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Magyaren rinden zu sich selbst

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Uns allen, die wir vor den Fern- sehschirmen oder via Rundfunk die „Weihnachtsrevolution" in Rumä- nien miterlebt haben, schien der rumänisch-ungarische Zusammen- schluß ein historisches Ereignis, das gute Chancen auf Dauerhaftigkeit hatte. Der Kampf gegen den ge- meinsamen Feind, die kommuni- stische Diktatur, schmiedete auf den Straßen von Temesvär beide Völker zusammen. So konnte der ungarische reformierte Pfarrer und jetzige Bischof Läszlö Tökes zur Leitfigur der Revolution werden.

Die Neuerstarkung und Selbst- findung der Ungarn in Sieben- bürgen, Partium und im Banat setz- te bereits ein, als die Waffen noch sprachen. Die von der brutalen totalitären Diktatur befreite Sie- benbürgische Intelligenz trat inner- halb kürzester Zeit mit konkreten Vorschlägen und Programmen vor die Öffentlichkeit des Landes. Mit Berufung auf die demokratischen Freiheitsrechte und die staats- bürgerliche Gleichrangigkeit aller Minderheiten in Rumänien formu- liert das Programm die Zukunft der Nationalitäten in Rumänien.

Der Verband Ungarischer De- mokraten in Rumänien betonte am 13. Jänner 1990 in einer Ab- sichtserklärung, daß jegliche Ent- rechtung, eine zunehmende Be- schneidung der Rechte der Minder- heiten, die Praxis der gewaltsamen Assimilierung - wie sie in den ver- gangenen Jahrzehnten praktiziert wurde - eng mit der Verletzung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte verbunden sei. Auf der Grundlage der demokratischen Freiheitsrechte stellte der Verband - in Abweichung von den seit 1945 verfolgten Praktiken - mit unver- kennbarem Selbstbewußtsein fest, daß er nicht gewillt sei, die Benach- teiligungs- und Verzichtstaktiken, Kompromißlösungen weiterhin in Kauf zu nehmen, sondern seinen Forderungen nötigenfalls auch mit politischen Mitteln Geltung zu verschaffen bereit sei.

Für Nichteingeweihte ist die Tat- sache, daß im Frühjahr 1990 bluti- ge Pogrome mit Toten und Verletz - ten gegen die ungarische Minder- heit in Siebenbürgen stattfinden konnten, auch in Kenntnis der schwerwiegenden inneren Wider- sprüche in den Entwicklungen Ru- mäniens kaum faßbar. Rumäniens Machtinteressen wurden - und werden auch heute noch - nicht nur von Anhängern des Ceausescu- Clans vertreten, sondern auch von der berüchtigten „Vatra Roma- neasca", einer faschistischen Ver- einigung, die völlig ahnungslose, zum Teil betrunken gemachte Bau- ern (die mit Bussen eigens nach Marosväsärhely/Tirgu Mures ge- bracht worden waren) aufgewie- gelt und auf die Ungarn gehetzt hat.

Was kann das (nicht in Sieben- bürgen lebende) Ungartum in die- ser Situation tun? Es kann nur mit Selbstbeherrschung und Disziplin seine feste Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, daß es nicht gewillt ist, tatenlos zuzusehen, wie Ungarn in Rumänien offen verfolgt werden, und daß es auf internatio- nalen Foren sich mit aller Macht für die Ungarn in Siebenbürgen, für den Abschluß von Verträgen zum Schutz der Minderheiten und für allgemeine Garantien einsetzen wird.

Es scheint, als habe die Revolu- tion in Rumänien - abgesehen von der dort lebenden ungarischen Min- derheit - nur die Oberfläche er- schüttert, und als lebe darunter, wenn auch abgeschwächt, das alte Regime weiter und bediene sich jedes Mittels, in erster Linie der chauvinistischen Gefühle, um sich weiter an der Macht zu halten. Es hat sich auch herausgestellt, daß die demokratischen Traditionen des Rumänentums (und da muß auch ein Teil der rumänischen Emigran- ten miteinbezogen werden) kaum Anhaltspunkte für die Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung bieten.

Während der Schreckensherr- schaft der Ceausescu-Ära wurde durch primitivsten Nationalismus und chauvinistischen Haß das Volk tagtäglich vergiftet und der Fähig- keit eines selbständigen Urteilsver- mögens systematisch beraubt. Auch die Stellungnahmen der neugegrün- deten bürgerlichen Parteien be- züglich der Probleme der Min- derheiten sind noch sehr wie- dersprüchlich. Angesichts der spon- tanen und selbstlosen Hilfs- bereitschaft der ungarischen Be- völkerung wurden prompt ungarn- feindliche, chauvinistische Nach- richten verbreitet. Seitens der Re- gierung wurde gegen die Zensur ungarischer Presseprodukte bislang noch nichts unternommen.

Die Prager „stille Revolution" verlief in Preßburg (Pozsony/Bra- tislava) und anderen slowakischen Städten vielleicht noch stiller, wie auch die Diktatur dort mit verfei- nerten Methoden gearbeitet hatte, was natürlich nicht bedeutete, daß die ungarische Minderheit hier nach 1945 und 1968 weniger verfolgt worden wäre. Aber immerhin durf- te der Verband Ungarischer Arbei- ter in der Tschechoslowakei - wenn auch in beschränktem Rahmen - seine Tätigkeit ausüben, und auch der von Milos Duray geführte Aus- schuß für den Rechtsschutz der ungarischen Minderheit in der Tschechoslowakei konnte seine Arbeit - mehr oder weniger illegal - ausüben.

Bereits im November 1989 wur- den dann die Organisationen „Un- abhängige Ungarische Initiative" und „Öffentlichkeit gegen Gewalt" zum Rechtsschutz der Minderhei- ten ins Leben gerufen. Der Aktivi- tät der Massen, die hinter diesen beiden Organisationen stehen, ist es zu verdanken, daß sie sowohl im Prager Föderativen Parlament als auch im Preßburger Republikspar- lament durch eigene Repräsen- tanten vertreten sind. In der slowa- kischen Regierung vertritt Sändor Varga als Vizepräsident die Inter- essen der Minderheiten.

Sowohl den rumänischen als auch den tschechoslowakischen Ungarn ist die Verwirklichung der rechts- staatlichen Verhältnisse in den beiden Ländern von grundlegen- dem Interesse. Von den verschiede- nen Parteien in Ungarn darf die Angelegenheit der ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaa- ten nicht als politische Kampagne mißbraucht werden. In diesem Zusammenhang kommt auch der Zusammenarbeit der ungarischen Organisafionen in Rumänien, der Tschechoslowakei und Österreich künftig mehr Bedeutung zu.

Kurzgefaßt aus: „Bccsi naplö", März-April 1990,1 ff.

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