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Man sollte Kreisky seinen Willen lassen

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Dieser Tage wird Bruno Kreisky 70 Jahre alt. Zufällig erfährt man auch ge­rade jetzt, daß laut IMAS-Umfrage nur knapp mehr alsdie Hälfteder SPÖ- Wähler diese Partei auch ohne Kreisky „sicher“ wählen würden. Rund 250.000 Österreicher sind reine Kreisky-Wäh­ler.

So ist klar, was sich in nächster Zeit abspielen wird und was ja auch schon eingesetzt hat: der tausendfache Don­nerruf des „Kreisky, bleib“.

Zumindest vom Standpunkt der Re­gierungspartei aus scheint das zunächst einmal auch geradezu unausweichlich: Wäre es nicht zuviel verlangt von den Sozialisten, sie sollten ihr Zugpferd ohne Wenn und Aber gehen lassen?

Der Kanzler selbst spricht von seiner „festen Absicht“, 1983 nicht noch ein­mal zu kandidieren. Wer in solcher Si­tuation dafür eintritt, seinen Willen zu respektieren, wird sich nur schwer dem Vorwurf entwinden können, ihm ginge es mehr darum, Kreisky loszuwerden, als ihm willfährig zu sein.

Sei’s drum: Den unvermeidbaren Verdacht vor Augen, sei dennoch jen­seits aller Parteipolitik dafür plädiert.

Bruno Kreisky hat Tür dieses Land viel geleistet. Ein solcher Satz hat der FURCHE schon früher einmal von ei­nigen kritischen Lesern starken Wider­spruch eingetragen - er wird es wieder tun. Dennoch ist er beweisbar.

Ein Blick in die übrige, auch in die uns nahestehende westliche Welt ge­nügt dafür. Wir sind keine Insel der Se­ligen, aber ungleich besser dran als viele andere. Das ist gewiß nicht nur und wohl nicht einmal in erster Linie ein Verdienst unseres Regierungschefs. •- Aber auch das seine.

Es ist keine Schande, diese von einer großen Mehrheit der Österreicher ver­tretene Meinung zu teilen. Das schließt Kritik, auch härteste Kritik, an vielen Elementen seiner Politik nicht aus.

Vor allem aber unterstreicht nur ein solches Urteil glaubhaft die Schlußfol­gerung: Laßt Kreisky ziehen, wenn er möchte

„Ich habe einmal in einem kleinen Büchlein von Schopenhauer gelesen, daß man selber wissen muß, wann man gehen soll, und nicht so lange warten soll, bis sozusagen die eigene Sonne am Horizont langsam zu verschwinden be­ginnt“, sagte Kreisky am 11. Jänner 1976 in einem AZ-Interview.

Schopenhauer ist ein guter Ratgeber, jedenfalls für Agnostiker. Die Tatsa­che, daß in der Vergangenheit vieles ge­lungen ist, garantiert nichts für die Zu­kunft. Kein Hinweis auf Adenauer oder Johannes XXIII. vermag an der histo­risch .tausendfach belegten Erfahrung etwas zu ändern, daß die Wahrschein­lichkeit für zunehmende Peinlichkeit spricht.

Die meisten Menschen werden mit 70 nicht noch reger, lebendiger, phanta­sievoller, leistungsstärker. Im Gegen­teil. Auch bei Kreisky haben sich be­reits allzu deutliche Führungsschwä­chen gezeigt. Das wissen am allerbesten seine eigenen Parteifreunde. Deshalb wäre ein erzwungener Verbleib nicht einmal für die SPÖ längerfristig ein Plus.

Kreisky ist aber als Kanzler nicht Parteibesitz. Ihn mit Würde aus seinem Amt scheiden zu sehen, ist ein An­spruch aller Österreicher

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