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Man sollte weniger lügen!

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Um es vorweg zu nehmen: aus praktischen Gründen.,

Nachdem ich eine Monarchie, einen Ständestaat, eine terroristische Diktatur, ein Besatzungsregime und zwei Republiken durchlebt habe, zählen nur noch Erfahrungswerte,

Gewiß, da war jener 17. August des Jahres 1917, als zum erstenmale des Kaisers Geburtstag mit meinem eigenen zusammenfiel, der Tag, an dem ich an der Hand meiner Großeltern auf dem Semmering die mir, dem Fünfjährigen, gigantisch erscheinende Front des Hotels Panhans entlangging und die Fahnen sah, diesen Farbenrausch aus Schwarz-Gold, Rot-Weiß-Grün und Rot-Weiß-Rot, der sich nur noch einmal wiederholen sollte, um dann im November des Jahres 1918 jählings zu erlöschen und einer traurigen Verlotterung Platz zu machen.

Da war der April des Jahres 1922 und der Tag, an dem ich erfuhr, daß man den Mann, der den Frieden um jeden Preis gewollt hatte, auf einer Insel im Atlantik nahezu mittellos hatte sterben lassen, und da war meine kindliche Empörung darüber und der Wunsch, die Familie dieses Toten zu sehen. Ein Wunsch, den ich durchzusetzen wußte.

Es kam ein Tag im Jahre 1926, wieder ein Augusttag. Jemand schob mich aus der halbdunklen Halle in einen lichtdurchfluteten Salon, an dessen Decke ein Abglanz der Bran-

„... daß die konstitutionelle Monarchie überlegen ist.“

dung spielte, die draußen an die baskische Küste heranrollte. Eine schwarzgekleidete Frau, jung, sehr schön noch, begrüßte uns im un-überhörbaren Schönbrunner Tonfall und mit der ganzen Grazie der uralten lateinischen Rasse. Die acht Kinder, die sie umringten, nahmen mich mit großem Hailoh als heimatüchen Kumpan alsbald in ihre Mitte.

Da war, vom März des Jahres 1938 an, das Konspirieren mit habsburg-treuen Studenten und ein Jahr später die heimliche Zusammenkunft und das stundenlange Gespräch mit dem gleichaltrigen Otto in Brüssel, da waren die Gefängnisjahre, das Überleben, die Wiederbegegnung 1945 in Innsbruck und seither das gemeinsame Durchschreiten aller Niederlagen und aller Triumphe, die gemeinsam gefaßten Entschlüsse.

Soviel über die emotionalen Aspekte. Sie zählen heute nicht mehr. Was heute noch zählt, ist die nüchterne Überlegung, daß die konstitutionelle Monarchie, bei allen ihren Nachteilen, in Krisenzeiten (und nicht nur in diesen) allen anderen Staatsformen überlegen ist.

Es wäre billig, die Krämpfe, von denen Portugal immer noch heimgesucht wird, mit den reibungslosen Übergängen zu vergleichen, die der Monarchie in Spanien gelungen sind.

Es wäre auch unfair, hier mit Fingern auf das Chaos zu zeigen, das die

wie immer strohdummen Westdemokraten schufen, indem sie in Italien die Kriegsgefangenschaft nahezu des ganzen (königstreuen) Heeres ausnützten, um mit Hilfe rabiater kommunistischer Partisanen und etlicher infantiler Geistlicher eine recht fragwürdige Mehrheit für die Republik durchzusetzen.

Nein, nicht Einzelfälle zählen, nur das Prinzip. Und als Prinzip bietet die Monarchie den ungeheuren Vorteil der Balance und der Kontrolle. Die Monarchie allein nämlich kennt Machtquellen unterschiedlicher Art: Mehrheit und Erblichkeit. Wer soll wen wie kontrollieren, wenn Regierung, Parlament, Staatsoberhaupt und am Ende sogar die obersten Gerichtshöfe allesamt von der gleichen vorübergehenden Mehrheit bestellt sind?

Von der Brückenfunktion der Monarchen war andeutungsweise bereits die Rede. Er allein vermag Brücke zu sein, denn in ihm allein verkörpern sich die dahingegangenen Generationen ebenso wie die lebenden und die kommenden. Es gibt keinen politischen Vorfall, den seine Vorgänger nicht schon erlebt hätten, keinen Fehler, den sie nicht bereits begangen und aus dem sie nicht gelernt hätten.

Ist er ungeeignet, so sieht die (moderne) Verfassung im schlimmsten Falle die Regentschaft vor. Was aber geschieht, man denke an die USA, mit ungeeigneten Präsidenten?

Argentinien läßt jeden gewählten Präsidenten vor dem Regierungsantritt auf seinen Geisteszustand hin untersuchen, seit sich dort ein bereits amtierender als Psychopath herausstellte. Was aber, wenn er sich, amtierend, als Gangster entpuppt?

Ich weiß, ich weiß. Man kann gestürzte Monarchien nicht wieder herstellen, wenn dem Volk drei oder vier Generationen lang eingeredet wurde, gehobener Lebensstandard, Waschmaschinen, Autos und Fernsehen seien Errungenschaften des republikanischen Systems. Aber man sollte halt doch, im ureigensten republikanischen Interesse, versuchen, weniger zu lügen.

Man sollte nicht lügen und behaupten, Monarchien seien kostspieliger als Republiken. Das Staatsoberhaupt kann in beiden Fällen nicht mehr ausgeben, als das Parlament ihm für Repräsentationszwecke zubilligt. Man sollte nicht lügen und sagen, in Monarchien hätten nur erbadelige Familien eine Chance. Das Königreich Norwegen kennt keine Aristokratie, in der Republik Schweiz spielen die ritterbürtigen Familien und vor allem die städtischen Patrizier eine enorme Rolle.

Statt zu lügen, sollte man ausnützen: die Fähigkeiten nämlich und die Erfahrung der entthronten Dynastien. Wie die Juden im Laufe dreier Jahrtausende einen hohen Intelligenzquotienten entwickelt haben, so hat auch die weitverzweigte europäische Königssippe seit den Tagen Karls des Großen Fähigkeiten gezüchtet, die, von degenerativen Aus-

fällen abgesehen, besonders im politischen Bereich immer wieder unter Beweis gestellt werden und daher für Volk und Staat verwendet werden sollten.

Man sollte sich republikanischer-seits des weiteren im klaren sein, welchen Solidarisierungseffekt die in Abständen auftretende Habsburgerbeschimpfung erzielt. Nichts bindet so sehr wie gemeinsames Gejagtwerden durch hitlerische Gestapo, gemeinsames Verhöhntwerden durch aufrechte Republikaner, gemeinsames Benachteiligtwerden durch Parteibonzen. Auch das Totgeschwiegenwerden hat seine Reize, wirkt aber, vor allem auf unsere Jungen, nicht so anspornend.

Als einer, der immer noch/wieder Monarchist ist, bekenne ich hingegen offen, daß die Zweite Republik mit ihren Bundespräsidenten bisher völlig unverdientes Glück hatte. Alle waren und sind sie aus jenem österreichischen Holz geschnitzt, dessen man sich nicht zu schämen braucht.

Alle - bis auf jenen Karl Renner, der 1916 entsetzt feststellte, die Feindmächte wollten Österreich in Grund und Boden vernichten, denn sie hätten die Absicht, die Republik einzuführen; der 1919 Kaiser Karl in Eckartsau so lange erpreßte, bis dieser, um Repressalien an den Kindern auszuweichen, das Land verließ; der 1938 verkündete, er werde für Hitler

„Nichts bindet so sehr wie gemeinsames Gejagtwerden“

„freudig mit Ja stimmen“; der 1945 dem Marschall Stalin versicherte, sein und der österreichischen Arbeiterschaft Vertrauen in die Sowjetunion sei „grenzenlos“; und der vor seinem Ableben dann wieder einige nostalgisch-monarchistische Sprüche von sich gab.

Es scheint das Schicksal gestürzter Monarchien zu sein, vom Kaiser Karl auf den Herrn Karl zu kommen.

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