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Manche ließen sich nicht einfach zähmen

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Der Berliner Literat Lutz Rathenow zieht Bilanz: Die evangelische Kirche in der früheren DDR steht im Zwielicht, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe steht für die unerquickliche Verquickung von Kirche und Staatssicherheit unter Dauerbe-schuß.

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Der Berliner Literat Lutz Rathenow zieht Bilanz: Die evangelische Kirche in der früheren DDR steht im Zwielicht, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe steht für die unerquickliche Verquickung von Kirche und Staatssicherheit unter Dauerbe-schuß.

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Ich habe dieser Kirche einiges zu verdanken: zwischen 1980 und 1988 die Möglichkeit zur Lesung in ihren Räumen. Dreimal im Monat durchschnittlich, ich lernte aufrichtige Pfarrer, Vikare und andere Mitarbeiter kennen. Einige verbreiteten Lust am unzensierten Denken, einige (wenige) förderten als „staatsfeindlich" registrierte Aktivitäten. Vor allem die „Offene Jugendarbeit" geriet zu einem frühen Tummelplatz für oppositionelles Gedankengut. In den Akten kann ich die Reaktionen des Staates auf meine Lesungen verfolgen. In Erfurt sollte einmal eine „Zersetzergruppe" die Evangelische Studentengemeinde und mich gleichermaßen durch gezielte Zwischenrufe disziplinieren. In Halle lieferten gleich vier IM's (Informelle Mitarbeiter) ihre Statements an das MfS (Ministerium für Staatssicherheit), das sich in der Regel mit einem oder zwei zufrieden gab. Von den zahlreichen kirchlichen Mitarbeitern in meinen Akten waren nur zwei IM's. Und überliefert sind auch Lesungen vor 50 bis 60 Menschen, bei denen kein IM anwesend war.

Wenn ich von der evangelischen Kirche spreche, rede ich allerdings von denen, die etwas mit mir zu tun haben wollten. So hilfreich und wichtig sie für viele einzelne Menschen auch in den achtziger Jahren war, so wenig kam sie mit dem Phänomen einer sich entwickelnden politischen Opposition zurecht. Wenn ich versuche, Versagen im Detail zu analysieren, stoße ich immer wieder auf den Zuträger aus kirchlichen Kreisen. Auch wenn er heute kein IM gewesen sein will, wurde er einer, als er sich heimlich mit den Mitarbeitern der Stasi traf. Ob er seinen Decknamen kannte, spielt keine Rolle. Er wurde zum Multiplikator der von Partei und Stasi gestreuten Desinformationen. Allein das machte Gespräche so prekär, wenn sie über notwendige Verhandlungen zu Sachfragen hinausgingen.

Man wollte ein wenig besser informiert und auch einen Draht zur Macht haben, gibt der Berliner Superintendent Krusche als ein Motiv für seine Gesprächsbereitschaft an. Ich gestehe Manfred Stolpe eine Sonderrolle zu - es gab nur einen Konsistorialpräsidenten, damit hatte er eine Macht im Rücken (Kirche und Westkontakte), die überhaupt Verhandlungen erlaubte. Ein DDR-Bürger konnte sonst über nichts verhandeln. Er konnte sich dem MfS als mehr oder weniger loyal präsentieren, mehr oder weniger schwatzhaft.

Ich habe noch gut den Auftritt Kru-sches nach der Verhaftung mehrerer Mitarbeiter der Umweltbibliothek (siehe FURCHE 49/1987 sowie 23 und 35/1988) in Erinnerung. Seine

Stellungnahme ging auf so empörende Weise von einer gewissen Schuld der Verhafteten aus, daß er damit nur auf Ablehnung stieß. Seine Empfehlungen in derZionskirche, alles durch interne Verhandlungen zu regeln, wurde von der Mehrheit der Anwesenden verworfen. Es kam zurpermanenten Mahnwache und öffentlichkeitswirksamen Protesten. Es kam zur Solidarisierung der Bevölkerung innerhalb von drei Tagen. Nicht die Kirchenleitung bestimmte den Rhythmus der Proteste, sondern junge und einige ältere Oppositionelle.

Es war ein Drei-Tage-Traum und für mich das Ende der DDR, die ich kannte und für im Prinzip unabänderlich hielt. Der Staatsgewalt blieb die Gewalt pur oder die Kapitulation -und nach drei Nächten kamen die Verhafteten frei. Die Desinformanten vom Dienst hatten dann ein paar Wochen später das Sagen, als noch im Jänner 88 die oft beredete Verhaftungswelle einsetzte. Sie war vor allem eine Kampfansage an die durch die Solidarisierung erstarkte Opposition. Und damit sich der Erfolg der Andersdenkenden nicht wiederholte, verlangten die Machtverwalter vor allem zwei Dinge von der Kirchenleitung: keine Drehgenehmigung für Kamerateams in Kirchen, keine Mahnwache. Natürlich hätte die Darstellung von Solidarisierungen im Westfemsehen die politische Führung unter Zeitdruck gesetzt - durch die Einflüsterungen vieler IM's (der Anwalt Wolfgang Schnur spielte in diesen Tagen die schäbigste Rolle seines Lebens) gewann das MfS die Zeit, die es brauchte, um die Verhafteten aus dem Lande zu ekeln.

Es zeigt sich hier, wie wenig überhaupt historische Fakten bekannt sind, wie sehr sich Klischees verfestigt haben. Günter Gaus etwa spielte mehrfach spöttelnd auf die Befreiung wider Willen von Bärbel Bohley durch Manfred Stolpe an - in Wirklichkeit war ein längerer Gefängnisaufenthalt gar nicht die Alternative, sondern die Frage, ob eine Freilassung durch öffentliche Proteste oder durch undurchsichtige Machenschaften erreicht wurde. Das erkannten damals viele Leute - die Kirchenleitung wehrt sich bis heute gegen diese Erkenntnis. Ihre Einzelfallklärung, in humanitären Fragen oft bewährt, wurde in einer immer mehr verkommenden DDR zunehmend untauglich. Und sie blok-kierte die langsam sich profilierende Opposition. Dazu trugen auch die West-Diplomaten bei, die nur allzugern die Andersdenkenden der DDR durch die evangelische Kirchenleitung repräsentiert sahen.

Nein, die Geschichte der Opposition in der DDR ist noch ungeschrieben. Sie wird nicht identisch sein mit derGeschichte der Evangelischen Kirche. Aber ohne einzelne Menschen aus dieser Kirche, die sich ihre Kühnheit und Unberechenbarkeit durch konspirative Gespräche nicht zähmen ließen, hätte es keinen sichtbar werdenden politischen Widerstand gegeben. Dessen Vermächtnis als das einer spezifischenOst-Erfahrung repräsentiert Joachim Gauck (Vorsitzender jener Behörde in Berlin, die die Stasi-Akten verwaltet) überzeugender als ein Manfred Stolpe, der schon alle westlichen Politikertricks im Aussitzen von heiklen Situationen perfekt beherrscht.

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