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Maliziöses vom Hügel

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Berndt Wessling, Jahrgang 1935, hat ein „Bayreuth mon amour“ betiteltes Buch von sich gegeben, dessen pseudoliterarischer, auf 206 Seiten zusammengemixter Inhalt zweierlei erkennen läßt: Erstens, daß die Schreibweise des Autors teilweise noch mit seiner embryonal-journalistischen Lehrzeit verhaftet ist, und zweitens, daß es ihm weniger um die Bayreuth behandelnden Kapitel als um ein möglichst auffälliges Herausstreichen seiner Bücher fabrizierenden Potenz zu tun ist. Aus dem Klappentext des im Herbig-Verlag, München-Berlin, erschienenen Bandes erfährt man von der emsigen bisherigen Tätigkeit des in Bremen geborenen Autors, die bereits eine Reihe von Sänger- und Musikerbiographien, Novellen, Romane, ein Theaterstück und eine Art Autobiographie umfaßt. Diese letztere verbirgt sich in dem Roman „Spatzen im Kanonenrohr“ und ist laut Angabe des Verlages als ein „deftigrealistisches, in genialer Schreibweise“ abgefaßtes Erfolgswerk anzusehen. Von solchen Vorzügen Ist in „Bayreuth mon amour“, der als „Tagebuch eines frivolen Genießers“ geführten Reportage von mehr als 20 am „Grünen Hügel“ verbrachten Festspielzelten, allerdings wenig zu verspüren, sofern man „maliziöse Formulierungen, stets amüsanten, oft frivolen Witz und frechen Humor“ nicht als besondere Werte anerkennt, wie dies eine von den Fähigkeiten des Autors anscheinend faszinierte Kritik tut.

Wenn auch ein objektives Urteil viele in der Hitler-Ära begangene Fehler und Mißstände in Bayreuth ohne weiters zugeben muß, so tritt doch die herabsetzende Tendenz nicht nur der Person und Werke Wagners, sondern der Festspiele überhaupt in dem Buch Wesslings überdeutllch hervor. Dazu bedient er sich einer maximal subjektivieren-den Kritik, die, ohne daß er es selbst zu merken scheint, von Urteilen anderer von Bayreuth vergrämter Personen beeinflußt ist und sich auf deren völlig unerwiesene, von Ihm aber als richtig erkannte Ansichten stützt. Wenn es beispielsweise bei Wagner um die angebliche Vaterschaft des Schauspielers Geyer geht und Wessling dafür einen Brief der durch ihr Mahler-Buch hinreichend charakterisierten Alma Mahler-Werfel heranzieht, gleichzeitig die „zur Antisemitln gewordene scheußliche Cosima“ erwähnt, so ist damit wohl genügend die fast wollüstige Freude gekennzeichnet, mit der der Skribent sich in die von ihm festgestellten, möglichst zahlreichen Bayreuth-Negative hineinkniet. Und direkt unappetitlich wirken die Bemerkungen, die er über die „übergroßen Zitzen und phallischen Türmchen“ der Bacchantinnen und Bacchanten in der Venusberg-Szene des „Tannhäuser“ macht, oder wenn er einen — anscheinend fiktiven — Monsieur Isidore über das „Schlamassel der peinlichen Eskapaden des sich dabei den Hals brechenden Wieland Wagner“ sprechen läßt. Diesem Herrn Isidore scheinen nach der Ansicht Wesslings alle Wagnerianer zu gleichen, die er „Wagner-Lemminge“ nennt und die dem todbringenden Komplex dieser Wander-Tiere unterliegen.

Welche vorzügliche Reporterschule Wessling mitgemacht haben muß, davon gibt sein Talent zum Aufspüren von Personen Zeugnis, von denen er sich eine Unterstützung seiner antiwagnerischen Haltung erwartet. Gewiß waren manche darunter, die sich mit Recht als von Bayreuth in der Nachkriegszeit Jm-Stich-Gelassene fühlen konnten, so die große Interpretin Wagnerscher Frauengestalten, Maria Müller, oder der bekannte, lange Jahre am „Grünen Hügel“ mitwirkende Heldenbariton Rudolf Bockelmann. Wie der im Juli 1954 von Bockelmann in Bayreuth eingeführte, damals 21jährige Wessling — er nennt es sein „Eulen-Debut“ nach der in Künstlerkreisen so frequentierten Gaststätte — über die „Wagner-Sippe“ denkt, darüber gibt seine Charakteristik der ihr angehörenden Personen Auskunft. Vor allem kommt ihm da das Enfant terrible der Wagner-Familie, Friedlind Wagner, das „Mausi“, sehr gelegen. Sie ist, wie Wessling befriedigt feststellt, auf Grund ihrer Broschüre „Nacht über Bayreuth“, zum „Bayreuther Scheißverein nicht zugelassen, da sie nach einhelliger Meinung des Clans verschissen hat“. Das ist die aus dem Jahr 1965 stammende, so prachtvoll forsche Ausdrucksweise dieses Bayreuther Kritikers. Winifred Wagner scheint als „Hohe Frau“ während des Naziregimes und als vollschlanke „Urerregerin“ auf, Sohn Wieland wird als „Bayreuth-Ent-rümpler, dickwangiger Brust-Fetischist, bleich- und bloch-süchtlg und als Spiritus cactor des Scheißvereines“ geschildert. Der 87jährige Robert Heger, der „große Werkgetreue Wagners“, wie ihn Wessling nennt, kommt als „Besitzer eines Graf-Bobby-Erlnnerungsver-mögens“ noch verhältnismäßig milde weg.

Wo es aber weniger um das den Buchtitel bestimmende Kapitel „Bayreuth“, dafür aber um so mehr um die glorifizierende mise en scene seiner eigenen Person geht, da legt sich Herr Wessling gewaltig Ins Zeug. Hierher gehört die Erwähnung von Bekanntschaften und die Bereitstellung eines die private Atmosphäre völlig mißachtenden Briefwechsels von und mit Persönlichkeiten wie Annette Kolb, Erika Mann, Max Brod, Ernst Bloch, den Komponisten Chatschaturjan und Zimmermann, den Dirigenten Bruno Walter, Hans Knappertsbusch, Manfred Gurlitt und dem „beim Essen kulturlos schlingenden“ Pierre Boulez sowie den Sängerinnen und Sängern Lehmann, Varnay, Nemeth, Windgassen, Vinay und Bockelmann. Mit solchen Namen hofft sich Herr Wessling wertsteigernd zu drapieren und ins Geschäft zu kommen.

BAYREUTH MON AMOUR. Von Berndt W. Wessling. F. A. Verlagsbuchhandlung München-Berlin. 206 Seiten, DM 19.80.

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