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Majorz statt Proporz

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Vor einiger Zeit meinte Bundesminister Ferdinand Laci-na, daß es für ihn „unvorstellbar ist", daß nach der letzten, im Herbst 1983 vom Parlament beschlossenen Subvention in Höhe von 16,6 Milliarden Schilling „das Geld der Steuerzahler noch einmal in Staatsbetriebe fließen soll. Wer es jetzt - im Herbst 1985 -nicht schafft, muß alle Konsequenzen aus eigenem tragen".

Doch es ist alles schlimmer, viel schlimmer gekommen. Das Unvorstellbare wurde wahr, und die Konsequenzen daraus müssen — wer sonst? — die Steuerzahler tragen.

Am 16. Jänner nahm die Republik Österreich auf dem bundes-

deutschen Kapitalmarkt eine Anleihe in Höhe von 600 Millionen D-Mark für die Finanzierung ihrer in ein schlimmes wirtschaftliches Debakel geschlitterten verstaatlichten Industrie auf. Die Aufnahme von weiteren 500 Millionen D-Mark ist für die nächsten Wochen geplant.

Auch der österreichische Kreditapparat wird in nächster Zeit von der Republik Österreich stark in Anspruch genommen. Die Rede ist von einem Fünf-Milliarden-Schilling-Kredit, den der heimische Kreditapparat bereitstellen soll.

Uber die Schuldenhöhe der verstaatlichten Industrie beim heimischen Kreditapparat liegen keine verläßlichen Angaben vor. Optimistische Schätzungen sprechen von einem Betrag von etwas mehr als 100 Milliarden Schilling, wozu noch Bundeshaftungen von weiteren 50 Milliarden Schilling kommen sollen.

Die Regierung und die verstaatlichte Industrie hüllen sich darüber in Schweigen. Die Österreicher — auf dem Papier immerhin die wahren Eigentümer dieses großen wirtschaftlichen Sektors — werden mit Informationen auf Schonkost gesetzt.

Die kaum faßbaren Schulden sind ein trauriger Indikator für die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse unserer verstaatlichten Industrie, aber auch dafür, daß die Verluste bei den Intertrading-und Merx-Spekulationen im'öl-handel vergleichsweise gering sind.

Nicht die spekulativen Geschäfte im ölhandel, sondern die Art und Weise, wie in der verstaatlichten Industrie gewirtschaftet wird und — angesichts der politischen Vorgaben — wohl gewirtschaftet werden muß, haben zur tristen Lage geführt.

Die Kompensations- und Spekulationsgeschäfte werden als kapitalistischer Sündenfall in einem an sich guten System von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung hingestellt. Man schlägt auf Posch, Preschern und Scheichl, um die wahren Ursachen des Debakels zu verschleiern. Man will den gewiß problematischen Parteien-Proporz in , der verstaatlichten Industrie ausmerzen und einen Regierungs-Majorz einführen.

Das ist eine wichtige Vorentscheidung für das offensichtlich geplante Fortwursteln in der verstaatlichten Industrie.

Bundesminister Ferdinand La-cina lieferte dafür erst in jüngster Zeit einen bemerkenswerten Beweis: Der SPÖ-Bürgermeister der steirischen Gemeinde Rottenmann - er war früher Betriebsrat bei Bauknecht - wurde mit der Führung der hochdefizitären Austria-Haustechnik betraut. Dieses Unternehmen gehört zur staatlichen Pleiten-Holding GBl, für deren Kredite und Verluste die Republik Österreich haftet.

Solange es eine verstaatlichte Industrie gibt, und zwar nicht nur in Österreich, wird und muß sie unter politischem Einfluß stehen. Die einzige Form der „Entpoliti-sierung" besteht in der Privatisierung.

Eine Milderung des politischen Einflusses wäre über den Weg der Teil-Privatisierung (und zwar durch die Ausgabe von stimmberechtigten Stamm-Aktien) möglich.

An beides scheint die gegenwärtige Regierung nicht im Traum zu denken. Sie hat es auch schon bisher nicht beim bloßen politischen Einfluß und bei einer strengen politischen Kontrolle bewenden lassen, sondern sie hat die verstaatlichte Industrie unter ihr politisches Kuratel gestellt.

Unternehmenspolitische Entscheidungen werden in der ÖIAG, in Linz, Judenburg und Ternitz stets unter Bedachtnahme partei-

politischer Verhältnisse getroffen. Das mag parteipolitisch rational sein, betriebswirtschaftlich war und ist das eine schier unerfüllbare Vorgabe für eine rationale Unternehmenspolitik und für gute Bilanzen.

Soll die verstaatlichte Industrie unter der Bedingung der derzeit herrschenden Eigentumsverhältnisse reformiert werden, so bedarf es dazu keiner (ohnedies unmöglichen) „Entpolitisierung", sondern der Befreiung der Vorstände und Aufsichtsräte aus ihrem politischen Kuratel.

Die Regierung operiert mit dem schönen Schlagwort vom „Ende des parteipolitischen Proporzes" und will an dessen Stelle den regierungspolitischen Majorz setzen. Damit wäre die verstaatlichte Industrie von jeder oppositionellen Einflußnahme und Kontrolle „befreit".

Was hier als klare politische Verantwortung der Regierung (oder des Verstaatlichten-Ministers) bezeichnet wird, ist in Wahrheit eine Neuverteilung der politischen „Besitzstände", die der Verfestigung der so ungeliebten Regierungskoalition zwischen Sozialisten und Freiheitlichen dienen soll. Es wird demnach keine wirtschaftliche Reform angestrebt, sondern eine Neu-Parzel-lierung der politischen Landschaft.

Bot der wirklich nicht unproblematische politische Proporz bislang allen daran beteiligten Gruppen eine Garantiefunktion, die dem ohnedies schon zersplit-

terten innenpolitischen Gebilde einen Halt gab und (noch) immer gibt, so soll künftig der regierungspolitische Majorz selbst bei extrem knappen politischen Mehrheitsverhältnissen auch in die verstaatlichte Industrie einziehen.

Nur noch Leute, die sich aus ideologischen Gründen oder aus purer Berechnung den an der Regierungsmacht beteiligten Gruppen anschließen, haben noch die Chance, wichtige Funktionen in der verstaatlichten Industrie zu besetzen. Das aber ist nicht die Mehrheit, sondern eine Minderheit, weil sich der Großteil der Österreicher parteipolitisch nicht (mehr) engagiert.

In den letzten Jahren wurden die Führungspositionen in der verstaatlichten Industrie zu einem wesentlichen Teil mit als „Unke Theoretiker" auch in der SPÖ bezeichneten Mitarbeitern der Wiener Arbeiterkammer besetzt. Dabei kam jedenfalls der Verdacht der „Günstlingswirtschaft" mit den schlimmen Folgen für die verstaatlichte Industrie auf.

Nun, so scheint es, will man das Reservoir für die Vorstände und Auf sichtsräte in der verstaatlichten Industrie um den „Atterseer Kreis" der FPÖ vergrößern. Damit wird weder eine „Entpolitisierung" betrieben noch der Proporz aufgekündigt.

Das ist auch keine Reform, sondern unter den gegebenen Möglichkeiten der radikalste Schritt, die Schwierigkeiten der verstaatlichten Industrie zu verschärfen, die Krise der verstaatlichten Industrie zu verlängern und den Schaden für alle zu vergrößern.

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