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Manner zwischen Muhlsteinen

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Österreichs Sozialdemokratie erwies sich nach der Befreiung im Kern als wesentlich resistenter gegenüber kommunistischen Versuchungen als viele andere sozialistische Parteien, und als auf Grund ihrer eigenen ideologischen Positionen zwischen 1934 und 1939 eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Aber in diesen Jahren fiel auch ein bedeutender Teil der sozialistischen Elite Österreichs direkt oder indirekt dem stalinistischen Terror zum Opfer. Physisch liquidiert oder psychisch gebrochen zu werden, war das Schicksal der in die Sowjetunion emigrierten österreichischen Schutzbundkämpfer des Februar 1934.

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Österreichs Sozialdemokratie erwies sich nach der Befreiung im Kern als wesentlich resistenter gegenüber kommunistischen Versuchungen als viele andere sozialistische Parteien, und als auf Grund ihrer eigenen ideologischen Positionen zwischen 1934 und 1939 eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Aber in diesen Jahren fiel auch ein bedeutender Teil der sozialistischen Elite Österreichs direkt oder indirekt dem stalinistischen Terror zum Opfer. Physisch liquidiert oder psychisch gebrochen zu werden, war das Schicksal der in die Sowjetunion emigrierten österreichischen Schutzbundkämpfer des Februar 1934.

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Mit den letzten, von den Schutzbündlern der aufgeriebenen Gruppe Wallisch in den Morgenstunden des 16. Februar 1934 in den Frohnleit-ner Wäldern abgegebenen Schüssen endet Österreichs Bürgerkrieg, beginnt die jähre- und oft jahrzehntelange Odyssee derer, die ihn wahrhaft verloren haben.

Hunderte Mitglieder des Schutzbundes, der sozialdemokratischen Kampforganisation, flohen über die Grenzen, als die Waffen schwiegen — nur ein Teil kehrte zurück. Sie fielen, im Grunde für dieselben Ideen, später in Spanien, wurden von Stalins Henkern erschossen, von der Gestapo liquidiert, starben in Sibirien, begingen Selbstmord in ihren Zellen, kamen als Soldaten der Roten Armee ums Leben, kämpften als Partisanen, opferten sich auf im Widerstand gegen Hitler.

Vierzig Jahre blieb eines der tragischesten Kapitel österreichischer Zeitgeschichte ungeschrieben, blieb die Diaspora der Schutzbundkämpfer ein blinder Fleck in unserem historischen Bewußtsein. In zehn Jahren, zum fünfzigsten Februarjahrestag, hätte Karl R. Stadler, Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte in Linz, sein Buch „Opfer verlorener Zeiten — Geschichte der Schutzbundemigration 1934“ (Europaverlag) möglicherweise überhaupt nicht mehr schreiben können — nicht mit einem solchen Reichtum an Detail-schioksailen. Anderseits wird ein Beitrag von letzter Gültigkeit zu diesem Thema wohl auch in zehn Jahren noch nicht möglich sein. Denn das Unterfangen des Autors (der als Fachmann für die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung bekannt ist) erweist einimal mehr, daß Bürgerkriege tiefere Wunden schlagen als Kriege zwischen Völkern, und dm gegenständlichen Fall waren nicht nur Februartraumata zu berücksichtigen. Aber die Diaspora des Republikanischen Schutzbundes ist ein Thema mit vielen Facetten, dessen tragische Dimensionen hier zum erstenmal in ihrem vollen Umfang sichtbar werden.

Der Bürgerkrieg in Österreich schockierte die Öffentlichkeit der in Europa noch vorhandenen demokratischen Länder und der österreichischen Arbeiterschalt rollte eine Welle von Sympathie entgegen, die sich aber kaum in tatkräftiger Hilfe für jene niederschlug, die Österreich verlassen mußten. Es gab zwar kaum ein Land in Westeuropa, das keine Sc&utzbündler aufgenommen hätte — sofern sie die jeweiligen Einreisebedingungen erfüllten, Bürgen beibringen konnten und so weiter. Das Gros der Emigranten mußte froh sein, in die in der Tschechoslowakei errichteten Flüchtlingslager aufgenommen zu werden — abgesehen von der Tschechoslowakei erklärte sich lediglich die Sowjetunion zur Aufnahme größerer geschlossener Emigrantengruppen bereit.

Die lettische Sozialdemokratie, die ebenfalls einen Republikanischen Schutzbund unterhält, nimmt zehn österreichische Schutzbündler auf, die Unterhalt, aber keine Arbeit und sich einen Monat nach ihrer Ankunft nach dem Put3ch der lettischen Rechten im Gefängnis finden. In Norwegen führte schon die Aufnahme von elf Österreichern zu Warnungen vor der Verdrängung heimischer Arbeitskräfte. Schweden erklärte sich aufnahmebereit, aber nur für Zuckerbäcker, Bäcker, Metallarbeiter und Buchdrucker, während die Mehrzahl der Emigranten infolge der Weltwirtschaftskrise keine qualifizierte Ausbildung vorzuweisen hatte. Einige Schutzbündler gingen nach Palästina, einige nach Lateinamerika, einige nach Westeuropa und von vielen verlieren sich die Spuren.

Die Sowjetunion erklärt sich zur Aufnahme eines größeren Flüchtlingskontingentes bereit, und die Faszination dieses Angebotes hat vor allem zwei Gründe. Der Schutzbund stand schon vor dem 12. Februar am linken Flügel der Partei und gerät, zusammen mit großen Teilen der Sozialdemokratie, nach dem 12. Februar in den Sog der Kommunisten, denen ihr (wenn auoh nur verbaler) Radikalismus und ihre größere Erfahrung, .in der illegalen Arbeit zugute kommen. Dazu gesellt sich der heute kaum vorstellbare wirtschaftliche Druck des Flüchtltogsschick-sals im Zeichen von Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Die Gastfreundschaft der CSR wird bereits von einer großen Zahl deutscher Emigranten beansprucht. Die sozialdemokratische Hilfs- und Auffangorganisation kann Schutzbündlern, die in Österreich Freiheitsstrafen von nicht mehr als einem Jahr zu erwarten haben, nur raten, diese auf sich zu nehmen. Kommunistische Agitation spaltet die Lager.

Die ersten 350 Schutzbündler treffen am 25. April 1934 to Moskau ein, ihre Zahl wird, inklusive der Familienmitglieder, auf rund 1000 wachsen. Die Sowjetunion bereitet den österreichischen „Barrikadenkämpfern“ einen rauschenden Empfang, Ernst Fischer, ehemaliger Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, fährt ihnen an die Grenze entgegen, in jeder Station werden sie gefeiert, sie werden herumgereicht und herumgeführt, und eine Fülle von Privilegien soll ihnen das Hineinwachsen in ihre Aufgaben in sowjetischen Fabriken erleichtern. Viele von ihnen lassen ihre Frauen und Kinder nachkommen. Geradezu rührend kümmern sich die Behörden um die sogenannten „Schutzbund-Kinder“ — Kinder hingerichteter, gefallener oder in Österreich zu langjährigen Strafen verurteilter Sozialdemokraten. Viele von ihnen werden in der Roten Armee fallen.

Die österreichischen Schutzbündler sind für Moskau vor allem Munition im Kampf gegen die Sozialdemokratie — während Otto Bauer in seiner Zeitschrift „Der sozialistische Kampf“ („FURCHE“ 6/1974) noch immer den höheren sozialistischen Sinn hinter Moskaus Maßnahmen sucht und auf einen „integralen Sozialismus“ hofft, haben Moskaus Gäste vom Schutzbund ein immer höher angesetztes Plansoll von Beschimpfungen und Verleumdungen ihrer alten Führer zu erfüllen. Dies und die Härte der sowjetischen Lebensbedingungen führt bei vielen von ihnen zum Wunsch, heimzukehren, auch, wenn sie in Österreich auf den Fahndungslisten stehen und mit Kerkerstrafen zu rechnen haben.

Die einen kehren angefeindet, ja verprügelt von den Zurückbleibenden, heim, die anderen bleiben — oder gehen nach Spanien, um wieder zu kämpfen. Aus vielen Ländern strömen ehemalige österreichische Schutzbündler nach Spanien, aber jene, die direkt aus Österreich gekommen waren, wunderten sich über die Schweigsamkeit ihrer in der Sowjetunion lebenden Kameraden. Es erwies sich sehr schnell, daß sozialistische Spanienkämpfer einem enormen Druck ausgesetzt waren, zu den Kommunisten überzugehen, und Julius Deutsch, der als General in der Republikanischen Armee diente, stieß, wenn er die österreichischen Truppenteile besuchen wollte, auf unsichtbare Mauern, die aber für kommunistische Besucher nicht zu existieren schienen.

Stalins Beitrag zum Ausgang des Krieges in Spanien ist heute hinlänglich bekannt. Von 1700 bis 2000 Österreichern, die in Spanien auf der republikanischen Seite gekämpft haben, sind rund 400 gefallen — unter ihnen viele Schutzbündler. Was überlebte und in die Sowjetunion zurückkehrte, geriet dort in die Mühlen der großen Säuberung oder zwischen die Mühlsteine des Stalin-Hitler-Paktes.

So sind von rund 300 Sohutzbünd-lern, die in Charkow landeten, die Namen von rund 100 bekannt, von denen wiederum 22 vor und 28 nach dem Krieg nach Österreich zurückkehrten, drei in Spanien fielen und drei von den deutschen Truppen in Rußland getötet und 15 unter Stalin verhaftet wurden, gestorben sind 13 (einschließlich derer, die die Haft nicht überlebten), 12 leben noch in der Sowjetunion. Fünf von ihnen dienten in der Roten Armee, einer, Erich Hubsmann, starb in Dachau, Rudolf Hartl, Metallarbeiter und in Spanien gefallen, soll es sogar zum Mitglied des Oharkower Stadtsowjets gebracht haben. Über die übrigen 200 ist nichts bekannt.

Was Stadler in Gesprächen mit überlebenden Schutzbündlern, die freilich zum Teil nichts mehr von der Vergangenheit wissen wollten, an Wissen retten konnte, ist ein Mosaik von Einzelschioksalen, die in den Strudel der Zeit gerieten. In der Sowjetunion starb Gustav Deutsch, der Sohn von Julius Deutsch der infolge seiner Begeisterung für die Sowjetunion in Konflikt mit seinem Vater geriet: verurteilt und hingerichtet an einem Sommertag des Jahres 1939. Seine Frau verbüßte acht Jahre Arbeitslager. Heinz Roscher, Schutabundkommandant von Floridsdorf und damit eine Schlüsselfigur der Februarkäimpfe, und eine führende Figur der Schutzbündler in der Sowjetunion, wurde eine Woche vor dem 4. Jahrestag des 12. Februar gegen Mitternacht geholt und starb angeblich an Herzschwäche in der Haft Sein damals zwölfjähriger Sohn erinnert sich an das großspurige Gerede eines anderen österreichischen Schutzbundemigranten in Moskau, der nach der Verhaftung Roschers erklärte, niemand werde ohne Grund verhaftet — und wenige Tage später selbst verhaftet wurde.

Margarete Buber-Neumann traf auf einem Gefangenentransport mit drei oder vier Schutzbündlern zusammen, deren Namen sie sich nicht merkte. Zwei Floridsdorfer „Schutzbundkinder“, mittlerweile 17 oder 18 Jahre alt, wurden von einem anderen Schutzbundobmann in einem Durchgangslager in Swerd-lowsk gesehen, wo sich eine ganze Kinderkolonie auf den Weg ins Lager machte. Die Witwe des Schutzbündlers Franz Quittner wurde nach dem Krieg, als sie wieder einmal Gewißheit über das Schicksal ihres Mannes suchte, von KPÖ-Sekretär Fürnberg angefahren: „Ich habe dir doch schon vor dem Krieg gesagt, daß Franz tot ist. Das hat Berija dem Dimitroff auf seine diesbezügliche Anfrage mitgeteilt. Im übrigen hatten wir noch einmal, während des Krieges, eine Unterredung mit dem NKWD in dieser Sache. Sie drückten uns ihr Bedauern aus, daß ein so wertvoller Genosse unschuldig unter die Räder gekommen ist. Daraufhin wurde ja Franz als erster unter allen jemals vom NKWD Verhafteten von der Partei rehabilitiert!“

Viele Schutzbündler, die nicht emigrierten, und viele solche, die emigrierten und noch vor dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten, mußten noch einmal in ihrem Leben zur Waffe greifen — diesmal in der deutschen Wehrmacht. So Emmerich Sailer, nach dem der Sailer-Hof in Margareten benannt wurde — am 16. Februar 1934 zum Tod verurteilt, begnadigt, bei Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft geraten, nach dem Krieg SPÖ-Gemeinderat — in Wien gestorben.

Theo Schuhbauer wiederum, Wiener Gemeindewachekommandant, fiel im britischen Marinedienst. Major Alexander Eifler, Körners Gegenspieler im Schutzbund und 1935 zu 18 Jahren verurteilt, starb am 2. Jänner 1945 in Dachau. Hauptmann Rudolf Low ging nach Palästina, half dort die jüdische Kampforganisation Haganah aufzubauen, und leitete bis zu seinem Tod das israelische Militärarchiv. Zwei Schutzbünd'Ier kämpften im Warschauer Ghetto-Aufstand. Lois Vallach, nach dem 12. Februar politischer Leiter des nach links gerückten „Autonomen Schutzbundes“,organisierte an der Leningrader Front das Uberlaufen deutscher Soldaten. Andreas Mader, Andreas Besau, Hans Ilke und andere Schutzbündler verhungerten mit Hunderttausenden von Sowjetbürgern im belagerten Leningrad, Josef Stern starb in einem Lager. Franz Schrecker starb in den Kirow-Wer-ken bei einem Bombeneinschlag.

Viele Schutzbündler fielen Hitler zum Opfer. Sie wurden im Landes-, gericht Wien hingerichtet, wie Anton Kuchticek, der Flugblätter hergestellt hatte. Oder sie ergriffen, nach dem Ende des Spanienkrieges, nicht die Fluchtchancen, die ihnen ihre französischen Bewacher in den Internierungslagern boten, sondern ließen sich, getreu der Weisung der Kommunistischen Partei, ins Konzentrationslager und in den Tod führen. Wie Rudolf Friemel, der kurz vor Kriegsende m Auschwitz gehenkt wurde, und viele andere.

Manche wurden auch vom NKWD bei Brest-Litowsk direkt an die Gestapo übergeben — unter ihnen 13 Scbutaibündler, die in Gorki gelebt hatten.

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