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Man darf Kopf nicht in den Sand stecken!

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Nicht ausdrücklich als unfehlbar klassifizierte Äußerungen des kirchlichen Lehramts seien potentiell fehlbar, argumentierte Wolfgang Schmitz in Folge 15 der FURCHE. In Folge 30 meldete Rey. Diarmuid Martin aus Rom dagegen prinzipielle Bedenken an. Heute nimmt noch einmal der Erstautor Stellung.

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Nicht ausdrücklich als unfehlbar klassifizierte Äußerungen des kirchlichen Lehramts seien potentiell fehlbar, argumentierte Wolfgang Schmitz in Folge 15 der FURCHE. In Folge 30 meldete Rey. Diarmuid Martin aus Rom dagegen prinzipielle Bedenken an. Heute nimmt noch einmal der Erstautor Stellung.

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Worauf Rev. Diarmuid Martin mit seinem ersten Vorwurf der „haltlosen Konstruktion" anspielt, ist mir unverständlich: Weder habe ich versucht, einen „formalen" noch überhaupt einen „Widerspruch zwischen dem Ersten und dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu finden", noch wäre ein Widerspruch (wie andere Fälle zeigen) zwischen einzelnen lehramtlichen Formulierungen in einer im allgemeinen prinzipiell irrtumsfähigen Kirche Anlaß zu irgend einer Beunruhigung.

Viel schwerer wiegt der Vorhalt, ich hätte die Leser „getäuscht" - zunächst mit der Behauptung, die Enzyklika „Casti connubii" und „Humanae vi-tae" enthielten die Feststellung, der einzig moralisch erlaubte Zweck der Sexualität sei die Fortpflanzung.

Die Diskussion um diese beiden wenig glücklichen Enzykliken, deren letztere „eine schwere Krise innerhalb der katholischen Kirche herbeigeführt" hat (Karl Rahner, 1968), halte ich für abgeschlossen. Ich kann mich daher auf das beschränken, was auch den Widerspruch einiger FURCHE-Leser her-. ausgefordert hat und offenbar doch einer näheren Begründung bedarf.

Zunächst aber muß ich festhalten, daß ich in meinem Rezensionsartikel in fast allen Vorwürfen lediglich die (mir allerdings sehr plausiblen) Meinungen der besprochenen, durchaus katholisch-prominenten Autoren wiedergegeben habe, so auch mit der Beurteilung der bisherigen Sexualethik der Kirche als „einlinig auf die Zeugung ausgerichtet" (so der Moraltheologe (Prof. Hans Kramer, Tübingen).

Und nun zum Rundschreiben „Humanae vitae", das in den meisten Fällen die einschlägigen Formulierungen aus „Casti connubii" übernommen hat. Ist es wirklich eine „Täuschung der Leser", wenn festgestellt wird, die beiden Rundschreiben erweckten zumindest den Eindruck, der einzig moralisch erlaubte Zweck der Sexualität sei die Fortpflanzung, wenn man folgende Sätze in „Humenae vitae" liest:

„Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet" (Ziff. 9), so daß die Kirche lehrt, daß „jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muß" (Ziff. 11).

Obwohl Paul VI. von der Problematik der existenzbedrohenden Vermehrung der Weltbevölkerung weiß, beharrt er auf einer „von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung - die beide dem ehelichen Akt innewohnen", und daß „diese Verknüpfung der Mensch nicht eigenmächtig lösen" dürfe (Ziff. 12) und ähnlich (Ziff. 13).

Und welches Unverständnis gegenüber der selbständigen humanen Bedeutung der Sexualität als solche spricht aus dem Satz: „Wenn jemand einerseits Gottes Gabe genießt und andererseits - wenn auch nur teilweise -Sinn und Ziel dieser Gabe (das ist die Fortpflanzung) ausschließt, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der Frau und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan und heiligen Willen".

Muß es denn nicht als (zunächst wenigstens vielversprechende) Korrektur verstanden werden, wenn die Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute" feststellt: „Die Ehe ist aber nicht nur zur Zeugung von Kindern eingesetzt", sondern auch damit die gegenseitige Liebe der Ehegatten wachse und reife (Ziff. 50)?

Dann aber trifft dort die Bemerkung von Prof. Hans Kramer voll zu: „Das Geschlechtliche hat eine hohe, früher nicht genügend beachtete Individualbe-

deutung", insbesondere für die Partnerschaft.

Ich weiß, worauf sich meine Kritiker stützen: Auf die Zulässigkeit der freien Zeitwahl. Mit ihrer Hilfe soll es im Gegensatz zu den oben zitierten Postula-ten nun doch erlaubt sein, die geschlechtliche Liebe von der Fortpflanzung zu trennen.

Bedeutet diese Verweisung ausschließlich auf den oft ganz unzuverläß-lichen Zyklus als der einzig erlaubten Methode der Empfängnisvermeidung nicht (zumindest für sehr viele) de facto doch die alleinige absolute Zwecksetzung der Fortpflanzung?

Kann es da überraschen, wenn sich selbst so erfahrene Seelsorger wie zum Beispiel Pfarrer Hans Schinner (FURCHE Nr. 30) nicht nur „im Bedrängnis", sondern sogar „im Beweisnotstand" sehen?

Auch die Distanzierung der deutschen und französischen Bischöfe von einigen Meinungsäußerungen des Lehramtes hatte ich diesem durchaus überzeugenden Artikel Prof. Kramers entnommen. Die Verwunderung von Rev. Martin läßt befürchten, daß er diese ganze Literatur nicht kennt oder deren Anliegen und Argumente einfach ignorieren will.

Die auch von Prof. Kramer aufgezeigten Grenzen einer fairen christlichen Diskussion scheinen mir ebenfalls von meinem Kritiker überschritten, wennermirunterstellt.dendeutschenBi-schöfen eine „willkürliche Gewissensfreigabe" in der Sache Geburtenregelung nachzusagen. Schließt nicht eine „gewissenhafte Prüfung" eine „willkürliche" Entscheidung schon aus? „Am problematischesten" erscheint

dem Kritiker aus Rom meine „Tendenz, die Leser hinsichtlich aller kirchlichen Weisungen zu verunsichern und sie auf das .eigene Gewissen' zu verweisen".

Führe ich hier wirklich „in die Irre" angesichts der breiten Tendenz „vom Gesetz zum Gewissen" in der modernen postvatikanischen Moraltheologie, wie sfe nicht nur von Hans Kramer, sondern auch von Bernhard Häring u. a. vertreten wird?

Auch der bekannte katholische Sozi-alethiker und Theologe Johannes Messner vertritt den Standpunkt, daß seit der Diskussion um „Humanae vitae" dem „Einzelgewissen eine Verantwortung zuerkannt (wurde), von der bisher die Moraltheologie nur am Rande und nur in der Theorie handelte. Beherrschend aber war eine Gesetzesethik mit Verboten und Geboten als maßgebend für jede einzelne Gewissensentscheidung". Dazu seine Forderung: „Zur Gesetzesethik muß eine Entscheidungsethik kommen. Sittliches Handeln ist immer situationsbedingt" („Ehemoral und Entscheidungsethik", in: Hrsgb. A. Klose, R. Weiler, „Menschen im Entscheidungsprozeß", Wien 1971, SS. 375 und 388).

Am deprimierendsten ist der Einwand von Rev. Martin, der sich mit dem Tenor mancher Leserbriefe und einer gewissen Schicht der katholischen Öffentlichkeit deckt, daß eine Diskussion über unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Kirche, „verunsichert".

Was hier verunsichert, ist doch wohl die Realität der Fragestellung aufgrund neuer Erfahrungen, neuer Umstände, neuen Wissens, nicht aber diejenigen, die versuchen, darauf Antworten zu geben! Was wäre das für eine Sicherheit, die darauf beruht, daß wir den Kopf in den Sand stecken? Und was wäre das für eine katholische Publizistik, die über Probleme hinwegtäuschen würde, die Christen und NichtChristen existentiell bewegen?

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