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Magere Jahre

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Die Bundesregierung hat die Elektrizitätsversorgung Österreichs im kommenden Winter für gefährdet erklärt und damit den Bundeslastverteiler ermächtigt, bei Eintreten akuter Stromknappheit Sparmaßnahmen und Abschaltungen anzuordnen. Österreich, das klassische Stromexportland, muß sparen? Wie konnte das geschehen?

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Die Bundesregierung hat die Elektrizitätsversorgung Österreichs im kommenden Winter für gefährdet erklärt und damit den Bundeslastverteiler ermächtigt, bei Eintreten akuter Stromknappheit Sparmaßnahmen und Abschaltungen anzuordnen. Österreich, das klassische Stromexportland, muß sparen? Wie konnte das geschehen?

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Die Rezession der zweiten Hälfte der sechziger Jahre hatte auch in Österreich zu einem Rückgang der bis dahin stark steigenden Stromverbrauchszunahme geführt: Doch dieser Rückgang war nur von kurzer Dauer, mit dem Wiederaufschwung der Konjunktur nahm der Stromverbrauch wieder kräftig zu. Gegenwärtig steigt er im Durchschnitt um etwa 7 Prozent im Jahr, der Stromverbrauch der Haushalte wuchs zeitweise bis zu 12 Prozent. Doch jene Kraftwerke, deren Bau in den Jahren 1967, 1968 und 1969 hinausgeschoben worden ist — als man von Überkapazitäten und gigantischen Fehlinvestitionen der E-Wirtschaf t sprach — können jetzt nicht rasch genug herbeigeschafft werden. Dazu kommt noch, daß Österreich bereits das zweite extreme Trocken jähr hintereinander verzeichnen muß und das Wasserangebot um fast ein Drittel unter jenem des langjährigen Durchschnitts liegt.

Trotz der beruhigenden Erklärungen der Elektrizitätsgesellschaften und des Verkehrsministers, es werde in diesem Winter zu keinen Stromsparmaßnahmen kommen müssen, ist die Situation der österreichischen Energieversorgung keineswegs rosig. Wohl wird nächstes Jahr das Donaukraftwerk Ottensheim/Wilhering in Betrieb gehen, aber 1974 und 1975 werden wieder magere Jahre der österreichischen E-Wirtschaft werden. Erst die Betriebsaufnahme des ersten österreichischen Kernkraftwerks im Jahr 1976 wird die Situation etwas verbessern.

Demgegenüber steht aber eine nahezu unkontrollierbare Zunahme des Stromverbrauchs der einzelnen Haushalte und ein ständiges Ansteigen des industriellen Stromverbrauchs. Um die gegenwärtig schwierige Situation überhaupt unter Kontrolle bringen zu können, mußte die Verbundgesellschaft massive Stromimporte aus Rumänien, Italien und zum Teil aus Jugoslawien tätigen. Doch auch in anderen europäischen Staaten wird Strom zur Mangelware: Importverträge werden immer schwieriger und teurer (siehe „Furche“ Nr. 49/72).

Der mögliche Ausweg aus der Krise, nämlich der forcierte Bau von Kraftwerken, scheitert aber an Umweltproblemen ebenso wie an dei Kostenfrage und der begrenten Baukapazität. Der einzig mögliche Ausweg scheint zunächst also das Ausweichen auf andere Energieträger — wie etwa Erdgas oder Erdöl zu sein Doch auch bei diesen hat sich die Situation innerhalb der letzten beider Jahre entscheidend geändert: dei größte Erdgaslieferant Europas, di« Sowjetunion, hat die ungeheure wirtschaftspolitische Bedeutung ihre] Erdgasexporte in vollem Maße erfaßt und ist dabei, ihre Exportkonzeption zu überdenken. Das führl sicherlich zu einer Erhöhung de;

Erdgaspreises für Österreich, aber auch zu der unerfreulichen Tatsache, daß der Antrag auf eine verdoppelte Erdgaslieferung noch immer nicht zur Vertragsreife gediehen ist. Auch Erdgas scheint also nicht mehr der Ausweg zu sein, der es noch vor wenigen Jahren zu werden andeutete: bleibt das Erdöl. Und gerade am Beispiel Erdöl läßt sich zeigen, wie unsicher die Energieversorgung der westlichen Hemisphäre insgesamt geworden ist: Ein Energieträger, der in den letzten Jahren immer billiger geworden ist, zeigt plötzlich eine rückläufige Entwicklung. Auf Grund der politischen Konzeption der wichtigen Förderländer im mittleren Osten einerseits und der gigantisch gestiegenen Aufschließungskosten hat eine Preisbewegung bei Rohöl eingesetzt, die noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht haben wird.

So stellt sich die Situation der europäischen und der österreichischen Energieversorgung bereits Anfang der siebziger Jahre als kritisch dar — und das zehn Jahre, bevor Wissenschaftler die große Krise vorausgesagt haben. Die nächsten zehn Jahre werden sicherlich Forschungsergebnisse und Funde neuer Energien bringen, aber eins scheint sicher: die Zeit der billigen, In unbeschränkter Menge vorhandenen Energie ist vorbei.

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