Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Man darf uns nicht auf die Strafbank setzen
In der Schweiz wird das Amt des Bundespräsidenten von den sieben Bundesräten (Ministern) jährlich abwechselnd wahrgenommen. Zur Zeit hat Adolf Ogi das Amt inne.
In der Schweiz wird das Amt des Bundespräsidenten von den sieben Bundesräten (Ministern) jährlich abwechselnd wahrgenommen. Zur Zeit hat Adolf Ogi das Amt inne.
dieFurche: Was halten Sie von Gorbatschows Idee eines Europa der Regionen?
Bundespräsident Adolf Ogi: Ich
weiß nicht, ob er damit Gesamteuropa meint. Als ich kürzlich mit ihm sprach, ging es vor allem um die ehemalige Sowjetunion. Alle Regionen wollen ihre Identität behalten. Ein zentralistisches, auf Brüssel hin ausgerichtetes Europa sehe ich in naher Zukunft nicht. Ich glaube, die EG hat ihre endgültige Form noch nicht gefunden und es könnte noch zu neuen, regionalen Zusammenschlüssen kommen.
diefurche: Ist der Nationalstolz der Eidgenossen im Schwinden?
ogi: Gleich nach dem Nein zum EWR vom 6. Dezember 1992 hätte ich gesagt, Ihre Frage seit teilweise berechtigt. Heute zeigt sich jedoch, daß dieses Nein uns wachgerüttelt hat. Nun sind wir gezwungen, uns wieder auf uns selbst zu besinnen. Daß wir dabei sind, zeigt die Abstimmung vom
6. Juni. Wir sind wohl das einzige Volk auf der Welt, das über Flugzeugbeschaffungen abstimmen kann - und dann auch noch ja sagt. Dieser Entscheid hat mir vor Augen geführt, daß die Schweizer noch mit beiden Beinen auf dem Boden sind und wieder Tritt gefaßt haben. 1992 war schwierig, aber man hat bald eingesehen, daß es so nicht weitergehen kann.
diefurchk: Ist die Schweiz den neuen Herausforderungen durch EG und Ostöffnung gewachsen? OgI: Wir sind ein kleines Land und wir sollten uns nicht überschätzen. Wirtschaftlich und finanziell aber sind wir doch ziemlich stark. Vor allem, wenn man an die wirtschaftliche Kraft pro Kopf der Bevölkerung denkt. Ich glaube schon, daß in Anbetracht der Schwierigkeiten beim Aufbau Osteuropas und der GUS-Länder auch die starken Länder der EFTA wie Schweden, Finnland, Norwegen, Österreich und ganz besonders auch die Schweiz gebraucht werden. Es wäre falsch, nach dem Nein zum EWR die Schweiz in dieser Hinsicht als Quantite negligeable zu betrachten und unser Land gleichsam auf die Strafbank zu setzen. Das würden den Integrationsprozeß merklich schwächen. Europa wäre damit nicht gedient.
dieFurche: Wird die Schweiz früher oder später dem EWR oder gar der EG beitreten? ogi: Nur zehn Monate nach unserem Nein zum EWR, ist das noch kein Thema. Das Nein vom 6. Dezember bezieht sich indirekt auch auf die EG. Den EWR:Gegnern ist es leider gelungen, beides - EWR und EG - in den gleichen Topf zu werfen. Die Schweiz hat bis zum Fall der Mauer - in der Periode des Kalten Krieges - stets ihre guten Dienste angeboten, wie zum Beispiel bei den internationalen Konferenzen in Genf. Bis dahin hat unser Land eine zurückhaltende neutrale Außenpolitik betrieben. Diese bewußt passive Politik ist im Europa von heute überholt. Jetzt sind wir neu gefordert.
Nun müssen wir zunächst unsere Hausaufgaben machen und uns auch mit außenpolitischen Problemen besser vertraut machen, damit wir zu einem späteren Zeitpunkt erneut einen Schritt in Richtung europäische Integration wagen können. Ob der dann in die EG führt oder in den EWR oder in eine ganz andere, heute noch unbekannte Organisation, bleibt abzuwarten. Ganz bestimmt wäre es falsch, wenn die Schweizer in einer neuen Volksabstimmung darüber abstimmen würden, bevor Österreich, Finnland und Schweden der EG beigetreten sind.
In der Schweiz ist die Abstimmung zu früh erfolgt. Wir hatten nicht genügend Zeit, den Boden zu beackern und dem Volk die Zusammenhänge gründlich zu erklären.
Mit Bundespräsident Adolf Ogi
sprach Felizitas von Schönborn
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!