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Mann aus der Wüste

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Am Ostersonntag, am 10. April 1955, erlag er in New York einem Herzschlag: Pierre Teilhard („de Chardin“ ist ein Zusatz, wie das „Höt- zendorf“ zu „Conrad“).

Geboren am 1. Mai 1881 in der Familie eines französischen Landedelmannes, die „das alte Frankreich“ verkörpert: klerikal, antidemokratisch, antirepublikanisch, lebt sie zurückgezogen auf ihrem Gut in der vulkanischen Auvergne. Doch dies Außerordentliche, bereits im Familienschoß: Der Vater ist gelernter Historiker und Amateur-Naturwissenschaftler, die Mutter eine tiefgläubige Frau, deren strahlender Optimismus nicht durch das Sterben von sieben ihrer elf Kinder erschüttert wird.

Man hat später Teilhard einen „ruchlosen Optimismus“ (Schopenhauer prägte dies Wort) vorgeworfen, in seiner Schau eines unendlich wachsenden, einer neuen Geist-Stufe zuwachsenden Kosmos. Teilhard: „Meiner Mutter verdanke ich die optimistische Weltanschauung“.

Als er 1955 stirbt, kennt die wissenschaftliche Welt einige hundert geologische, paläontologische, anthropologische Aufsätze, verstreut in wissenschaftlichen Zeitschriften. Die „christliche Welt“ kennt schmale Essays, hek- tographiert verbreitet: so erreichte er mich selbst zuerst also auf schmalem, schlechtem Papier, 1946, in Wien.

Ich sehe ihn dann in Paris vor mir: der hagere, „lange“ Mann, mit einem Gesicht, das, wenn es nicht schweigt und durch das Minenspiel belebt wird, an seinen großen engeren Landsmann Pascal erinnert. Ein Großonkel der Mutter ist der große Voltaire ...

In den ersten zehn Jahren nach 1955 erscheinen eintausendfünfhundert Veröffentlichungen über Teilhard. Heute bekreuzigen sich immer noch „fromme“ Seelen, sehen in ihm einen großen Verführer, der St. Petrus, den Steinbau der römischen Kirche, zerstöre.

Christen, Atheisten, Agnostiker, Wissenschafter und junge, neugierige Menschen sehen in Moskau und Tokio, in beiden Amerikas, in Warschau (sein Bild in der Jesuitenkirche daselbst neben dem Dom), in San Franzisko, Madrid, und ja auch in unserem mittleren Europa, in diesem Mann, der in die Wüste geschickt wurde, von Rom und aus den Wüsten mit dem Feuer kam - mit dem Feuer seiner Vision des „Kosmischen Christus“ - einen Zugvogel der Zukunft. Einen Propheten.

In den „Wüsten“: als Geologe und Paläntologe in Ägypten, in China, in der Mongolai: hier entsteht der Essay „La messe sur le monde“, die „Messe über der Welt“, eine einzigartige Lobpreisung der Erde, der Herrlichkeit der gottgeschaffenen Materie.

Teilhard in China, Abessinien, Somaliland, in den Vereinigten Staaten, Japan in Hawai; Teilnahme an der berühmten, von den Citroen-Werken organisierte „Gelben Kreuzfahrt“ internationaler Forscher 1927-1931 durch ganz Zentralasien. 1948 der erste und einzige Besuch in Rom: Vergebens versucht er die Bedenken des Ordensgenerals und der kirchlichen Behörden gegen sein Werk zu lockern.

Die Vorstellung ist erlaubt: Vielleicht wäre seine Sache mit der Gesellschaft Jesu anders gelaufen, wäre be reits Arrupe Ordensgeneral gewesen: der erste Baske seit Ignatius; Arrupe, der in Nagasaki den Atombombenschlag miterlebte. Überlebte.

Teilhard spürt mit allen Fibern, was in der Luft liegt: die drohende Selbstvernichtung; er bedenkt sie 1940 in dem von den Japanern besetzten Peking. Und dies: die Chance der Menschheit, nach vorne durchzubrechen. Von dem Wiener Geologen Suess übernimmt er das Wort „Noosphäre“: er verwendet es, um die „höhere Hülle Leben“ anzusagen, die die Erde umgibt: ein Bewußtsein, das in ein Überbewußtsein mutieren kann (nicht muß), in ein Sich-Ver- dichten aller Denk- und Liebeskräfte, so daß die Menschwerdung auf einer höheren Stufe erzwungen werden kann.

Da er sehr genau die Scheu, die Ablehnung bereits des Wortes „Christus" durch seine wissenschaftlichen atheistischen, agnostischen Freunde und durch Millionen andere Menschen kennt, wählt er für diese einen anderen Namen für dieselbe höhere Realität: Punkt Omega.

Omega: in der Apokalypse des Johannes erscheint der Auferstandene als Alpha und Omega, als Anfang und Ende. Als „Als Punkt Omega“ soll diese lebensnotwendige Wandlung, die Mutation der Menschheit zu einer höheren Form, auch Nichtchristen nahegebracht werden.

Teilhard glaubt, daß „das richtige Benzin, der richtige Treibstoff für die Rakete Mensch“ bereits vorhanden ist: im Grunde in allen Menschen und aufbereitet zumindest in der wachen Oberschicht der Menschheit: Hier wächst „eine kosmische Solidarität“ (Adalbert Stifter nannte sie die notwendige „Allberührung“ der kommenden Menschheit), eine „neue Ethik der Erde“, eine „Ultra-Verantwortung des Menschen für alles Leben auf dieser Erde“.

In den „Stahlgewittern“ vor Verdun und am Chemins des Dames erlebte Teilhard erstmalig seine große Vision: die Einheit des Menschengeschlechtes.

„Die Nacht fiel nunmehr völlig auf den Chemins des Dames nieder. Ich bin aufgestanden, um zu meiner Stellung zurückzukehren. Ich drehte mich um, um ein letztes Mal die geheiligte Grenzlinie zu sehen, die warme, lebendige Linie der Front: da gewahrte ich wie im Blitzlicht einer unvollendeten Erleuchtung, wie diese Linie die Gestalt eines höheren Etwas, eines ungemein Erhabenen annahm, eines Etwas, das, ich fühlte es, sich unter meinen Blicken formte. Es hätte jedoch vollkommeneren Geistes als des meinen bedurft, um dies aufzunehmen und zu begreifen. Da dachte ich an jene Erdkatastrophen unerhörter Größe, die in der Vorwelt nur Tiere zu Zeugen hatten. Und es scheint mir in jenem Augenblick, als würde ich vor jenem Etwas, das Gestalt wurde, einem Tiere gleich, dessen Seele erwacht, das zwar miteinander ver- schlungene Kettenglieder der Wirklichkeit gewahrt, ohne jedoch zu erfassen, wodurch sie miteinander verbunden sind!“

Verbunden erscheinen sie ihm - dies die Erfahrung seines Lebens, der Feuer, die er aus den Wüsten der Erde und dem in ihm selbst brennenden Dornbusch bringt - durch den „Gott von vorne“: der in den Feuern der Weltgeschichte, der Kosmos-Geschichte die Menschheit in eine „höhere Form“

bringen will: so, daß ihre Feuer, ihre Leidenschaften, ihre Energien sie nicht vermehren, sondern aufschmelzen: zu einem höheren Bewußtsein, das untrennbar verbunden ist mit Liebes- Kraft und Leidens-Kraft.

Die Frohe Botschaft des Pierre Teilhard flammt heute in ergriffenen, sehr jungen und kalendarisch sehr alten Menschen - und sie flackert fast erdrosselt in den 62 Ländern, in denen täglich gefoltert wird, und in den Staaten, die täglich Krieg führen.

1. Mai 1881. Ecce homo 1981.

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