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Malta, Karfreitag, düstere Pracht

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Der Heilige mit der Schlange begegnet dem Fremden, der, irrend, eine Paradies-Geschichte vermutet. Doch keine Eva zeigt sich - und der vermeintliche Adam steht herrisch im üppigen Faltenwurf und nicht im Lendenschurz des Gartens Eden. Es ist der heilige Paulus, dessen Attribut auf Malta die Schlange ist. Die Apostelgeschichte berichtet das Ereignis. Als Schiffbrüchiger kam Paulus auf die Mittelmeerinsel und bekehrte ihren römischen Statthalter Publius durch den Eindruck zweier Wunder, durch Krankenheilung und eigene Immunität gegen den Biß einer Viper.

Uber die weite, sanft gegen die nördliche Küste abfallende Ebene der Insel mit ihren Steinwällen schimmert das Licht des Meeres von der St. Paul's Bay, in der der Apostel gestrandet sein soll. Wir stehen zwischen den beiden Städten Rabat und Mdina und wenden uns der alten Zitadelle zu, der ehemaligen Hauptstadt Maltas, die einst Melita hieß. Die Kathedrale St. Paul steht der Tradition nach an der Stelle der Villa des Römers Publius.

Die Stadt wirkt so ehrwürdig und gepflegt, daß der Besucher in das Schweigen der Menschen ganz selbstverständlich und ergriffen eintaucht. Mdina sei eine museale Stadt, werden Touristen belehrt. Das mag stimmen, aber nirgends sonst auf der Welt haben wir das Museale mit soviel Würde erlebt. Mdina demütigt sich vor keiner Gafflust. Daß heute Karfreitag ist und dieser Tag in ganz Malta in feierlicher Stille beginnt, trägt zu diesem Eindruck bei.

Vor dem Konvent der Karmeliter steht eine Menschenschlange und wartet ruhig auf Einlaß. Manche beten halblaut. Unter den Einheimischen stehen die Fremden, Briten zumeist, denen auch die Tafel über dem Eingang das Ereignis kundtut: „To the Last Supper“. Nach einer Weile betreten wir den abgedunkelten Raum, in dem es nach Gewürzen, gebratenem Lamm und Weihrauch duftet. Das Auge muß sich an das spärliche Licht der Öllampen gewöhnen. Auf einer Gitarre spielt ein junger Mann in einer Ecke eine traurige Melodie. In der Mitte des Raums steht die gedeckte Tafel. Ein mehrsprachiger Text auf einem Zettel, den wir am Eingang erhielten, klärt uns auf: Unter der Anleitung von geistlichen Professoren für Altes Testament und für biblische Altertumskunde haben die besten Köche Maltas die Speisen und Getränke des Letzten Abendmahls hier noch einmal zubereitet.

Eine kulinarische Andacht, ein duftendes Evangelium. Langsam umrunden die Besucher die Tafel. War es so, damals? Alle die Worte aus der Passion fallen einem ein, das Gespräch mit Judas, das Brot als Leib, der Wein als Blut.

Vor dem Ausgang am Boden ein rotes Tuch, darauf dreißig silberne Münzen.

Biblia pauperis? Eine sinnliche Annäherung an die Leidensgeschichte, die dem mitmenschlichen Begreifen des Ereignisses dient.

Das gelbe Licht des maltesischen Sandsteins blendet draußen.

Heilige Gräber befinden sich in allen Kirchen, mit phantastischen Theaterprospekten, ganze Bühnen voller Kulissen, manchmal sieht es aus, als würde hier Mozarts „Zauberflöte“ gespielt. Umgeben sind diese Heiligen Gräber stets mit einer Unzahl von Blumentöpfen, aus denen schleierund geisterhaft bleiche Gräser wuchern. Ein biologisches Gleichnis von Tod und Auferstehung. Gräsersamen werden im Kellerdunkel vorgekeimt. Wenn sie ans Licht kommen, ergrünen sie am dritten Tag und werden damit zum Zeichen der Auferstehung.

Am Nachmittag in der St.-Pauls-Kathedrale. Eine feierliche Versammlung, die Damen im schwarzen Schleier, die Männer in halblangen Röcken mit steifem Kragen“ oder weißer Halskrause, einige mit Orden an der Brust. Die Mesner im Frack mit weißen Handschuhen. Schweigend zieht das Kathedralkapitel ein. Von violetten Kragen abwärts die ganze Pracht maltesischer Spitzenkunst. Im Chorgestühl jeder ein Bild des Großinquisitors, stolze, asketische Gesichter über dem funkelnden Gold schwerer Brustkreuze.

Unter den Klängen eines herb männlichen Trauerchorals wird das lebensgroße Kreuz auf purpurnem Samt im Mittelgang gebettet. Die Zeremonie vollzieht sich mit hoher Präzision. Der Erz-bischof und sein Klerus schreiten zum Hauptportal. Dann kommen sie einzeln durch den Mittelgang, an dessen Seiten weißbehandschuhte Leviten Aufstellung genommen haben. Birett und Brustkreuz werden abgenommen. Dreimal werfen sich die Kreuzverehrer zu Boden. Und jedesmal wird ihnen im letzten Augenblick von den Leviten ein violetter Polster untergeschoben.

In strenger hierarchischer Reihenfolge schreiten anschließend die Honoratioren zur Kreuzverehrung. Zuerst die Männer, dann Frauen und einige Kinder. Wir wagen es in unserer touristischen

Adjustierung nicht, am Ritual teilzunehmen. Wir sind vermutlich die einzigen Fremden in der Kathedrale — und die behandschuhten Mesner, welche die Kreuzverehrung mit vornehmen Gesten dirigieren, machen auch keine Anstalten, uns dazu einzuladen.

Nach dem Ende dieses Gottesdienstes strömen die Besucher, mitten unter ihnen Domherren und Priester in Talaren, von Mdina hinüber in die Schwesterstadt Rabat. Die Nachmittagssonne wärmt. Der Straßenverkehr ist bereits von der Polizei gesperrt. Wir gehen mit der Menschenmenge durch Gassen, in denen bereits Stühle aufgestellt sind, auf denen Familien Platz genommen haben. Die Stimmung, die an diesem Karfreitag gedämpft erschien, ist nun plötzlich gelöster. Gelächter, Begrüßungen. Aus Türen werden weitere Sessel herausgereicht. Von allen Seiten strömen nun Menschenmengen in die Stadt.

In der Nähe der Franziskanerkirche finden wir in der Menge einen Platz in einer Mauernische. Touristen rüsten ihre Fotoapparate, uniformierte und durch Armbinden gekennzeichnete Ordner laufen auf und ab und machen die Gasse frei.

Die Karfreitagsprozession beginnt damit, daß zwei junge Männer über das Kirchendach auf den Glockenturm klettern und mit Hämmern in langsamem Rhythmus eine große Glocke anschlagen. Es klingt schauerlich. Eine für uns unsichtbare Musikkapelle intoniert einen Trauermarsch, dessen Motiv in den nächsten Stunden immer wieder aufklingt. Das dritte akustische Element sind Trommelschläge und das Schlurfen der Ketten der kreuztragenden, grau vermummten Büßer, die später in der Prozession erscheinen. Im Zusammenklang sind diese Geräusche unvergeßlich, sie gehen einem durch Mark und Bein.

Eine fahnentragende Pfadfindergruppe und etliche Ministranten schreiten voran. Und dann beginnt der Zug. Adam und Eva, die Paradiesesschlange, der Engel mit dem Flammenschwert. Die Reaktion der Zuschauer ist eigenartig: Beten, halblautes Singen, dazwischen Gespräch und Gelächter, Kommentare anscheinend über das Rollenspiel der Mitwirkenden.

Die Geschichte des Alten Bundes zieht vorbei: Melchisedech, Abraham und Isaak, Noe mit der Arche, bärtige Propheten, Moses mit den Gesetzestafeln. Manchmal stimmt die Chronologie nicht ganz. Ordner nehmen Umgruppierungen vor, werden durch Zuruf von Zuschauern auch aufmerksam gemacht, beraten sich mit umhereilenden Franziskanerpatres.

Dazwischen: Jugendgruppen, kirchliche Organisationen, Fahnen.

Schließlich: die Leidensgeschichte Christi. Die Apostel, die Hohenpriester, die römischen Kohorten, Judas mit Geldbeutel, Pilatus mit dem zerbrochenen Stab, ein stattlicher Gockel, der in seinem Nest mehr als dreimal kräht. Beifälliges Nicken und Staunen der Menge lohnt besonders gelungene Darstellungen. Doch das ist erst das Vorspiel. Jetzt kommen die vermummten, kreuztragenden Büßer, bloßfüßig, Ketten an den Beinen. Und hinter ihnen die Schreine. Lebensgroße Figurengruppen des Kreuzweges auf Tragaltären sind das, in ein Meer von Blumen getaucht, von Ampeln und Kerzen umgeben. Die Tragestangen ruhen auf den Schultern weißgekleideter Kapuzenmänner. Jeweils zwölf Männer tragen eine solche Station, die hoch über den Köpfen dahinschwebt. Die Last ist schwer. Die Schreine werden von Männern mit Stützstangen begleitet. In Abständen halten die Träger Rast und der Schrein wird abgestützt.

Die Zuschauer am Straßenrand treten immer wieder vor, berühren die Schreine, gehen ein Stück betend mit. Kinder werden unter den Schrein geschoben.

Die Sonne über den Giebeln von Rabat steht tief. Es ist vollbracht, Christus und die beiden Schacher am Kreuz. Die Menschen knien nieder, FraUen weinen. Plötzlich ist, was nicht ohne Freude am theatralischen Spiel begann, religiöser Ernst. Hände recken sich empor. Und immer wieder: dumpfer Trommel- und Glockenschlag, das Schlurfen der Ketten übers Pflaster.

Zuletzt ein goldener Prunkwagen, darin wie in einem Schneewittchen-Sarg der Leichnam Christi. Ein elektrisches Aggregat sorgt für blau-fahle Beleuchtung. Der Sarg wird vom Domkapitel begleitet und der Priesterschaft in schweren, goldenen Vespermänteln, gefolgt von weihrauchfaß-schwingenden Leviten.

Es wird Abend. Die Prozession dauert bis Mitternacht. Wir wollen zurück in unser Quartier fahren und haben nicht bedacht, daß der Leihwagen auf dem Parkplatz längst von der Menschenmenge umstellt ist.

So erleben wir dieses inbrünstige Schauspiel unfreiwillig noch einige Stunden. Es wird bei Einbruch der Nacht noch eindrucksvoller, wenn die beleuchteten Gestalten über der vieltausendköpfigen Menge schwankend zu schweben scheinen.

Ist es nur die Glaubenskraft und die Lust an sinnlicher Darstellung, die nicht bloß in Rabat, sondern in fast allen größeren Städten Maltas diese Karfreitagsprozessionen bewegt? Sie sind jedenfalls keine Fremdenverkehrsattraktion, wenngleich auch Touristen zuschauen. Möglicherweise geht es auch um eine politische Demonstration. Die Labour-Regierung Dom Mintoff s und seines Nachfolgers Bonnici steuert trotz hauchdünner Mehrheit einen scharfen Kulturkampf gegen die Kirche eines zu 98 Prozent katholischen Landes. Es ist vorstellbar, daß das Engagement für die Karfreitagsfeiern und andere öffentliche religiöse Feste auf der Insel der Kreuzritter der Ausdruck eines Protests ist gegen die Doktrin der neuen Herren im Großmeisterpalast von La Valetta.

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