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Mangel an Zivilcourage

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Nicht Steyrers Vergangenheit in Sachen Abtreibung sei aufgewärmt, wohl aber die Frage gestellt: Wie stellte sich der Wahlwerber Steyrer gestern und heute dem Thema?

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Nicht Steyrers Vergangenheit in Sachen Abtreibung sei aufgewärmt, wohl aber die Frage gestellt: Wie stellte sich der Wahlwerber Steyrer gestern und heute dem Thema?

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Zum ersten Mal bewirbt sich ein Mann um das höchste Amt, der als Abgeordneter und Minister mit der Frage der Abtreibung befaßt war. Es muß daher dargelegt werden, was er auf diesem Gebiet getan oder zu tun unterlassen hat.

Im Zusammenhang mit Kurt Steyrers Kandidatur erbat die Aktion Leben neuerlich eine Stellungnahme von ihm und erhielt folgende telegraphische Antwort:

„Ich halte die Straffreiheit deswegen für eine zielführende Maßnahme, weil unter dem Druck der Strafandrohung eine erfolgreiche Beratung von Frauen nicht durchführbar ist. Nur in einem von Zwängen freien, vertrauensvollen Gespräch können Frauen, die an Abtreibung denken, überzeugt werden, ihr Kind doch auszutragen. Ich werde immer voll alle begleitenden Maßnahmen unterstützen, die zu einer Verringerung der Schwangerschaftsabbrüche führen.

Im übrigen möchte ich jedoch festhalten, daß mit diesen Fragen in erster Linie die betroffenen Ressorts Justiz-, Familien- und Gesundheitsministerium zu kontaktieren sind und der Bundespräsident damit nicht unmittelbar befaßt ist. Dr. Kurt Steyrer.“

Die Antwort verwundert, hieß doch der Gesundheitsminister bis vor kurzem (und fünf Jahre lang) Kurt Steyrer. Und genau bei ihm hatte die Aktion Leben im Laufe seiner Amtsführung mehrmals die Verwirklichung begleitender Maßnahmen, die „zu einer Verringerung der Schwangerschaftsabbrüche“ führen hätten sollen, ur giert.

Um das Strafgesetz ging es dabei nicht, denn bekanntermaßen ist dafür das Justizressort zuständig. Nein, es ging darum, daß eine Reihe von Schritten zu setzen gewesen wäre — sie ist es immer noch -, die einerseits die tatsächliche Abtreibungssituation erheben (z. B. anonyme Statistik) und anderseits arge Mißstände beseitigen sollten. Mißstände, wie die Tatsache, daß eine Beratung durch das Gesetz nur von einem Arzt vorgesehen ist.

Vielfach ist dieser Arzt auch jener, der die Abtreibung durchzuführen bereit und keineswegs immer durchdrungen ist von dem Interesse, der Frau einen, für sie gangbaren Weg zum Behalten des Kindes aufzuzeigen.

Mit diesen und ähnlichen Vorschlägen und Forderungen wurde Steyrer als Minister wiederholt konfrontiert, und jedesmal lehnte er höflich und konsequent das ab, was er nunmehr „voll zu unterstützen“ behauptet.

Im Jänner 1985 veröffentlichte die Aktion Leben aus gegebenem Anlaß die Broschüre „10 Jahre Fristenregelung“. Zur Erstellung derselben wurden Interviews mit Politikern, natürlich auch mit Minister Steyrer geführt. Er machte kein Hehl daraus, daß ihm als Arzt klar sei, daß mit jeder Abtreibung menschliches Leben vernichtet werde, und er sagte auch, daß er selber Mißstände bemerke.

Jedoch: verschiedene Frauengruppen verträten die Ansicht, daß auf dem Gebiet der Schwangerschaftsunterbrechung (ein Ausdruck Steyrers) zu wenig getan werde. Das ist also der Grund, weshalb Steyrer sich nicht veranlaßt sah (offenbar auch nicht wagte), auch nur eine Geste des guten Willens zu setzen oder ein Signal zu geben, das unzählige Kinder vor ihrer Vernichtung und ebensoviele Frauen vor einer übereilt getroffenen Entscheidung hätte bewahren können.

Daß viele Abtreibungen in Unkenntnis zahlreicher Hilfen öffentlicher und privater Art durchgeführt werden, kann jederzeit bewiesen werden.

Mittlerweile ist die Frage des Lebensschutzes um einen neuen Themenkreis bereichert worden. Die künstliche Zeugung mit allen sich daraus ergebenden Gefahren der Manipulation und Versuchen am „elternlosen“/ weil nicht eingepflanzten und jeglichen Rechtsschutzes entbehrenden Embryo. Auch hier ist gar nichts geschehen.

Wenn derzeit viel von Vergangenheitsbewältigung geredet wird, ist anzumerken, daß auch die Gegenwart ihre tiefgreifenden Probleme hat. Ob die kommenden Generationen den Mangel an Bereitschaft, diese miteinander aufzuarbeiten leichthin akzeptieren werden, ist fraglich.

Auf unwiderstehlichen Druck der Machthaber, auf Diktatur, auf existenzbedrohende Gefahr wird man sich dann allerdings nicht ausreden können; lediglich auf einen Mangel an Zivilcourage.

Die Autorin ist Generalsekretärin der Aktion Leben.

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