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„Man muß auf uns angewiesen sein’’

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Vom österreichischen Standort eines Weltünternehmens aus betrachtet, gibt es zur Europäischen Gemeinschaft (EG) keine Alternative. Die Konkurrenz der Wirtschaftsblöcke USA und Fernost und deren technologischer Vorsprung bringt Europa in Zugzwang. Der Binnenmarkt, der über den Schatten der vielen kleinen nationalen Märkte springt, ist die einzige Chance: „Es geht um das wirtschaftliche Uberleben Europas“, ist Walter Wolfsberger, der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, überzeugt. Ein Aspekt, der in der heimischen EG-Diskussion, die seiner Meinung nach „so eng österreichisch läuft“, viel zu kurz kommt.

Die Devise, die der Siemens-General für den rotweißroten Standort des Weltunternehmens formuliert, empfiehlt er auch der heimischen Wirtschaft als Richt-

schnur. „Wir müssen uns unentbehrlich machen, man muß auf uns angewiesen sein“, setzt Wolfsberger auf Vorwärts-Stra-tegie, mit der Erfahrung im Hintergrund, sich „im Wettbewerb mit anderen Länderstandorten ständig bewähren zu müssen“. Das heißt: technisch an der Spitze stehen, Know-how ansammeln, „damit man uns braucht“.

Am Unternehmensbeispiel: Die Verantwortung für den Bereich Ton- und Studiotechnik liegt bei der Siemens AG Österreich, die da weltweit die Stammhausfunktion innehat. Das Werk im west-steft-ischen Deutschlandsberg, das zur Siemens-Gruppe zählt, produziert keramische Bauelemente, nach denen weltweite Nachfrage besteht - 95 Prozent macht der Exportanteil aus. 99 Prozent der Chips, die im Werk Villach erzeugt werden - dort ist übrigens ein Entwicklungszentrum für Mikroelektronik angesiedelt — gehen in den Export.

„Uber je mehr Wissen ich hier verfüge, desto besser ist unsere Position. Wir müssen sowieso europareif sein, nur der Markt ist nicht da“, ohne Binnenmarkt jedenfalls nur mit großen bürokratischen und technischen Handelshemmnissen, projiziert Wolfsberger von der Gegenwart in die Zukunft.

Zu einem Vollbeitritt werde es nicht vor der zweiten Hälfte der neunziger Jahre kommen, wobei für den Siemens-General außer

Frage steht, „daß wir den Weg in den gemeinsamen Markt unter Wahrung unserer Neutralität einschlagen müssen“. Bedenken, die sich heute noch zeigen, scheinen ihm aus dieser Perspektive „überwindbar, wenn die Entspannung weiter voranschreitet“.

Wer Weichenstellungen aufschiebt, bleibt übrig. „Wir müssen heute Entscheidungen fällen, als wenn wir dabei wären“, plädiert Wolfsberger für eine offensive EG-Strategie, „Unternehmen, die zuwarten, sind schlecht beraten.“ Die Unternehmen müssen ihre Infrastruktur (auch Normen, Regeln, Systemtechnik) anpassen und sie müssen durch Allianzen, Beteiligungen beziehungsweise Tochterunternehmen internationaler werden. Das hat beispielsweise die Schweiz Osterreich voraus, wodurch die Position der Eidgenossen eine ungleich bessere ist.

Apropos Anpassung: Zur Bewältigung der ständig steigenden Zahl nationaler, besonders europäischer, und internationaler Bestimmungen hat Siemens ein Datenverarbeitungssystem erarbeitet, mit dem die verschiedenen Normensammlungen ständig aktualisiert werden. Ab 1995 kommt beispielsweise „endlich“ (Wolfsberger) ein europaweit harmonisiertes System für die Mobiltelefontechnik, Rahmenbedingungen, die für öffentliche Auftraggeber ebenso wichtig sind wie für das Unternehmen selbst.

Stichwort Harmonisierung: Dazu gehört für den Siemens-General auch die ÖBB-Einbindung in ein modernes gesamteuropäisches Eisenbahnnetz durch die „Neue Bahn“. Dazu ist eine wesentliche Verbesserung der Infrastruktur und des rollenden Materials unumgänglich.

Demnächst, merkt Wolfsberger nicht ohne Stolz an, wird mit der Inbetriebnahme des ersten elektronischen Stellwerkes Österreichs bei den ÖBB im Bahnhof Gänserndorf an der Nordbahn die Mikroprozessortechnologie auch für die sicherungstechnischen Aufgaben^ eingeführt.

Uber di*e Signal- und Sicherungstechnik hinaus stellen sich neue Herausforderungen, etwa im Waggonbau. Die zur Siemens-Gruppe gehörende Friedmann KG hat eine luftdruckfeste Klimaanlage mit hohem, zugfreiem Komfortklima für schnellfahrende Reisezugwagen entwickelt, aber auch ein Vakuumtoilettensystem, das nebenbei Umweltaspekte hat: Die unkontrollierte und unhygierüsche Beeinträchtigung des Bahnkörpers kann damit künftig verhindert werden.

Ahnliche Zukunftspläne wälzt man auch - in Gemeinschaft mit BBC und Elin - bei Siemens im Lokomotivbau. 1991 soll der Prototyp der Elektrolokomotive Reihe 1091 präsentiert werden, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 200 Stundenkilometern im Europa-Einsatz der „Neuen Bahn“ stehen soll.

Die Mitarbeiter des Unternehmens — die Siemens AG hat über 11.000, die Siemens-Gruppe über 15.000 Beschäftigte - müßten den Binnenmarkt nicht fürchten. „Bei Kostenvergleichen liegen wir im europäischen Vergleich gar nicht so schlecht“, sieht Wolfsberger gelassen der Entwicklung entgegen: „Bei den Arbeitskosten insgesamt sind wir immer noch billiger als die Bundesrepublik Deutschland, bei den Materialkosten dagegen teurer.“ Und in puncto Qualifikation hätten die Mitarbeiter keine Binnenmarkt-Konkurrenz zu scheuen. „Dem Arbeitnehmer kommt das“, so der Siemens-Generaldirektor, „auf mittlere Sicht absolut zugute.“

Wer sich zu Tode fürchtet, hat schon-obmitoderohneEG-ver-loren. „Wir brauchen“, sagt Wolfsberger, „eine Aufbruchsstimmung als Ausdruck unserer Konkurrenzfähigkeit.“

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