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Marcs Visionen

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Die „Selbstbetrachtungen“ des Marc Aurel sind das erste Buch, das in Wien, oder zum größten Teil im unmittelbaren Nahbereich dieser sehr viel später entstandenen Stadt, geschrieben wurde. Daß der kränkliche, von seiner Jugend in Rom an den Philosophen zugeneigte Kaiser die barbarische Gegend von Carnuntum und Vindobona auch dann nicht verlassen wollte, als es gute Gründe dazu gab, wird jeden erstaunen, der sich näher mit diesem Phänomen befaßt.

In Rom gab es höchst gefährliche Intrigen, Invasionen in Griechenland und Italien. In Syrien und Ägypten, den unentbehrlichen Kornkammern Roms, wurde Marc Aurels einstiger Freund Avidius Cassius zum Kaiser ausgerufen. Endlich ließ Marc Aurel sich bewegen, nach Nordafrika zu reisen und etwas gegen diese Katastrophen zu unternehmen. Alexandrien, Athen, Rom, wo er nicht nur wesentliche Neuorganisationen durchführte, sondern auch mit den besten Intellektuellen zusammentraf, hielten ihn nicht im Süden.

Obwohl sein Arzt Galenus ihn beschwor, in Rom zu bleiben, begann er die „zweite germanische Expedition“. Das römische Reich war aber keineswegs nur dort gefährdet. „Oh meine Markomannen und Quaden“, rief er einmal, die nur Kriege und Raubzüge führten, die Welt erobern wollten, aber zu regelmäßiger Arbeit überhaupt keine Lust hatten. Er kannte sie genau. Er wußte, daß von dort her die Irrationalität der künftigen Sturmflut drohte, obwohl dies in der gebildeten Gesellschaft der kultivierten Metropolen keineswegs geglaubt wurde.

Das zweite Kapitel der „Selbstbetrachtungen“ - es trägt die Bezeichnung „In Carnuntum “ - beginnt mit dem Satz: „Morgens früh zu dir sagen: ich werde mit einem zudringlichen, undankbaren, frechen, falschen, mißgünstigen, unfreundlichen Menschen zusammentreffen“ - ein Satz, der als treffliche Vorbereitung auf spätere Verhältnisse hier an der Donau geschrieben sein könnte. Marc Aurel war ein moderner, mit weltweiten Intrigen, mit Weltgeschichte sehr bewußt konfrontierter Mensch, der die Staatsmänner, Feldherrn, Konsuln, Imperatoren zu sich an die Donau zitierte, wenn er sie zu sprechen wünschte. Sie mußten dafür wochenlange Reisen in Kauf nehmen, die äußerst mühsam waren. Acht Jahre lang wurde das Römische Reich von hier regiert.

„An sich selbst“ hieß, so vermutet man, der ursprüngliche Titel der „Selbstbetrachtungen “. Nicht für den Nachruhm, sondern zur eigenen Klarheit, zur eigenen geistigen Existenz wurden sie aufgezeichnet. Mönche aus Kappadokien und Byzanz haben den Text gerettet. So kehrt er auch dorthin zurück, wo er niedergeschrieben wurde.

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