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Malipiero im „Massimo“

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Am 16. Mai 1897 wurde mit Verdis „Falstaff“ das „Teatro Massimo“ von Palermo eröffnet. Ursprünglich als ein gigantisches Opernhaus mit mehr als 3000 Plätzen geplant, wurde bereits 1864 von einer Jury, die Gottfried Semper präsidierte, das Projekt des Palermers Battiste Filippo Basile ausgewählt. Aber diesem erging es so wie Semper mit der Dresdner Hofoper. Erst der Sohn konnte das Werk vollenden: den auf einem mächtigen Areal von 7730 Quadratmeter errichteten klassizistischen Bau, ein ungemein geräumiges und sehr schön ausgestattetes Logentheater mit sechs Rängen für etwa 1600 Personen.

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Am 16. Mai 1897 wurde mit Verdis „Falstaff“ das „Teatro Massimo“ von Palermo eröffnet. Ursprünglich als ein gigantisches Opernhaus mit mehr als 3000 Plätzen geplant, wurde bereits 1864 von einer Jury, die Gottfried Semper präsidierte, das Projekt des Palermers Battiste Filippo Basile ausgewählt. Aber diesem erging es so wie Semper mit der Dresdner Hofoper. Erst der Sohn konnte das Werk vollenden: den auf einem mächtigen Areal von 7730 Quadratmeter errichteten klassizistischen Bau, ein ungemein geräumiges und sehr schön ausgestattetes Logentheater mit sechs Rängen für etwa 1600 Personen.

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Nach wechselvollen Schicksalen, sowohl was die Administration, die künstlerische Leitung und die Finanzierung des Spielbetriebes betrifft, hat mit dem Jahr 1957 eine neue Ära begonnen: als Baron Leo-poldo De Simone zum Generalintendanten ernannt wurde. In diesen 15 Jahren hat man nicht nur den Spielplan erneuert und modernisiert, es sind in dieser Zeit in Gastspielrollen fast sämtliche berühmte italienische Sängerinnen und Sänger dem Musikpublikum von Palermo vorgestellt worden. Um nur die Namen einiger weiblicher Stars zu nennen: die Damen Callas, Carteri, Sciutti, Ratti, Stella, Tucci, Zeini, Barbieri, Simeonato, Scotto, Frenl, Berganza, Cossotto und andere.

Sie glänzten vor allem im italienischen Repertoire. Es wurde aber auch das deutsche gepflegt. So gab es, neben mehreren Mozart-Opern, in der vergangenen Spielzeit einen Ring-Zyklus unter Matacic und vor kurzem einen „Rosenkavalier“ als Gastspiel der Stuttgarter unter Herbert Grafs Regie mit Wolfgang Ren-nert am Pult. Das hauseigene Ensemble hingegen hat zahlreiche Gastspiele bei internationalen Festivals absolviert und wird heuer nach Edinburgh reisen, um dort jene neuentdeckte Rossini-Oper vorzuführen, mit der am 9. Dezember 1971 die heurige Spielzeit eröffnet wurde: „Elisabetta Regina d'Ighilterra.“ — Für 1973 ist die Uraufführung der Oper „Lorenzaccio“ von Sylvano Bussotti vorgesehen.

Man gibt im „Teatro Massimo“ jede Oper und jeden Ballettabend acht- bis neunmal. Nur die Premieren beginnen um 21 Uhr, die normalen Aufführungen, mit Rücksicht auf das „bürgerliche Publikum“, jeweils schon um 18.30 Uhr. Als erstes italienisches Opernhaus hat 1964 die Direktion des „Teatro Massimo“ ein Abonnement für Studenten und Arbeiter aufgelegt. Ihnen offeriert man 13 Aufführungen für 11.000 Lire (also für etwa 440 Schilling). Das ist, verglichen mit den normalen Kartenpreisen der italienischen Opernhäuser, fast geschenkt.

Mit den Aufgaben der Administration sowie mit der Vertretung des Generalintendanten ist schon seit mehreren Jahren der erfahrene Dr. Pietro Düiberto betraut. Als künstlerischer Berater wirkt hier seit kurzem Gioacchino Lanza Tomasi, der auf dem Gebiet der Musik und der bildenden Kunst gleichermaßen kompetent ist.

Eine gegenwärtig in den großen Foyer-Räumen gezeigte Ausstellung von Bühnenbildern und Kostümentwürfen erinnert daran, daß hier nicht nur professionelle Ausstatter, sondern bildende Künstler von Rang, insgesamt 32, tätig waren. So bietet das südlichste europäische Opernhaus in letzter Zeit immer wieder Attraktionen. Die letzte war ein Malipiero-Abend.

*

Eine merkwürdige, durchaus vereinzelte Erscheinung in der italienischen Musiklandschaft ist der 1882 in Venedig geborene Gian Francesco Malipiero. Kurz vor der Jahrhundertwende studierte er Komposition am Wiener Konservatorium, 1908 bis 1909 besuchte er Vorlesungen bei Max Bruch in Berlin, und 1913 erlebte er in Paris den Uraufführungsskandal von Strawinskys „Sacre“. Seither hatte und vermittelte er viele Kontakte zu den Musikern Deutschlands und Frankreichs. Bereits vor 50 Jahren ließ sich Malipiero definitiv in Asolo bei Venedig nieder, wo er auch heute noch lebt — und schreibt (von 1932 bis 1953 lehrte er am „Liceo Musi-cale Benedetto Marcello“).

Vor kurzem beging Malipiero seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlaß gab es in mehreren italienischen Städten Feiern und Konzerte. Aber Malipieros Opern, die einen großen Teil seines kompositorischen Werkes bilden, wurden nicht aufgeführt. Mit einer Ausnahme, wie der führende römische Musikkritiker Fedele dAmico feststellte. „Meine Bühnenwerke sind mein Unglück“, sagte der greise Meister vor einigen Jahren. „Ich dachte an eine neue Form des Musiktheaters. Aber es war nur ein Traum.“ Malipiero hat nämlich dem Verismo und dem, was er „Melodram“ nennt, den Kampf angesagt. Unter dem Einfluß des Expressionismus, d'Annunios und Pirandellos hat er, meist auf selbstverfaßte Texte, aber auch angelehnt an große Werke der Weltliteratur, ein neues Genre geschaffen, das man in Italien, wo Verdi, Rossini und Puccini uneingeschränkt herrschen, nicht akzeptieren wollte („L'Orfeide“ von 1919 bis 1922, „Torneo Notturno“ von 1929, „Giulio Cesare“, „Antonio e Cleopatra“, „La Vita e “Sogno“, „Don Giovanni“ und andere.) Malipieros Opern sind von Symbolen und Allegorien beherrscht, die Arien werden durch kanzonenartige Gesänge ersetzt, die Texte sind meist kurz, dagegen gibt es große Chorpartien und Orchesterzwischenspiele, wenig Handlung, dafür Philosophie und Psychologie, aber nicht im Freud-schen Sinn. Für all das hat man in der Heimat des auch als Lehrer hochangesehenen Komponisten wenig Verständnis.

Die beiden Hauptwerke des Opernabends im „Teatro Massimo“ waren „Filomela und der Narr“, 1925 komponiert, drei Jahre später im Deutschen Theater in Prag und in London aufgeführt — in Italien bisher überhaupt nicht. — Die 1927 ge-

Franca Fabri: Filomela schriebene Fortsetzung „Merlin, Meister der Orgeln“, wurde jetzt erst in Palermo uraufgeführt. In beiden Werken geht es um Liebe und Tod: Filomela verkörpert die Musik, die absolute Schönheit, der Narr will sie für sich erringen und muß natürlich scheitern. Filomelas Wunsch, von der Liebe getötet zu werden, erfüllt sich, als das Schiff, auf dem sie sich befindet, mitsamt ihren Verehrern in Flammen aufgeht.

Zu Beginn des zweiten Werkes verkündet eine Sprecherin, daß der „Infatuato“ nicht tot, sondern in Merlin, dem Mastro d'Organi, wiedergeboren sei. Statt der Filomela symbolisieren jetzt „drei Schwestern“ die Kunst und die absolute Schönheit. Merlin hat die Gabe, durch sein gewaltiges Orgelspiel zu vernichten. Nur ein taubstummer Wanderer widersteht ihm und tötet Merlin. Dieser wird auf einem Scheiterhaufen verbrannt, ersteht aber wieder wie Phönix aus der. Asche: Symbol für die ewige Wiedergeburt der Schönheit und der Musik.

Die Musik Malipieros, der großen Vergangenheit, besonders dem 16. und 17. Jahrhundert verpflichtet, ist keineswegs asketisch oder konventionell. Sein aristokratischer. Traum schließt einen kühnen Avantgardismus nicht aus. Sein Orchesterklang ist farbig, oft üppig, die Stimmen sind sehr kantabel geführt, große Chöre greifen ein, das Ballett tritt in Aktion, alles hat die Realität und Phantastik des Traumes. Roberto Guicciardini hat das als Regisseur gut erfaßt und realisiert, Lorenzo Ghiglia schuf eine Reihe jugendstilhafter Bühnenbilder und phantastischer Kostüme, besonders für die die Musik verkörpernden Lautenspieler, Bläser und Trommler und Ettore Gracis hat mit einem Orchester von mittlerer Qualität eine eindrucksvolle Wiedergabe der komplizierten Partitur zustande gebracht. Von den Hauptdarstellern seien wenigstens Claudio Desderi, Carlos Volle. Simonelli und die anmutige Franca Fabbri genannt, die während des ersten Werkes fast 50 Minuten lang auf der Bühne stand. — Das den Abend beschließende letzte Stück „Uno dei dieci“, nicht länger als eine Viertelstunde, stammt aus Malipieros letzter Zeit, es ist eine Art lyrischer Konversation über den Untergang des alten Venedig, zeigt keine neuen Farben und hätte ebenso gut auch konzertant aufgeführt werden können.

Aber mit einem anderen Werk, das vor kurzem von der RAI in Rom uraufgeführt wurde, hat der 90jäh-rige mehr Aufsehen gemacht. Der lebenslange und dezidierte Gegner der Zwölftonmusik gab ihm den Titel lrA Belmonte“ (für Schönberg), und diejenigen, die es gehört haben bezeichnen seine ironisch-dodekaphonische (bewußt stümperhafte?) Machart als „hypokritische Huldigung“, die von jenem schwarzen Humor imprägniert ist, den Malipiero, der große Elegiker und Pessimist, stets geliebt hat..,

(Über den Ballettabend im „Massimo“ werden wir in der nächsten Folge der „Furche berichten.)

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