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Margaret Thatcher ließ die große Bombe platzen...

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Die Innenpolitik hat in den ersten Wochen dieses Jahres nichts an Brisanz fehlen lassen. Das kann darauf zurückgeführt werden, daß die Opposition <damit rechnet, die regierende Labour Party werde die Wahlen auf den kommenden Herbst vorverlegen. In den Parteihauptquartieren wird bereits die Wahlkampfmunition bereitgelegt, und es sind die Konservativen, die die bislang größte Bombe platzen ließen.

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Die Innenpolitik hat in den ersten Wochen dieses Jahres nichts an Brisanz fehlen lassen. Das kann darauf zurückgeführt werden, daß die Opposition <damit rechnet, die regierende Labour Party werde die Wahlen auf den kommenden Herbst vorverlegen. In den Parteihauptquartieren wird bereits die Wahlkampfmunition bereitgelegt, und es sind die Konservativen, die die bislang größte Bombe platzen ließen.

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Die konservative Parteivorsitzende, Margaret Thatcher, sprach es kürzlich anläßlich einer Parteiversammlung mehr als deutlich aus, als sie von der „Labour-Falle“ sprach: kurzfristige Steuersenkungen für ein paar Monate unter gleichzeitiger Anhebung der öffentlichen Ausgaben und dann rasch in die Wahlzelle. Thatcher weiter: „Diejenigen, die meinen, daß Mister Callaghan und ich im Oktober eine Verabredung haben, verfügen über genug politische Erfahrung. Was mich betrifft, würde mir ein Oktober-Termin gelegen kommen.“

Obwohl noch immer eine beträchtliche Minderheit der Labour-Abgeordneten an einen regulären Wahltermin im nächsten Jahr glaubt, dürften die Würfel bereits gefallen sein. Denn Cal-laghans Absprungsbasis sollte vor allem auf Grund der relativ deutlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage besser sein als nach einem voraussichtlichen Streikwinter 1978/79.

Angesichts dieses eher regierungsfreundlichen Trends ließ Frau Thatcher, der innerparteiliche Kritiker seit längerem mangelnde oppositionelle Schärfe vorwerfen, die innenpolitische Bombe schlechthin platzen: Sie griff in einem Fernsehinterview und zwei Wochen später bei einer Konferenz der Jungkonservativen das heikle Thema der ethnischen Minoritäten und der steigenden Einwanderung von „non-whites“ auf. Ein Thema, daß die Briten seit Jahren beschäftigt, doch von den großen Parteien bisher nicht angerührt wurde. Wie sehr Margaret Thatcher den Briten offensichtlich aus der Seele gesprochen hat, wird deutlich, wenn man die letzten Meinungsforschungsergebnisse vergleicht: Unmittelbar vor ihrer Rede brachte eine Befragung (am 18. Jänner) ein Ergebnis von 46 Prozent für die Labour-Party und 44 Prozent für die Konservativen. Nach der Rede Thatchers lautete das Verhältnis plötzlich 50 zu 39 Prozent zu Gunsten der Konservativen. Ein sensationeller 11-Prozent-Vorsprung, der die Labour Party begreiflicherweise schockte und zu schweren Angriffen gegen die konservative Parteichefin führte.

Labour-Chef Callaghan reagierte besonnener und lud - überraschend für alle Beteiligten - Frau Thatcher und den Parteiführer der Liberalen zu gemeinsamen. Gesprächen ein. Ziel dieser Callaghan-Initiative war es, gemeinsam vorzugehen, um „Rassenhaß und Spannungen“ von Großbritannien abzuwenden. Frau Thatcher machte dabei jedoch nicht mit: Sie erinnerte Callaghan an seine Ablehnung zur Zusammenarbeit in der gleichen Frage im Jahre 1971 (als die Konservativen an der Regierung waren).

Einen besonderen Akzent in dieser Frage setzte auch noch der Vorgänger Margaret Thatchers, Edward Heath, der seit seiner Abwahl nie ein Hehl aus seiner Ablehnung der Parteiführerin gemacht hatte. Er erklärte -keine 24 Stunden nach Thatchers Rede - daß man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und beschlossene Gesetze nicht nachträglich abändern könne. Heath bezog sich damit auf ein Gesetz aus seiner Regierungszeit, den „Immi-grations Act 1971“, der- so Heath- genügend Handhabe gebe, um die Einwanderung zu steuern.

Mit dieser Kritik, die sicherlich nicht wenig emotional begründet ist, liegt Heath dennoch etwas schief. Frau Thatcher ist nicht weltfremd, doch kommt sie auf Grund der zunehmenden Animositäten zwischen Weißen und Farbigen zum Schluß, daß „wir die traditionelle Toleranz und Fairneß in diesem Land nur aufrechterhalten können, wenn wir die Zahl der Einwanderer, die jetzt noch kommen wollen, herabsetzen“. Und sie wirft der Labour-Regierung eine Bemäntelung politischer Absichten vor, denn die vorwiegend auf der niedrigsten sozialen Stufe stehenden Einwanderer würden ein nicht zu vernachlässigendes Wählerreservoir für die Sozialisten bilden.

Politische Kommentatoren in London sind sich darüber einig, daß Margaret Thatcher mit dem Aufgreifen der Minderheitenfrage nicht nur das Wahlthema gewählt hat, an dem sich die Gemüter am meisten erhitzen würden, sie habe damit auch eine unmißverständliche Herausforderung ausgesprochen.

Im Lichte dieser jüngsten Ereignisse sind einige andere Schlappen der Regierungspartei fast untergegangen: Nach der Abstimmungsniederlage über die Form des Wahlrechts für das Europaparlament (siehe FURCHE Nr. 5) mußte auch sie zwei Niederlagen im Zusammenhang mit den Teüautonomiebestrebungen für Schottland hinnehmen. Es ist ihm bis jetzt nicht gelungen, eine einheitliche Meinung in seiner Fraktion herbeizuführen, was Auswirkungen bei den nächsten Wahlen haben könnte. Callaghan muß befürchten, daß durch diese Ablehnung die Labour-Party Sitze an die schottischen Nationalisten verliert, deren Enttäuschung begreiflicherweise groß ist. Die Karten im großen Wahlpoker sind also bereits gemischt, aber noch nicht verteüt.

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