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Mahlers Dritte

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Im gleichen Jahr (1896), da „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss uraufgeführt wurde, vollendete Gustav Mahler in seinem Komponierhäuschen am Attersee die III. Symphonie. Es war die Zeit der großen Nietzsche-Mode, der Zara-thustra-Begeisterung. Aber während Strauss sein Idol sozusagen mit Haut und Haaren komponierte, nahm Mahler für die zentrale Vokalpartie seiner neuen Symphonie nur elf Zeilen aus Nietzsches berühmtem Buch, die mit den Worten beginnen: „O Mensch, gib acht!“

Diese Dritte mit einer Spieldauer von 90 Minuten war — und ist — die umfangreichste Symphonie. Sie besteht aus zwei Abteilungen: einem gewaltigen, 33 Minuten dauernden Stirnsatz und einer „zweiten Abteilung“ mit fünf kürzeren Sätzen, deren programmatische Titel Mahler später getilgt hat. Im Programm des Konzerthauses, wo das Opus maxi-mum am vergangenen Freitag durch die Wiener Symphoniker, den Frauenchor der Singakademie, die Wiener Sängerknaben und Helen Watts als Solistin unter der Leitung von Hans Swarowsky aufgeführt wurde, feiern sie fröhliche Urständ. Aber schon einer der frühesten Mahler-Kommentatoren, Friedrich Schie-dermaier, hatte geschrieben: „Erst nach Vollendung des Werkes suchte der Schöpfer nach Worten für seine Tonsprache.“ Es war die seines „musikalischen Weltentraums“, wie Mahler selbst einmal sagte, und Bruno Walter, beim Komponisten am Attersee zu Gast, war der erste, der sie vernahm ...

Hans Swarowsky ist einer der letzten, der in einer noch lebendigen und wirksamen Mahler-Tradition aufgewachsen ist. Das spürt man im ganzen und im Detail. Er dirigiert Mahlers Werk wie das eines großen Klassikers oder Romantikers: ohne Ekstase — was Intensität nicht ausschließt —, straff, energisch und genau. Auch die Lyrismen kommen zur Geltung: nur meint man zu bemerken, wie verschieden er sie wertet. Und sie sind ja auch nicht alle auf der Höhe des Altsolos. Dieses sang mit noblem Ausdruck Helen Watts, deren Lieblingskomponist Mahler ist. Die Symphoniker hatten einen besonders guten Tag, der Frauenchor desgleichen, und die Sängerknaben skandierten munter ihre Verse von den himmlischen Freuden.

Am erfreulichsten: daß man heute mit einer Mahler-Symphonie, auch ohne Bernstein, den Großen Konzerthaussaal füllen kann — und daß sich soviel Jugend im Publikum befand, dessen Jubel kein Ende nehmen wollte. (Im Programmheft sind fünf Schallplattenaufnahmen mit Mahlers Dritter aufgezählt: die des Concert-gebouw unter Haitink, der New Yorker Philharmoniker unter Bernstein, -des Bayrischen Rundfunkorchesters unter Kubelik, des Boston Symphony Orchestra unter Leinsdorf und des London Symphony Orchestra unter Solti. Auch das hätte, vor 20 Jahren, noch niemand für möglich gehalten!)

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