesetzt worden sind, an den Fingern einer Hand gezählt werden. Allein in der Region am Stiefelabsatz entrichten 800 bis 1000 Personen den Handlangern der Mafia regelmäßg ihren Tribut.

Das Bedenklichste an der Mafia sind all die Anzeichen, die dafür sprechen, daß diese Verbrecherorganisation sich nicht nur mancher Wirtschaftsbereiche und der einen und änderen Staatsverwaltung und Parteizentfale, sondern sogar ihrer Verfolger bemächtigt hat. 1968 setzte das italienische Parlament zu ihrer Bekämpfung Hie sogenannte AntiMafia-Kommission ein. Während dreier Jahre kam es zu 310 Sitzungen und zu zwei Dutzend Lokal-aügenscheirten. Das Ergebnis war der bereits erwähnte mehr als 10ÖO Seiten starke UntersUchuhgsbeficht, „der jedoch mehr zu interessieren vermag durch das, was er verschweigt, als durch das, was er berichtet“ (Indro Montanelli). Wer jm dicken Band nach b&her Unbekanntem von Bedeutung sucht, wird bitter enttäuscht.

Daß die Publikation so lange auf sich warten ließ, erst geraume Zeit nach den Parlamentswahlen vom 7. Mai erfolgte, es schließlich nicht einmal mehrere Wochen nach einem wetteren für da Establishment ndcht ungünstig verlaufenden Urnengang nicht wagte, neue kompromittierende Namen herauszurücken und sich hinter allgemeinen Beschreibungen verschämte, „mit denen niemand viel anzufangen weiß“ (Silvano Milani), laßt vermuten, daß es die Mafiosi verstanden haben, sich selbst in der Anti-Mafia-Kommission Geltung zu verschaffen, und sei es auch nur, indem sie deren Mitglieder direkt oder indirekt unter Druck setzten, ,nicht über Gebühr aus der Schule zu plaudern. Bekanntlich wurden im Laufe der letzten vier Jahre einzeihe Angehörige der AntiMafia-Kommission bedroht und vor Monaten ist sogar belastendes Material aus ihren Regalen verschwunden. Komrmssionspräsident Francesco Cattanei erhielt seit 1969 an seine Privatadresse In Genua (die nicht im Telephonbuch vermerkt ist!) 500 Briefe von der Art: „Deine Tage sind gezahät. Wir werden Dich zusammenschießen wie einen Hund.“ Oder: „Habe nur keine falsche Zuversicht! Wir erwischen Dich auch im Ausland.“

Niemand hat bisher den Abgeordneten Cattanei Umgebracht. Der von ihm unterzeichnete Bericht ist allerdings so abgefaßt, daft kein Grund zu seiner „Kaltstellung'' besteht. Und um Cattanei vollends der Welt zu erhalten, hat jeitzt ein anderer Parlamentarier den Vorsitz der offenbar mafiosen Anti-Mafia-Kom-misslon übernommen!

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