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Maria — anziehend und ambivalent

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Neue theologische Überlegungen und ein verändertes Bild der Frau machen die Auseinandersetzung mit der traditionellen Marienverehrung notwendig: Dazu dieser Beitrag.

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Neue theologische Überlegungen und ein verändertes Bild der Frau machen die Auseinandersetzung mit der traditionellen Marienverehrung notwendig: Dazu dieser Beitrag.

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Ich studiere Theologie und beschäftige mich seit etwa einem Jahr im Rahmen meiner Diplomarbeit mit Maria, der Entstehung, Entfaltung, Wandlung und Bedeutung ihrer Verehrung. Dabei stieß ich und stoße ich immer wieder auf Fragen und Probleme, die für mich noch nicht beantwortet sind. So betrachte ich auch den folgenden Artikel nicht als fertig oder als eine Antwort, sondern als Denkanstoß und Diskussionsbei-

trag zu einer Auseinandersetzung und Diskussion, die mir notwendig scheint, da die Marienfrömmigkeit in der überkommenen Form sicher in vielen Punkten weder dem heutigen Menschen- und hier besonders dem Frauenbild, noch einer Theologie, die sich dem Neuen Testament verpflichtet weiß, gerecht wird.

Der Artikel ist durch seine Kürze sicher oft verallgemeinernd und ungenau. Der Leser, die Leserin mögen sich herausgefordert fühlen, selbst die Marienfrömmigkeit einer kritischen Prüfung — Kritik verstehe ich sowohl positiv als auch negativ — zu unterziehen.

„Besuchte ein Bewohner einer anderen Welt so unterschiedliche Kirchen wie und sähe die Hei-

lige Jungfrau auf dem Altar, fiele es ihm sicher äußerst schwer, zu verstehen, daß sie lediglich eine Fürsprecherin war und nicht etwa eine eigenständige Gottheit“ (Marina Warner).

Maria spielt im Neuen Testament eine, im Vergleich zu ihrer späteren Verehrung, sehr unbedeutende Rolle (Mk 3,31-35; Mk 6,3/Mt 13,55; Joh 2, 1-12; 19, 25-27; Apg 1,14; Kindheitsgeschichten). Doch ungeachtet dieses wenigen Raumes, den Maria im Neuen Testament einnimmt, bildeten sich schon im 2. Jahrhundert Legenden, die ihre Besonderheit und Bedeutung betonen, fanden sich bald auch Gebete und erste Darstellungen. Die Definition Marias als „Gottesmutter“ (wörtlich: „Gottesgebärerin“, griechisch: „Theotökos“) am Konzil von Ephesus 431, bei dem es um Klärung der christologischen Auseinandersetzungen ging, öffnete ihrer Verehrung als einer Ersatz- Muttergöttin Tür und Tor. Die folgenden Jahrhunderte brachten eine Fülle von Legenden, Gebeten. Liedern und Bildern hervor, die an Zahl vielleicht sogar die von Christus übertreffen.

Bemühte sich die Theologie auch, die Marienverehrung vom Kult heidnischer Göttinnen abzugrenzen, so sind doch viele deren Eigenschaften und Bilder auf sie übergegangen, Maria führt die Tradition der früheren Göttin weiter. Mary Daly und andere meinen sogar, daß das Volk nur aufgrund der Marienverehrung für das Christentum offen war oder zumindest, daß diese eine wesentliche Rolle dabei gespielt hat.

Vielfach ist das so entstandene Bild Marias auch’ eine Antwort auf tiefe menschliche Bedürfnisse, die in einer patriarchalen Gesellschaft und Religion zu kurz kommen. Doch wurde Maria so weit zurechtgestutzt, daß sie im patriarchalen Raum Platz hatte. Sie wurde ihrer Leiblichkeit und Sexualität beraubt. Sie wurde der Inbegriff von Liebenswürdigkeit, Abhängigkeit und Unterwürfigkeit und so die Legitimation der Herrschaft des Mannes über die Frau und — was eigentlich widersprüchlich scheint — zum Symbol der Macht. Unter ihrer Fahne zo-

gen Völker in den Krieg, und ihre Reinheit trieb die Ausmerzung der Feinde voran.

Bei einem Gott, der immer mehr zum gestrengen Richter wird, bedarf es der Kompensation durch die Frau. Wie manche Mutter für ihre Kinder ein gutes Wort beim gestrengen Familienvater einlegt, so tritt Maria fürbittend vor den Richterstuhl Gottes. Dadurch wird das System zwar gemildert, gerade dadurch aber auch gestützt. Sie ist als Göttin zwar immer noch besser als gar keine Göttin, aber es sollte gar nicht notwendig sein, daß eine Göttin einem Gott gegenübersteht.

So ist Maria eine ambivalente Gestalt. Auf der einen Seite kann sie zum Symbol jener Werte werden, die in einer einseitig patriarchalen Religion zu kurz kommen. Auf der anderen Seite ist gerade diese mächtig genug, sie ihren Interessen dienstbar zu machen und sie so jeder prophetischen Dimension zu berauben.

Ich wehre mich gegen eine weibliche Identifikationsfigur, die mir sagt, daß ich mich und meinen Körper unterdrücken, mich demütig dem Mann unterwerfen und die Grausamkeit und Übel männlicher Geschichte und Politik durch weibliche Fürsorge aus- gleichen soll.

Aber ich atme auf bei einer Gestalt, deren Monat der Mai ist, ein Monat berstender Frumirigs- und Lebensfreude, die als Jungfrau Symbol der unabhängigen, selbständigen Frau ist und die entgegen der Uberbetonung von Werten wie Macht, Leistung, Erfolg, Ansehen das Ganze des Lebens, die Seele in ihrer Einheit von Körper, Gefühl und Geist und weniger faßbare Werte wie Spontaneität, Kreativität, Solidarität, Phantasie wieder in Erinnerung ruft.

So kann sie für uns vielleicht als Glaubende, als eine, die sich der göttlichen Herausforderung des Lebens stellt und als Lernende unterwegs ist — als solche stellt sie uns ja das Neue Testament vor — wieder neu Bedeutung bekommen.

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