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Marschall-Plan für Nahost?

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Die „stars and stripes“ sind aus den Straßen von Kairo, Dschidda, Damaskus und Amman verschwunden, und im Nahen Osten beginnt wieder der politische Alltag. Aber Nixons Sieben-Tage-Spektakel war der Schlußstein der arabischen'Wiederannäherung an die westliche Führungsmacht, was sich förderlich auf den Fortgang der Genfer Friedensverhandlungen auswirken dürfte, der Empfang für den amerikanischen Präsidenten war trotz seines Überschwanges mit Sicherheit jedoch nicht der Beginn einer weltpolitischen Kehrtwendung der Araber. Ein Hinweis dafür ist die bevorstehende Reise einer ägyptischen Regierungsdelegation unter Außenminister Ismail Fachmi nach Moskau, der eine sowjetische Offerte zu engerer Zusammenarbeit mit dem Nilland vorausgegangen ist.

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Die „stars and stripes“ sind aus den Straßen von Kairo, Dschidda, Damaskus und Amman verschwunden, und im Nahen Osten beginnt wieder der politische Alltag. Aber Nixons Sieben-Tage-Spektakel war der Schlußstein der arabischen'Wiederannäherung an die westliche Führungsmacht, was sich förderlich auf den Fortgang der Genfer Friedensverhandlungen auswirken dürfte, der Empfang für den amerikanischen Präsidenten war trotz seines Überschwanges mit Sicherheit jedoch nicht der Beginn einer weltpolitischen Kehrtwendung der Araber. Ein Hinweis dafür ist die bevorstehende Reise einer ägyptischen Regierungsdelegation unter Außenminister Ismail Fachmi nach Moskau, der eine sowjetische Offerte zu engerer Zusammenarbeit mit dem Nilland vorausgegangen ist.

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Nixons Auftritte und die vorangegangenen Vermittlungserfolge seines Außenministers Henry Kissinger haben bewiesen, wie igroß das Gewicht der westlichen Supermacht in dieser Region ist, auch wenn diese Tatsache jahrelang durch ein politisches Hetzklima verdunkelt worden ist. Sobald Washington sich den Problemen des Vorderen Orients, die es jahrelang vernachlässigt hatte, mit Interesse zuwandte, erzielte es beachtliche Erfolge wie die Truppenentflechtungsverträge Israels mit Ägypten und Syrien und die Beilegung der Erdölkrise. Wer gefürchtet hatte, der Nahe Osten werde unaufhaltsam zur sowjetischen Ein-flußzone, sieht sich angenehm ent-räuscht. Moskau muß in diesem Gebiet auch künftig mit dem widerstreitenden Einfluß Washingtons rechnen.

Für die Araber, insbesondere für Ägypten, ist das ein unschätzbarer Vorteil. Es bedeutet die Rückkehr zu einer lukrativen Neutralitätspolitik, wie sie Gamal Abdel Nasser bereits in den fünfziger Jahren,einmal angestrebt hatte. Die Sowjetunion versorgte ihre arabischen Klientel zwar bis zuletzt mit Waffen, konnte sie aber auch im gleichen Maß unter Druck setzen, in dem die Vereinigten Staaten sich

hier disengagierten und allein auf Israel setzten. Mit der Rückkehr der USA in den arabischen Orient wächst automatisch auch wieder der Kurswert der Araberstaaten gegenüber Moskau.

Wie sich diese Rückkehr auf die bevorstehende entscheidende zweite Phase der Genfer Friedensverhandlungen auswirkt, dürfte weitgehend vom Umfang des politischen und finanziellen Engagements der USA im Orient abhängen, Ägypten, Syrien und Jordanien sind sicher nicht ungern bereit, sich Zugeständnisse durch bare Dollars abkaufen zu lassen. Das ist jedoch durchaus nicht gleichbedeutend mit Verrat an den bisherigen arabischen Zielen. Den Arabern ist heute klar, daß sie Israel mit Gewalt nicht mehr beseitigen können. Anderseits fehlen ihnen die Mittel zur Heilung der durch vier Kriege geschlagenen Wunden. Nach Lage der Dinge, können sie sie nur von Washington bekommen. Hier geht es also um ein durchaus legitimes politisches Geschäft.

Kenner der Verhältnisse umreißen die arabische Strategie nach dem Besuch Nixons so: Als umworbene Partner zwischen West und Ost wollen sie im Rahmen einer friedlichen Vernunftsregelung des Nahostkonfliktes für sich die größten Vorteile

herausholen, von Moskau den in ihren Augen noch immer unverzichtbaren militärischen Schutz-sohild, von Washington Druck auf Israel und zudem Wirtschafts- und Finanzhilfe für den eigenen Wiederaufbau.

Steine auf diesem glatten Pfad bleiben lediglich die Palästinenser. Darauf haben den amerikanischen Präsidenten alle seine arabischen Gastgeber hingewiesen, ohne daß sich Nixon klar zu diesem Problem geäußert hätte. Für die Araber ist ein Frieden mit Israel auch weiterhin nur denkbar, wenn das Palästinenserproblem befriedigend gelöst wird. Anderseits drängen sie die Palästinenser, ihre Ansprüche in Genf selbst zu vertreten, weil ihnen das multilaterale und bilaterale Abmachungen mit dem zionistischen Gegner von gestern zweifellos erleichtern würde. Doch bislang weiß niemand, wie eine „befriedigende Lösung“ der Palästinenserfrage aussehen könnte. Für einen eigenen Rumpfstaat sind nur die gemäßigten Guerrillagruppen, die arabischen Linksregimes und die Sowjetunion. In Jordanien würde man selbstredend eine Wiederherstellung des Zustands von 1967 bevorzugen, wenn auch unter für die Palästinenser günstigeren Bedingungen. Für diese Lösung ist man zweifellos auch in Israel. Um Bestand zu haben, müßte sie jedoch mit einer Auflösung der Flüchtlingslager und der Ansiedlung ihrer Insassen in Groß-Jordanien einhergehen. Das Königreich ist dazu aus eigener Kraft jedoch nicht in der Lage.

Israel, Ägypten und Syrien sind wohl, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven, gegen einen unabhängigen Staat Plästina. Israel müßte fürchten, daß in ihm früher oder später die auf die Fortsetzung des Kampfes eingeschworenen Extremisten Oberwasser bekommen. In Kairo und Damaskus scheint man allmählich einzusehen, daß ein revanchistisches Palästina die eigenen Friedens hoff nungen zwangsläufig zunichte machen würde.

Für die Sowjetunion wäre dieses Palästina der natürliche revolutionäre Hebel, mit der sie die bestehenden Gleichgewichte im Vorderen Orient doch noch aus den Angeln heben könnte. Doch Nixons Reise endete ohne Antwort auf die Frage nach der Haltung der USA. In Beirut und anderen arabischen Hauptstädten verspricht man sich nach den Vermittlungserfolgen Kissingers und dem Auftritt Nixons auch in dieser Frage eine gewisse Wunderwirkung von Amerika. Das ist nicht einmal so unlogisch gedacht. Der Nahe Osten brauchte jetzt so etwas wie einen „Marshall-Plan“ für die Palästinenser. Gelänge es, etwa nach einer international kontrollierten Abstimmung unter allen Palästinensern in den Flüchtlingslagern, den besetzten Gebieten, den arabischen Staaten und in Israel über ihre Zukunftswünsche, die Mittel für ihre Ansiedlung und wirtschaftliche Entwicklung aufzubringen, wäre es verhältnismäßig zweitrangig, wo und ob sie künftig in einem eigenen Staat leben würden. Dieses Problem sollte, so rät man den Amerikanern jetzt von arabischer Seite, in Washington mit Vorrang behandelt werden, solle die Kissinger-Nixon-Mission nicht doch nur ein Ablenkungsmanöver von der Watergate-Affäre bleiben.

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