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Mao und die Mauer

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Mit einem lachenden und einem’ weinenden Auge werden die Menschen der freien Welt das neue Viermächteabkommen über Berlin betrachten. Mit einem lachenden: weil die Existenz West-Berlins, insbesondere durch die Garantie der freien Zufahrtswege, endlich besser gesichert iist, als dies bisher der Fall war. Vor allem auch, weil die Sowjetunion den neuen Status von West- Berlin, einschließlich der freien Zufahrtswege, garantiert hat. Mit einem weinenden Auge: denn sichtlich wurde seitens der Westmächte nicht alles erreicht, was vielleicht hätte erreicht werden können.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde Deutschland unter die vier Siegennächte auf- geteilt. Ähnlich wie Österreich. Auch die Reichshauptstadt Berlin wurde unter die vier Siegermächte aufgeteilt. Ähnlich wie die Bundeshauptstadt Wien. Aber dann begann eine verschiedene Entwicklung, anders im besetzten Österreich und anders im besetzten Deutschland. Die ursprünglich nur für die östliche Besatzungszone Österreichs zuständige Regierung Renner konnte durch Ergänzjungen zu einer gesamt österreichischen Regierung ausgebaut werden. Und von da an gelang es Österreich, seine Einheit zu bewahren und alle Versuche der Russen, wäihrend der kommenden Jahre Österreich in ein östliches und ein westliches Gebiet aufzuspalten, mißlangen. In Deutschland dagegen entwickelte sich im Laufe der Jahre ein westlicher deutscher Staat, die Bundesrepublik, und ein östlicher, die Deutsche Demokratische Republik.

Von dem einst zur Gänze aufgeteilten und besetzten Reichsgebiet blieb nur mehr das Gebiet der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin geteilt und besetzt. Für Berlin galt bis jetzt — zumindest theoretisch — das aite Vienmächtestatut. Ganz Berlin unterstand den vier Mächten, wobei das östliche Berlin’von der russischen Besatzungsmacht und das westliche von den westlichen Mächten verwaltet wurde. Trotz dieses Statuts gelang es der DDR sehr bald, Ost-Berlin sich regelrecht einzuverleiben, sicherlich mit der Zustimmung der Russen. Die Ost-Berliner wurden Staatsbürger der DDR, mußten in der Volksarmee dienen und sind in der Volkskammer vertreten. Ja, Ost-Berlin wurde sogar Sitz der DDR-Regierung. Diese Maßnahme ‘ stellt an sich eine Verletzung des Viermächteabkommens dar. Die Westberliner dagegen waren nicht deutsche Bundesbürger, sie mußten nicht in der deutschen Bundeswehr dienen und waren im Bonner Parlament nicht durch Abgeordnete vertreten. Die DDR ging noch weiter: Sie behauptete, auch West-Berlin sei ein Territorium der DDR und gehöre diesem Staat einverleibt. Zahlreich waren seit 1948 die Versuche der DDR, mit Hilfe der Russen West- Berlin „abzuwürgen“. Alle diese Versuche mißlangen, da die Westalliierten, die im Bezug auf die Okkupation Ost-Berlins durch die DDR kaum einen Finger rührten, in diesem Fall hart blieben. Für die Menschen der Ostzone war dieses West- Berlin das letzte „Loch im Vorhang“, durch welches man ln den’ freien Westen gelangen konnte. Der Flüchtlingsstrom war so gewaltig, daß er schließlich die Existenz der DDR bedrohte. Die Antwort des Ulbricht- Regimes war schließlich die hermetische Abriegelung Ost-Berlins durch die Errichtung der Mauer.

Als Willy Brandt westdeutscher Bundeskanzler wurde, schloß er bald den bekannten Vertrag mit Moskau, machte aber den Abschluß von einer endgültigen Regelung der Berlin-Frage abhängig. Und zu diesem Abschluß kam es jetzt dank der internationalen Situation. Und was enthält der neue Berlin-Vertrag?

• Ost-Berlin wird — wenn auch stillschweigend — endgütlig Teil der DDR.

• West-Beriin dagegen wind nicht ein Teil der Bonner Bundesrepublik, sondern eihält einen eigenen Status. Dieser Status ist schlechter als der, den einst die Freie Stadt Danzig besaß. Denn Danzig war ein eigener Staat, dessen Selbständigkeit der Völkerbund garantierte. Die Unabhängigkeit West-Berlins wird nicht von der UNO, sondern nur von den drei Westmächten und — dies ist ein Vorteil — auch von der Sowjetunion garantiert Die DDR kann somit nicht mehr behaupten^ West- Berlin sei eigentlich ostdeutsches Territorium.

• Die Westmächte, aber auch die Sowjetunion, garantieren die freie Verbindung zu Wasser, zu Lande und in der Luft mit dem Westen. Worin diese Garantie besteht, 1st allerdings nicht gesagt. Aber eine« lie®t in ihr verborgen: Die Russen halben jetzt die DDR in der Hand: sie können sie jederzeit zwingen, den Verkehr West-Berlins mit der freien Welt nicht zu unterbinden. Wieder zeigt sich das gleiche Spiel, das die Russen schon einmal mit de Gaulle und den französischen Kommunisten spielten: Die Allianz mit de Gaulle war ihnen lieber als ein Sieg der französischen Kommunisten in Frankreich. Auch jetzt ist es ihnen lieber, mit der westlichen Welt in Kontakt zu sein, als nur die Freundschaft mit der DDR zu besitzen.

Denn die internationale Lage ist für die Russen nicht sehr günstig. Die Reise Nixons nach China steht bevor. Der kommunistische Putsch im Sudan und in Marokko gelang nicht, nur Malta scherte aus der NATO aus. Maos Schatten breitet sich langsam über Rumänien und Jugoslawien aus. Albanien war ohnedies schon lange ein sicherer Stützpunkt der Chinesen. Die Russen können keine Unruhe an ihrer Westgrenze brauchen und deswegen kam es zur Einigung über Berlin. Hätten die Westmächte härter gespielt, dann hätten sie sicherlich mehr herausholen können, zum Beispiel eine präzisiertere Garantie der Zufahrtswege. Sie hatten nicht begriffen, daß die Russen jetzt keine Zeit mehr haben, sondern sehr unter Zeitdruck stehen.

Der banale Satz „Die Zeit geht weiter“, der so oft verwendet wird, um einen Menschen oder einer Institution ein sanftes Sterben beizubringen, zeigt auch hier wieder, daß er eigentlich ein Verbündeter des zum Sterben Verurteilten ist. Denn die Zeit ging auch im Fall Berlins weiter, allerdings nicht zugunsten der Russen, sondern zugunsten der Westmächte und West- Berlins. Hätten die Westmächte noch etwas gewartet und hätte die deutsche Bundesregierung nicht so auf Abschluß der Vereinbarung gedrängt, dann wäre die Sicherheit Berlins noch besser zu erkaufen gewesen. Denn auch im staatlichen Leben gilt, was im menschlichen Leben immer wieder seine Wahrheit behauptet hat: Wer warten kann, hat den längeren Atem.

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