6887487-1979_33_07.jpg
Digital In Arbeit

Mao ist wirklich tot

19451960198020002020

Eine österreichische Journalistendelegation besucht auf Einladung der chinesischen Regierung derzeit die Volksrepublik China. Die FURCHE wird in mehreren Beiträgen darauf zurückkommen, besonders auch auf die sensationelle Öffnung der jahrzehntelang abgeriegelten Grenzen der Autonomen Region Tibet für die Gäste aus Österreich. Hier die ersten Eindrücke einer Rundreise durch mehrere Provinzen.

19451960198020002020

Eine österreichische Journalistendelegation besucht auf Einladung der chinesischen Regierung derzeit die Volksrepublik China. Die FURCHE wird in mehreren Beiträgen darauf zurückkommen, besonders auch auf die sensationelle Öffnung der jahrzehntelang abgeriegelten Grenzen der Autonomen Region Tibet für die Gäste aus Österreich. Hier die ersten Eindrücke einer Rundreise durch mehrere Provinzen.

Werbung
Werbung
Werbung

Vorbei an Bäumen und Blumen aus allen 22 Provinzen Chinas zieht man, in Viererreihen geordnet und zu Rede- und Fotografierverböt verhalten, an dem bis über die Brust mit einer roten Fahne bedeckten toten roten Gott von einst vorbei.

Aber das nach dem Tod Mao Dse-dongs (die neue phonetische Schreibweise) vor drei Jahren in Rekordzeit errichtete Mausoleum am Platz zum Tor des himmlischen Friedens ist zwar zu einer Orgie von Marmor, nicht aber des politischen Kults gediehen. Es ist nicht einmal ständig geöffnet, sondern nur an bestimmten Tagen der Woche für organisierte Abordnungen zugänglich.

Maos Bild dominiert immer noch -zusammen mit den Konterfeis von Marx, Engels, Lenin und Stalin (!) -das historische Zentrum Pekings. Aber aus vielen Amtsräumen in ganz China ist er derartig auffällig verschwunden, daß wir wiederholt nach den Gründen fragten.

„Wir werden seine großen Verdienste nie vergessen, aber der von der Viererbande veranstaltete Personenkult war schon ins Vulgäre ausgeartet“, sagte man uns dazu im Verlauf einer dreistündigen Diskussion mit Vertretern des Revolutionskomitees der Autonomen Region Tibet in Lhasa.

Und als ich in Peking den stellvertretenden Kulturminister Zhou Erfu arglos fragte, warum Mao die vielen Untaten der „Viererbande“ nicht dadurch verhindert habe, daß er ihr prominentestes Mitglied, Madame Tschiang-Tsching (Maos Ehefrau), einfach zurückpfiff, lautete die Ant-' wort: „Der Vorsitzende war zuletzt gesundheitlich schon stark beeinträchtigt.“

Noch deutlicher kann man von Regierungsseite kaum bestätigt bekommen, was wohl auch die Massen des 960-Millionen-Volkes immer mehr durchschauen müssen: Die mit tibetischer Gebetsmühlen-Automatik vorgetragene Kritik an der „Viererbande“ ist ebenso verschleierte Kritik an Mao selbst, wie die vor Maos Tod verbreitete Kritik an Konfuzius, von der heute kein Ton mehr zu hören ist, eigentlich Tschou Enlai galt (was uns im regierungsoffiziellen „Institut für Weltreligionen“ bestätigt wurde).

Der verstorbene Ministerpräsident hatte alle jenen Reformen angestrebt, die heute der stellvertretende Premierminister Deng Xiaobing (zweifellos Motor der gegenwärtigen politischen Entwicklung, obwohl man nirgendwo Deng-Bildern sieht) in atemberaubendem Tempo auszuführen versucht.

Man begegnet den Spuren dieser Reformpolitik auf Schritt und Tritt. Das Straßenbild ist gegenüber früher (ich war zum erstenmal 1974 in China) bunter geworden. Statt grauer Anzüge tragen auch in Peking die Frauen heute weiße Blusen und grüne oder blaue Hosen, aber auch schon vereinzelt farbige Röcke, die in Schanghai oder Kanton bereits deutlich das Bild bestimmen.

Die Damen Chinas beginnen die Mode neu zu entdecken und mit ihr die ersten Etappen des vielstufigen erotischen Spiels, das bis vor kurzem aus dem öffentlichen Leben Chinas total verbannt war. (Man fragte sich förmlich, wie sich das Volk allein in den „zehn bösen Jahren“ der Viererbande um 140 Millionen vermehren konnte.)

Heute halten chinesische Mädchen und Frauen den Blick nicht mehr geschlechtslos zu Boden gesenkt. In den Auslagen sind, vor wenigen Jahren noch undenkbar, Produkte der Miederindustrie (horrible freilich) und vereinzelt sogar westlich geschneiderte Modelle aufgetaucht.

Man begegnet händchenhaltenden Paaren in Straßen und Parks und Liebesszenen ohne Revolutionsbezug auf der Bühne. Die von Madame Tschiang-Tschingverordneten „revolutionären Opern“ werden zwar teilweise noch gespielt, aber viel seltener als die bis vor kurzem noch total verpönten klassischen Stücke der Pekinger Oper mit Prinzen und Mandarinen, Feen, Göttern und Geistern.

Unterhaltung um der Unterhaltung willen ist wieder erlaubt: Wir wohnten in Peking der ersten Massenvorführung der einstmals so beliebten Kraftmeierdarbietungen bei, bei der ein schmächtiges Männchen zwei 500-Kilo-Steinplatten über sich wälzen ließ und Ziegelblöcke auf dem Kopf seiner noch schmächtigeren Partnerin zertrümmerte.

Aber Unterhaltung ist eines, Leistung ein anderes. Die Schulen und Universitäten sollen wieder vor allem Stätten des Lernens und nicht vornehmlich Kaderschmieden sein. Manuelle Arbeit nach der Mittelschule ist nicht mehr Pflicht, nur noch „empfohlen“, und an den Universitäten werden Aufnahmsprüfungen wieder sehr ernstgenommen. Begabte werden bevorzugt, schlechte Schüler bleiben sitzen.

Materielle Anreize für Leistung, bis vor kurzem (richtigerweise als antimarxistisch verdammt), werden in Form von Akkordlohn, Prämien und anderen Vorteilen gewährt, „um Fleiß zu belohnen“, wie uns der Vize-Bautenminister Xia Beii versicherte. Er wies auch auf die beabsichtigte stärkere Heranziehung von Auslandskapital bei Kompensationsgeschäften (z. B. öllieferungen für 01-felderschließung) und die Ermöglichung der Unternehmensform der ,joint ventures“ hin.

Gleichzeitig aber machte auch er deutlich, was sich inzwischen herumgesprochen haben sollte: daß manche der bereits kolportierten Monsterabschlüsse bleiben werden, was sie von Anfang an waren: Luftgeschäfte. China will seine Auslandsverschuldung weiterhin in Grenzen halten.

Dafür öffnet es seine Grenzen nicht nur fremden Geld und Know-how, sondern auch wieder der Musik und Literatur der westlichen Welt. In Lhasa wurde bei einem Volkstums-abend das patriotische amerikanische Volkslied „Yankee Doddle“ heftig beklatscht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung