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Manövriermasse Bosnien

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Nur oberflächlich betrachtet liegen die Dinge klar auf der Hand: da ist der serbische Aggressor und da sind die moslemischkroatischen Verteidiger. Traf dieses Bild bereits bei Ausbruch der ersten Scharmützel im vergangenen Herbst nur bedingt zu, so sind die Fronten spätestens seit Ausrufung der „Kroatischen Republik Herzeg" am 5. Juli dieses Jahres verschwommen.

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Nur oberflächlich betrachtet liegen die Dinge klar auf der Hand: da ist der serbische Aggressor und da sind die moslemischkroatischen Verteidiger. Traf dieses Bild bereits bei Ausbruch der ersten Scharmützel im vergangenen Herbst nur bedingt zu, so sind die Fronten spätestens seit Ausrufung der „Kroatischen Republik Herzeg" am 5. Juli dieses Jahres verschwommen.

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Mit diesem Schritt trennten sich auf politischem und militärischem Gebiet die „Kroatischen Verteidigungsräte" (HVO) formal von den „Moslemisch-Kroatischen Bürgerwehren" und erkannten den Oberbefehl des bosnischen Staatspräsidiums mit Präsident Alija Izetbegovic an der Spitze nicht länger an.

Selbst auf das Angebot Izetbego vics, die HVO könne den Verteidigungsund andere Minister im Kabinett stellen, gingen die Kroaten nicht mehr ein. Als selbsternannter Präsident von „Herzeg" erklärte dagegen Mate Boban bei seinem „Amtsantritt", er habe mit dem „Fundamentalisten Izetbegovic" keine gemeinsame politische Basis mehr. Selbst Radovan Karadzic, der bosnische Serbenführer, stehe ihm näher. Mit den Serben könne man wenigstens noch verhandeln.

Diese Worte lösten auch unter gemäßigten Kroaten Verbitterung aus. So bezichtigte der kroatische Vertreter im bosnischen Staatspräsidium, Stjepan Klujic, seinen ehemaligen Weggefährten Boban öffentlich des Verrats am bosnischen Verteidigungskampf und stellte die Behauptung auf, als eigentlicher Drahtzieher für die Ausrufung der „Republik Herzeg" sei der kroatische Präsident Franjo Tudj-man auszumachen.

Der Verwirrung nicht genug, mischte sich auch noch der rechtsradikale Vorsitzende der „kroatischen Partei des Rechts", Dobroslav Paraga, ein. Der Theologe und Verehrer des Usta-scha-Führers von Hitlers Gnaden, Ante Paveli c, beschuldigte seinerseits „die Sozialfaschisten Boban und Tudj-man", nur die „Herzeg" befreien zu wollen, anstatt das gesamte „historische kroatische Land". Paraga und seine Freischärlertruppe „HOS" fühlen sich nämlich weder Sarajewo noch Zagreb verpflichtet, sondern kämpfen auf eigene Faust für eine „kroatisch-bosnische Föderation", zu der ihrer Ansicht nach auch Teile der heutigen Wojwodina, des serbischen und montenegrinischen Sandschak und ein kleiner Zipfel des albanisch besiedelten Kosovo-Gebietes gehören müßten.

Obwohl eine weitere Gruppierung, die „Kroatische Staats tragende Bewegung" (HDZ) in ihren Kampfschriften die gleichen „historischen Grenzen" eines Großkroatien propagiert und die Existenz eines eigenständigen moslemischen Volkes in Bosnien negiert, distanzieren sie sich von Pa-ragas „rechtslastiger Ideologie". Sie wollen ihre Reihen auch für Linke und Internationalisten offen halten, wie der Parteivorsitzende Nikola Stedul ausdrücklich betont. Ihnen gehe es einzig um die „Zerschlagung des neu entstandenen serbischen Faschismus". Die Untergrundbewegung, die schon in titoistischen Zeiten von sich reden machte und deren Mitglieder von jugoslawischen Todesschwadronen verfolgt wurden, verfügt seit langem über weltweite Verbindungen zu militanten Organisationen.

Die bekanntesten Freischärlergrup-pen auf Seiten der Serben sind die „Tschetniks" unter dem Kommando von Vojislav Seselj, die „Serbischen Tiger" unter Zeljko Raznjatovic Ar-kan, die „Freien Krajina Kämpfer", die sich mit ihren Einheiten den Serbenführern Goran Hadzic und Mom-cila Krajisnik unterstellten, die Einheiten von Kapetan Dragan, die „Weißen Adler" eines Dragoslav Bo-kan, die „Weißgardisten", die sich unter Führung Mirko Jovics in Dutzende Untergruppen gliedern, die „Montenegrinischen Tschetniks" unter dem Kommando von Milika Dace-vic, eine Gruppierung „Herzegowini-scher Tschetniks" unter Bozidar

Vucurevic, die „Vereinigung Leben oder Tod" mit Predrag Laie Bride an der Spitze und die „Internationalen Pamjat Brigaden", russische Neofa-schisten, die der russische Schriftsteller Dmitrij Zukov und sein Belgrader Kollege Radivoj Vasic gegen den „islamischen Fundamentalismus" und die „vatikanische Weltverschwörung" in den Kampf schicken.

Mit diesen Freischärlergruppen schlössen auch noch Teile der ehemaligen „Jugoslawischen Volksarmee" einen Pakt. Von einer straff organisierten Armee kann dabei aber keine Rede mehr sein. Denn schon beim Blitzkrieg gegen Slowenien im Juli 1991 spalteten sich die damals noch kommunistisch ausgerichteten jugoslawischen Streitkräfte in mehrere Flügel.

Während des Krieges in Kroatien kam es dann zu weiteren Machtkämpfen und Abspaltungen innerhalb der Generalität. Mit der internationalen Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und zuletzt Bosniens wurde die Jugoslawische Volksarmee von den neuen Staaten als ausländische Besatzungsmacht angesehen. Offiziell leitete sie auch am 28. April 1992 ihren Rückzug aus Bosnien ein, nachdem sie Monate zuvor schon aus Slowenien und Kroatien abgezogen war. Mit einem Schönheitsfehler: Das Kriegsgerät wurde einer neu geschaffenen „Serbischen Territorialverteidigung" vermacht, die sich dann zur „serbischen Armee Bosniens" umwandelte. Ein harter Kern der Generalität führte anfangs das Oberkommando und berief sich dabei auf die 50jährige Tradition der Jugoslawischen Volksstreitkräfte", die übrigens am 22. Dezember 1941 in der kleinen bosnischen Stadt Rudo gegründet wurden - zu Stalins Geburtstag und nach dessen Vorstellungen.

Gerade dieser Kern, Generäle, die selbst der serbischen Minderheit in Bosnien entstammen, hat sich bis heute nicht mit dem „Sezessionismus" der Slowenen, Kroaten, Mazedonier und Moslems abgefunden und beschwört ständig die „Gefahr eines Großdeutschland". Da ihnen ideologisch kaum noch jemand folgen kann, haben sie mit den serbischen Freischärlergruppen ein Zweckbündnis geschlossen. Sie beliefern diese mit Waffen aus ehemaligen Armeebasen in Bosnien. Die Moslems schienen bisher geschlossen hinter ihrem Präsidenten Izetbegovic zu stehen. Doch auch dieser Schein trügt. Die zwei Millionen Moslems (44 Prozent der Bevölkerung) hatten bei Kriegsausbruch gar keine andere Wahl, als sich geschlossen in die „Bürgerwehren" und „Heimatverbände" einzureihen, die sich in allen Orten der Republik spontan gebildet hatten. Das Oberkommando über diese angeblich 70.000 Mann, die nur mit Leichtfeuerwaffen ausgerüstet waren, ging aber bereits in den ersten Kriegstagen an die sogenannten „Grünen Barette" über, eine Gruppe, die ideologisch rechts von Izetbegovic steht.

Wiederum rechts von den „Grünen Baretten" tummeln sich mittlerweile Gruppen mit fundamentalistischen Ideen, aber auch Banden und Feierabend-Revolutionäre, die die Geschicke in die eigenen Hände nehmen. Einer dieser Rambo-Typen ist „Juka", wie er sich von seinen Leuten anreden läßt. Nacht für Nacht versuchen Juka-Leute in Partisanenmanier gegen die feindlichen serbischen Stellungen vorzudringen. Unter großen

Verlusten erzielen sie Erfolge und werden im Fernsehen gefeiert.

Der Führer der „Bosnisch-Moslemischen Widerstandsbewegung", Murat Sabanovi c, verhehlt seine fundamentalistische Ausrichtung erst gar nicht. Er gilt für manche als der erste „bosnische Mudschahedin" schlechthin. Hatte er die „Ghandi-Politik" Izetbegovics als kurzsichtig verdammt und Sprengstoffanschläge gegen serbische Einrichtungen verübt, als der Krieg noch in Slowenien tobte, fordert er nun ein „serbenfreies Bosnien".

Das Problem liegt nicht ausschließlich an den unzähligen Freischärlergruppen, sondern vor allem an der Logik aller Kriegsparteien, stets wechselnde Allianzen einzugehen. Zuletzt behindert auch die nationalistische Ideologie nahezu aller einflußreichen serbischen und kroatischen Politiker einen dauerhaften Friedensvertrag, daß sie in Bosnien-Herzegowina eine „Manövriermasse" sehen, durch die man für Gebietsverluste im kroatischen Krieg entschädigt werden müsse.

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