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Maria in der Herzegowina: Balkan-Fatima?

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Vier Mädchen und zwei Buben werden von der Gottesmutter „besucht". Die KP-Behörden wittern kroatischen Nationalismus, sind aber machtlos. Franziskaner-Patres bleiben nüchtern. Aber niemand kann das Ereignis mehr\,einbremsen".

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Vier Mädchen und zwei Buben werden von der Gottesmutter „besucht". Die KP-Behörden wittern kroatischen Nationalismus, sind aber machtlos. Franziskaner-Patres bleiben nüchtern. Aber niemand kann das Ereignis mehr\,einbremsen".

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„Sie ist mittelgroß und schlank, hat große blaue Augen und lange Wimpern. Ihre Wangen sind sehr frisch und rosig, wie durchsichtig. Sie trägt ein graues Kleid und einen weißen Schleier, unter dem einige Locken hervorschauen. Ihre Füße sehe ich nicht, denn sie jSchwebt etwas über dem Boden. Ihre Stimme ist wie ein leises Läuten von Glocken."

Man kann es kaum glauben, aber man erlebt es: Da sitzen einem ein paar Jugendliche gegenüber und erzählen, sie hätten ge-

rade vorhin beim Beten des Rosenkranzes die Muttergottes gesehen. Wie jeden Tag seit einem Jahr, als sie ihnen am 24. Juni 1981 zum ersten Mal auf einem Hügel über ihrem Dorf erschienen sei.

Das kleine Dorf Medugorje in der Herzegowina, nicht weit von Mostar, ist seither ein Wallfahrtsort geworden. Am Jahrestag der ersten Erscheinungen sollen 15.000 Menschen aus allen Teilen Jugoslawiens dort gewesep sein. Eine Million waren es im Laufe des Jahres insgesamt, schätzen die Franziskaner, die im benachbarten Citluk ein Kloster haben und Medugorje betreuen.

Was treibt die Menschen dorthin? Sensationslust kann es kaum sein, denn Sensationen spielen sich keine ab. Schon eher Neugier. Aber es gibt nichts zu sehen, es ereignen sich keine Wunder. Nach der täglichen Messe um 18 Uhr wird der Rosenkranz gebetet, und

die sechs Jugendlichen — vier Mädchen und zwei Buben, der Jüngste ist elf, die Xlteste ist 18 — sehen die Muttergottes und sprechen mit ihr im Gebet.

Alles ist unspektakulär. Die Franziskaner haben die Erscheinungen an den Gottesdienst angeschlossen, um dadurch das Mirakelhafte und Wundersame zurückzudrängen. Die Eucharistie und die Verkündigung sollen das Wichtigste sein.

Die Jugendlichen sind während des Ereignisses völlig ruhig, sie haben die Augen geschlossen und machen einen gesammelten Eindruck. An allem ist keine Spur von Hysterie oder Exaltiertheit. Nach dem Rosenkranz werden die „Seher" von vielen Menschen umringt, die ihnen Wünsche ins Ohr flüstern und Zettel zustecken, auf denen sie Bitten an die Gottesmutter niedergeschrieben haben: meist solche um Heilung von Kranken.

Die „Seher" behaupten, sie hätten von Maria einige Botschaften bekommen, über die sie mit den Franziskanern sprechen. Diese

haben aus den Auskünften der Kinder einige gemeinsame Aussagen gefunden. Einer der Patres erklärt das:

„Ich versuche, das, was die Kinder erzählen, in zentralen Kategorien des Neuen Testaments auszudrücken, etwa in der des Frie-, dens." Maria hat sich den Kindern gleich zu Anfang als „Königin des Friedens" vorgestellt. Die Christen sollten mehr beten, sagte sie, und das Fasten als religiöse Übung wieder pflegen.

Auch Himmel, Hölle und Fegefeuer wollen die Kinder gesehen haben. Darüber reden sie aber nicht. Im Laufe des Jahres seien ihnen von der Muttergottes fünf Geheimnisse mitgeteilt worden, über die sie zu schweigen verpflichtet wurden. Jetzt warten die Jugendlichen auf ein „großes Zeichen", das kommen werde und das für die Ungläubigen bestimmt sei. Einige der Jugendlichen sagen, sie wüßten, wann das Zeichen erscheinen und worin es bestehen werde.

Aus den ersten Tagen der Erscheinungen stammen auch Berichte über etliche wundersame

Begebnisse, Wunder, Heilungen, Sonnenerscheinungen, .Feuerzeichen. Das alles hat eine auffallende Ähnlichkeit mit den Erscheinungen von Fatima im Jahr 1917. Auch damals, im dritten Jahr des Krieges, war es ein Ruf zur Umkehr und eine Verheißung des Friedens. Auch damals wurden den Kindern, die die Erscheinungen hatten, Geheimnisse mitgeteilt, von denen eines bis heute noch nicht enthüllt wurde.

Auch hat wohl im gläubigen Bewußtsein das Pendel umgeschlagen. Nach einer Zeit der Aufklärung, der Rationalität, der „Theo-logisierung" der Verkündigung, steigt wieder die? Sehnsucht nach „Greifbarem", wo man unmittelbare Erfahrungen des Geheimnisses machen möchte. Nicht von ungefähr zieht es manche Erwek-kungsgruppen aus West- und Mitteleuropa nach Medugorje.

Schwindel oder Aberglaube also? Mit einer solchen Erklärung wird man nicht so schnell bei der Hand sein, wenn man die Menschen sieht, die nach Medugorje strömen. Es sind einfache Leute, besonders viele Jugendliche.

„Manche kommen aus Neugier, aber die meisten führen Glaube und Hoffnung her", sagt ein Franziskaner. „Dieser Sehnsucht nach Glauben und dieser Hoffnung wollen wir eine Antwort aus der Bibel geben."

Die Erscheinungen selbst kommentiert er zurückhaltend und skeptisch: „Ich sehe nicht, was die Kinder sehen", meint einer, der in Deutschland gerade seinen theologischen Doktor gemacht hat. Die Franziskaner identifizieren sich nicht mit dem, was die Kinder sagen, sie predigen auch nicht darüber. Zu ihren stehenden Sätzen, wenn sie über die Erscheinungen reden, gehört immer die Wendung: „... sagen die Kinder."

Medugorje beunruhigt die Partei und Staatsfunktionäre des kommunistischen Jugoslawien. Mehr noch als den Glauben scheinen sie zu fürchten, daß in Medugorje ein Herd kroatisch-nationalistische Agitation entstehen könnte. Der Ort liegt in einem von Kroaten bewohnten Gebiet der Herzegowina, und aus Kroatien kommen auch die meisten Pilger.

Die offenen Angriffe und die Verhöhnungen in der Parteipresse sind inzwischen zwar verstummt, aber die Wachsamkeit des Staatssicherheitsdienstes ist nicht erlahmt. Auf dem Weg nach Medugorje gibt es viele Polizeikontrollen. Der Pfarrer von Medugorje, Pater Jozo Zovko, ist vor einem Jahr wegen einer Predigt verhaftet worden und sitzt noch immer im Gefängnis.

Durch die Verhaftung Pater Jo-zos hoffte die Polizei vergeblich, den Vorgängen in Medugorje ein Ende zu machen, weil man den Geistlichen in Verdacht hatte, als kroatischer Nationalist die Ereignisse inszeniert zu haben.

Unter Druck gesetzt wurden auch die Kinder und ihre Eltern: ohne Erfolg. Die Kinder bleiben dabei, daß sie die Erscheinungen haben. Auf die Frage, was geschehen würde, wenn die Franziskaner eines Tages sagten, sie wollen das nicht mehr, antwortet die 17jährige Maria Pavlovic: „Die Patres können das gar nicht. Sie können nicht entscheiden, ob uns die Gottesmutter erscheint. Sie wird uns weiter erscheinen, das hat sie Uns versprochen."

Der Verfasser ist Redakteur der „Kleinen Zeitung" und war zwei Tage am Ort des Geschehens.

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