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Digital In Arbeit

Mangelware Arbeit

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Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager: Bourgeoisie und Proletariat Proletarier aller Länder - vereinigt euch! Euer Schlachtruf muß sein: Die Revolution in Permanenz!"

Mit diesem Alptraum selbstgerechter Schläfer hat Karl Marx vor 140 Jahren die Brunnen dieser Welt erfolgreich zu vergiften begonnen. Sein Erfolgsrezept bestand aus dem Erkennen eines imhaltbaren Zustandes, dem Aufruf zur Einigkeit und der Ermutigung zu immerwährendem Widerstand.

Krisen der Vergangenheit kehren mit wechselvoller Gesetzmäßigkeit wieder: Unsere Arbeitsgesellschaft ist daran, sich zu überleben, weil ihr die Arbeit ausgeht. Erkennen, Aufruf zur Einigkeit und gemeinsames Analysieren standen im Mittelpunkt der Frühjahrstagung des steirischen Club AAB. Ein Manifest verantwor-

tungsbewußter und wohl auch verantwortlicher Christen.

Die Prominenz der Referenten - von Diözesanbischof Egon Kapellan über Wirtschaftsexperten Michael Jungblut (Leiter der Hauptabteilung Wirtschaft und Sozialpolitik beim ZDF, Mainz) bis zu Wirtschaftsforscher Gerhard Lehner (Wifo) und Heinrich Gleißner (Leiter der Außenhandelsorganisation der Bundeskammer) zeigte sich zuständig für ‘jede einzelne Komponente der -nicht nur österreichischen - Krisensituation unserer Gesellschaft.

Vom Wandel des Arbeitsethos im Laufe der Geschichte ging der Bischof aus. Aus dem geschundenen, Frondienst leistenden Leibeigenen wurde der in gesellschaftliche Zwänge gepreßte Roboter, dem die Arbeit nicht nur Lebensunterhalt, sondern „des Lebens hohe Braut" ist. Von ihr kommt sein Ansehen, seine Selbsteinschätzung.

Wer auf sich hält, rechtfertigt heutzutage seinen privilegierten Status mit einem Ubermaß an Arbeit, mit dem auf Monate hinaus ausgebuchten Terminkalender und dem Herz-Schrittmacher als makabrem Leistungsnachweis: Man lade fünf Leute zu einer Konferenz ein. Gelingt dies ohne größere Schwierigkeiten, so hat man die falschen ausgesucht Sage mir, wieviel du arbeitest, und ich sage dir, wer du bist.

Wir sind eine Arbeitsgesellschaft geworden, der die Arbeit Ziel und Selbstzweck erscheint. Und wieder ist es soweit, daß die einen im Ubermaß, die anderen überhaupt nicht daran partizipieren.

Der Kirche, so Bischof Kapellan, ermangle es hierfür an Kompetenz. Und doch sei es seine, des Seelsorgers, traurige Aufgabe, täglich Briefe enttäuschter junger Arbeitsuchender zu beantworten, die wenigsten davon mit Aussicht auf reale Hilfestellung.

Eine österreichische Jugendstudie des Fessel- und GFK-Insti-tuts ergibt daß von 1000 befragten Jugendlichen 86 Prozent ihr Bestes geben, auch wenn die Arbeit ihnen nicht besonders zusagt; ebenso viele meinen, sie würden es durch harte Arbeit und Leistung zu etwas bringen. 95 Prozent möchten einen Beruf haben, in welchem sie ihre persönlichen Fähigkeiten entwickeln können. Nur 35 Prozent gehen arbeiten, weil sie Geld brauchen.

Keine Aussteiger-Mentalität also, mit der heute das Verhalten der Jugend gerne diagnostiziert wird, sondern volle Zustimmung zu den Prämissen unserer Arbeits- und Leistungsgesellschaft

Wenn aber der Arbeitsgesell-

schaft die Arbeit ausgeht, hat auch eine noch so positiv eingestellte junge Generation schon jetzt ihr Recht verloren.

Die Möglichkeit der Arbeitsteilung muß aber auch ein Blockieren der Räder bewirken, wenn die Notbremse etwa in Richtimg Frauenarbeit gezogen wird. Wer kann dann zur Rekonstruktion des unabdingbaren gesellschaftlichen common sense beitragen? Die Wirtschaft, notgedrungener Motor der Gesellschaftspolitik, könnte zur Lösung des Arbeitsdilemmas beitragen, wenn dies ihre einzige Sorge wäre.

Sie selbst aber befindet sich gegenwärtig in einem Umstellungsprozeß und unter ständigem Leistungszwang, will sie nicht ernsthafte volkswirtschaftliche Gefahren heraufbeschwören. Ihre neue Ausrichtung auf Qualitatives statt wie bisher, auf Quantitatives, bedingt auch Veränderungen auf dem Arbeitsplatz, wie Gerhard Lehner anhand eindrucksvoller Beispiele aus dem ehemaligen Wirtschaftswunderland BRD belegt.

Geradezu utopisch mutet die Aussage an, wenn Jungblut von einer dritten Säule neben der staatlichen und betrieblichen Altersvorsorge spricht. Ist der Bürger bereits wieder soweit in seiner Mündigkeit, daß er das bislang gern vermiedene Wort Eigenvorsorge bereits als gegeben hinnimmt? Die Worte hört man gern, dennoch…

„Kann sich Österreich sein Budget noch leisten?" fragt Gerhard Lehner, nüchtern und eindringlich jetzt auch an die Politiker gewandt. Sind wir, so der Appell an die politisch Verantwortlichen, berechtigt, durch festgefah-

rene, parteipolitisch gefärbte Budgetsanienmg den Jungen eine Schuldenlast aufzubürden wie eine Erbkankheit?

Die auf sechs Jahre anberaumte, sanfte Konsolidierung des Budgets, wie sie die zuständigen Experten erarbeitet haben, darf nicht hinausgezögert werden, wenn jeder einzelne Bürger wirklich bereit ist, diese Sanierung auch zu wollen.

Die Bereitschaft des einzelnen, Opfer zu bringen, muß ebenso vorhanden sein wie die des Staates, sich als Unternehmer der Privatisierung zu öffnen. Mentalreservationen auf allen Ebenen sind einer Beruhigung ebenso abträglich wie Bürgerinitiativen den Staat als Konjunktur-Stimulator einbremsen (bezogen auf Großbauprojekte wie Kraftwerke, Straßen, Gebäude).

Kommunalpolitiker und jene der Länder, vereinigt euch, damit der Bund zum common sense gelange!

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