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Maos Revolution ist tot

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Der Revolutionär Mao ist alt. Sein Kronprinz Lin-piao ist tot. Und Peking ist jetzt ein Zentrum der internationalen Diplomatie geworden. Ist Peking ein Zentrum der internationalen Revolution geblieben? Hatte zu Beginn der Kulturrevolution der Kommunismus östlich Kalkuttas — mit Ausnahme der KP Koreas — rund um Peking gelagert, ist der chinesische Lagerplatz jetzt leer. Felix-berto Olalia begründete: „Die Kulturrevolution ist abgewürgt worden, damit Tschu En-lais Sozialismus in einem Land ungestört beginnen kann.“ Olalia sprach für die Neue Volksarmee in den Wäldern von Lu-zon. Zwischen Dakka und Tokio hörte ich von Kommunisten kein anderes Urteil; nicht nur von Kommunisten, auch von Diplomaten antikommunistischer Regierungen. Nordvietnam gilt als das erste Opfer.

Am Höhepunkt der Zerstörung Nordvietnams durch US-Bomber schickte die Barisan Sosialis Parti in Singapur eine Delegation nach Hanoi. Direkte Hilfssendungen sollten vorbereitet, direkte Kontakte aufgenommen werden. „Wem sollen wir vertrauen?“ sagte mir Dr. Lee Siew Choh, Generalsekretär der Partei, „Peking und Moskau sind gleich schuldig. Sie haben uns in Malaya und die Genossen in Hanoi im Stich gelassen. In China hat die Konterrevolution gesiegt.“ Barisan Sosialis Parti ist der legale Firmenname der illegalen Kommunistischen Partei. Dr. Lee hat bis vor kurzem die Partei streng im Kielwasser Pekings gehalten. Jetzt ist die Photogalerie bei der Parteiversammlung das Zeugnis der neuen Situation: Alles kommunistische Stammväter, in der Mitte Mao Tse-tung, rechts von ihm Lin-piao. Tschu En-lai fehlt. Sonst nur ein demokratisches Alibi des nicht so demokratischen Regimes Lee Quan-Yews, hat diese Partei als legaler Knotenpunkt des illegalen Netzwerkes der Kommunisten und Guerillas zwischen Thailand und Borneo Bedeutung. Überall bestätigen Kommunisten das Urteil des Dr. Lee; es scheint Parteibeschluß der kommunistischen Partei Malayas zu sein.

Klar und deutlich hörte ich in Sibu, das am Tag von der Armee, bei Nacht von den Guerillas kontrolliert wird: Chinas Lager in Asien gibt es nicht mehr. Moskau darf davon nicht profitieren. Man müsse die Selbständigkeit erlangen und ein neues Verbindungsnetz knüpfen — vielleicht mit dem Knotenpunkt in Hanoi.

Das ist die eine Seite des Bildes.' Auf der anderen Seite herrscht diplomatische Aktivität. Es gibt keine De-jure-Beziehungen zwischen Malaysia und China, aber De-facto-Be-ziehungen und wirtschaftliche Verbindungen könnten nicht besser sein. Delegationen jeglicher Art reisen von Kuala Lumpur nach Peking. D;e Bank of China in Peking hat drei führende Bankhäuser in Malaysia mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet. Die Politiker und die Diplomaten von Malaysia betätigten sich als Wegbereiter für Chinas Rückkehr in die südostasiatische Politik und gehören zu den getreuesteri Verbündeten Pekings bei den Vereinten Nationen. Der größte Dienst war aber Malaysias Fürsprache in Indonesien. Malaysias Bemühen hat in

Indonesien Erfolg gehabt. Ein Vertrauensmann von Präsident Suharto weilte in diesem Frühjahr in Peking. Gerade als die Regierung von Indonesien das Wachsen der USA- und der Japan-Investitionen in Indonesien besorgniserregend zu finden begann. Indonesische Geheimmissionen nach Peking sind alltäglich geworden. „Von seiner Mission aus Peking zurückgekehrt, berichtete unser Oberst, daß die chinesischen Kommunisten das Schicksal der indonesischen Kommunisten zu vergessen beginnen. Jetzt müssen wir versuchen, auch über den kommunistischen Putsch vom Oktober 1965 hinwegzukommen, der das Vorspiel zur Kommunisteiisäuberung und zum Sturz Sukarnos gewesen ist“, sagte mir General Humardini, Java-Mystiker und Berater des Präsidenten. Die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen, die reziproke Entsendung von Botschaftern, wird nicht lange auf sich warten lassen.

An die Stelle der revolutionären Südostasien- und Malaienpolitik Pekings ist die regionale Koexistenz getreten. Peking hat mit vierjähriger Verspätung erkannt, daß Sukarnos Ende auch das Ende aller Hoffnungen auf ein revolutionäres Vorfeld im Süden Chinas war. China ist im Süden zahnlos und bedarf des Schutzes. Der sowjetische Marineaufbau im Indischen Ozean und der wachsende Sowjeteinfluß auf dem indischen Subkontinent hat in Peking das Gefühl einer Sicherheitskrise im Süden erweckt. Kann das Sicherheitsbedürfnis nicht durch verbündete Revolutionen befriedigt werden, so müssen verbündete Regierungen die Aufgabe erfüllen. Eine Politik der guten Nachbarschaft soll das gegenseitige Vertrauensverhältnis als Voraussetzung für eine Politik der Neutralität der Territorien und der Meere im Süden Chinas schaffen.

Die Erkenntnis von der Hoffnungslosigkeit aller revolutionären Unternehmungen im Süden Chinas kam nur kurze Zeit nach der Beendigung der Kulturrevolution. Für beides zeichnet Tschu En-lai. Die Begründung der Veränderung formulierte Percy Cheng, Millionärsanwalt und verantwortlicher Exponent Pekings in Hongkong: „Wir haben die Gezeiten verpaßt. Wir glaubten, daß wir noch auf dem Wellenkamm einer revolutionären Flut reiten, als längst revolutionäre Ebbe herrschte. Jetzt hat Tsohu En-lai der Wirklichkeit politisch Rechnung getragen.“

Den kommunistischen Parteien und den Guerillas in Thailand, in Malaysia, auf den Philippinen ist nach und nach die Hilfe entzogen worden, politisch und materiell, wie den kämpfenden Nordvietnamesen. Gewehre, aus denen keine Macht kommt, sind wertlose Gewehre. Ähnlich wie die Komintern nach 1926 ist das kommunistische Lager Chinas ein Abstellplatz aus fehlgeschlagenen Revolutionen. Doch China ist nicht das „Vaterland aller Werktätigen“, und die kommunistischen Parteien sind nicht die Komintern von Anno dazumal. Aus dem Nationalismus entstanden, reagieren sie nationalistisch. Wo das chinesiche Lager war, gibt es heute nur Parteien des nationalen Kommunismus. Maos China hat den letzten Schimmer von Internationalismus verloren.

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