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Manipulierter Film

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Vor einigen Monaten wurde im Amerikahaus im Rahmen einer Humphrey-Bogart-Retrospektive der Klassiker „Casablanca“ von Michael Curtiz, 1942, in der Originalfassung gezeigt; die Vorführung dieses im Rahmen der Nostalgie-Mode zu höchsten Ehren gekommenen Emi- granten-Thrillers mußte wiederholt werden, weil die Jugend seit Woody Aliens („Mach’s noch einmal, Sam!“) diesen Film „entdeckt“ und zu ihrem Liebling erkoren hatte. Schon zu seiner ‘Entstehungszeit war der Film mehr als nur ein Erfolg: er wurde zu einem Symbol (des Widerstandes gegen den Naziterror — 16 von den 20 Hauptdarstellern sind echte europäische Emigranten vor Hitler, darunter Conrad Veidt, Paul Henreid, Peter Lorre, Szöke Szakall, Ilka Grüning, Curt Bois, Ludwig Stössel, Marcel Dalio, Helmut Dantine) — zu einem Begriff (unter anderem auch für ein großes Liebespaar, Humphrey Bogart und Ingrid Berg- man, die hier ihren Hollywood- Ruhm festigte), der seither in die Filmgeschichte eingegangen ist.

Nunmehr, nachdem er in allen Filmländern begeisterte Wiederaufführungen erlebt hat, kommt „Casablanca“ auch zu uns, in deutsch synchronisierter Fassung; doch wer den Film jetzt sieht und ihn im Original kennt, traut seinen Augen kaum: was er hier zu sehen bekommt, ist ein völlig anderer Film! Gekürzt, seines ganzen (eminent politischen) Inhalts beraubt, textlich total verstümmelt, präsentiert sich hier der berühmte Film als banalromantische Liebesgeschichte um einen schwedischen Wissenschaftler anstatt eines tschechischen Widerstandskämpfers und dessen Frau, die von dem von der Vichy-Regierung mit deutschem Nachdruck kontrol lierten Casablanca aus mit Hilfe eines amerikanischen Barbesitzers — der die Frau einst liebte — ins neutrale Lissabon entkommen wollen. Der Wissenschaftler hat in der deutschen Fassung irgend etwas mit Delta-Strahlen zu tun — im Original ist er der Leiter der europäischen Widerstandsbewegung; deutschsprachig war er im Gefängnis, im Original ist er aus einem KZ entflohen (von KZs wird überhaupt kein Wort gesprochen, das ist hier tabu!). In der Synchronfassung sieht man überhaupt keine Deutschen, nur einen winzigen Augenblick erkennt man an einem Tisch Conrad Veidt — im Original ist er als Gestapo-Major Strasser eine der Hauptfiguren, die noch dazu am Schluß, bei der Flucht auf dem Flugplatz, erschossen wird. Hier fliegt das Paar ziemlich unbelästigt ab — und der edel-verzichtende Bogart bleibt mit dem französischen Cap- tain zurück … Nichts vom KZ, nichts von Gestapo, nichts von Widerstand, auch nichts vom echten „Casablanca“ kriegen wir hier zu sehen … Warum? Weil die deutsche Synchronfassung aus dem Jahr 1952 stammt, als „die Vergangenheit (in Deutschland) noch nicht genügend bewältigt“ war, um dergleichen dem Kinopublikum vorzusetzen. Doch schreiben wir 1975 — man nenne die Gründe, warum wir heute nicht den Originalfilm sehen dürfen, sondern eine politisch-manipulierte Version von vorgestern?

Doch die ganze Filmbranche in Österreich ist in einem lamentablen Zustand: das betrifft nicht nur die Verleiher und Kinobesitzer, denen es nur und ganz allein ums Geld geht, sondern auch alle anderen, die mit diesen) heute zu einem

„job“ gewordenen Medium etwas zu tun haben — die Zeitungen, in denen der Film als minderwertig betrachtet und ihm zuwenig Platz eingeräumt wird, die Kritiker oder Filmjournalisten, die vom echten Metier oft keine Ahnung haben und anstelle von Fachwissen einen sogenannten „gesunden Menschenverstand“ (und maßlose Überheblichkeit) besitzen. Sowie auch jene, die irgendeine Entscheidung zu fällen haben … Da gibt es z. B. jetzt einen französischen Film „Le Train“, der in larmoyant- melodramatischer Form das Schicksal der vor den einrückenden Deutschen flüchtenden Franzosen behandelt. Nichts an dem Film ist echt, weder die darstellerischen Leistungen des Star-Liebespaares Schneider-Trintignant, noch die Bewältigung der Vergangenheit nach dem Prinzip des „Heißen-Eisen-An- fassens“, ohne dabei jemand weh zu tun. Da diese Edelschnulze also allen eventuellen Schuldproblemen „gepflegt“ aus dem Weg geht und niemand sich betroffen fühlen muß (der Film muß ja schließlich überall ein Geschäft werden, in ganz Europa, in Frankreich ebenso wie in Deutschland), geht die Rechnung auch bestens auf: hierzulande .vergab aus diesen Gründen (und „weil’s ja so ein schönes Kino ist“) eine fast grotesk anmutende Kommission filmunsachverständiger Amts- und Ehrentitelträger dem wohltemperierten Film das Prädikat „wertvoll“. Da die dafür Verantwortlichen ja noch dazu so schön im Schutz unverbindlicher Anonymität bleiben, ist es ja völlig egal, ob man Filmkenntnis besitzt, ja sogar, ob man Wahrheit von Lüge unterscheiden kann. — Vielleicht lügt man sogar gern mit, weil ja alles so unberührend „gepflegt“ ist… Nur nicht der Wahrheit ins Gesicht sehen wollen ist ein österreichisches Prinzip. Man müßt’ dann vielleicht eine Entscheidung treffen — und wer hat bei uns schon den Mut dazu?

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