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Marshall-Plan für Maghreb

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Zu einem zweiten Ruhrgebiet wollte einst der verstorbene Diktator Boumedienne Algerien machen. Milliarden gab er jedoch für Befreiungsorganisationen und Terroristen aus. Heute sehen sich die Algerier einem geeinten Europa gegenüber, das ihnen die Tür vor der Nase zuschlägt. Das hat zu Panik und Hysterie geführt.

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Zu einem zweiten Ruhrgebiet wollte einst der verstorbene Diktator Boumedienne Algerien machen. Milliarden gab er jedoch für Befreiungsorganisationen und Terroristen aus. Heute sehen sich die Algerier einem geeinten Europa gegenüber, das ihnen die Tür vor der Nase zuschlägt. Das hat zu Panik und Hysterie geführt.

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Nutznießer dieser Verzweiflung war bis vor kurzem die ultra-rechte FIS („Islamische Heilsfront”) mit ihrer Ideologie des Islamismus, einer explosiven Mischung aus Faschismus und Fundamentalismus. Die Reihen dieser Partei sind binnen weniger Jahre gewaltig angeschwollen. Im Oktober 1988 hatten Demonstrationen von Schulkindern zu allgemeinen Unruhen geführt, in deren Verlauf mehr als 500 Personen den Tod fanden. Dabei handelte es sich um eine spontane Volkserhebung. Die Islamisten wurden davon überrascht und sprangen erst auf den Wagen, als dieser schon voll im Rollen war. Im Gegensatz zu Ägypten hat nämlich der Islamismus in Algerien kaum Tradition. Noch 1988 waren die Islamisten nicht stark genug, aus jenen tragischen Ereignissen Kapital zu schlagen. Bei den Gemeindewahlen von 1990 trugen sie dann bereits einen Erdrutschsieg davon.

Erwiesenermaßen war das nicht eine Frage tiefer Überzeugung. In zahllosen Interviews haben Algerier aus allen Volksschichten immer wieder betont, daß sie die Ansichten der Islamisten kaum teilen. Ihnen ging es vornehmlich darum, den Einparteienstaat der seit Erringung der Unabhängigkeit im Jahre 1962 an der Macht befindlichen FLN („Nationale Befreiungsfront”) in den Grundfesten zu erschüttern. Vor allem wollten sie sich an den korrupten Beamten rächen, die eine bewußt nach sowjetischem Muster ausgerichtete Nomenklatura darstellen.

Eine selbst gestellte Falle

Wäre es zur Revolution gekommen, dann bestünde vielleicht wirklich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Algerien und Iran. Schließlich hatten viele Iraner aus genau denselben Gründen nach Khomeini gerufen. Ohne den Islamismus auch nur einen Moment ernst zu nehmen, sahen sie daran allein ein Mittel, den Schah zu vertreiben, sozusagen eine Stinkbombe.

In Algerien sind nun die eigentlichen Islamisten augenscheinlich in eine selbst gestellte Falle geraten. Zur Zeit des wirtschaftlichen Zusammenbruchs durften sie die Gemeindeverwaltungen übernehmen, und brachten sich damit prompt in Verruf. Unter einem fähigen Ministerpräsidenten gelang es der FLN-Zentralregierung, die Wirtschaftslage wieder ein wenig in den Griff zu bekommen, ohne daß aber die FIS-Kader daraus Nutzen für ihre Partei ziehen konnten. Ihnen fehlt es an Reformvorstellungen, so wie sie überhaupt selten konkret sind, außer wenn es um die Beschneidung der Rechte der Frauen geht. Ihre Energien vergeudeten sie auf Fragen der Riten und sozio-ökonomisch wenig relevante religiöse Vorschriften. Innerhalb kürzester Zeit machten sie sich deshalb bei der Mehrheit der Algerier unbeliebt. Das Regierungslager erhielt wieder Zulauf, zumal es Präsident Benjedid gelang, viele seiner Landsleute von der Ernsthaftigkeit seiner Reformen zu überzeugen.

Kein „Islamischer Staat”

Allgemeine Parlamentswahlen waren erst für Juni angesetzt und wurden dann auf Juli verschoben. Der noch immer drohende Sieg der Islamisten ließ die übrigen Teile des politischen Spektrums zusammenrücken. Auf der linken Seite schlössen sich die Feinde von einst mit der FLN kurz, deren Entfernung aus der Macht doch vor noch einem Jahr ihr oberstes Ziel war.

Bei den Islamisten war das Gegenteil der Fall. Die FIS ist ja keineswegs homogen. Da koexistieren, mehr schlecht als recht, moderat fundamentalistische „Moslem Demokraten” mit dem proiranisch gestimmten revolutionären Flügel und einer Anzahl halbterroristischer oder auch ganz terroristischer Gruppen aus der Radikalenszene. Als der Sieg näher zu rücken schien, brachen die Gegensätze in aller Deutlichkeit auf; denn nun wollte natürlich jede Formierung die Oberhand gewinnen.

Der Golfkrieg war eine schwere Belastung für die Islamisten. Das Fußvolk stand auf seiten des Irak, da blieb der Parteiführung nichts anderes übrig, als Saddam den Treueschwur zu leisten. FIS-Chef Abbasi Madani ging auf Vermittlerreise, erschien dabei aber als Propagandist des irakischen Diktators.

Finanziell ist aber die Partei völlig von Riad abhängig. Ohne massive saudi-arabische Zuwendungen wäre die FIS wahrscheinlich nie zu einer politischen Kraft geworden. Nun verdarb sie es sich mit den Gönnern. Plötzlich mußte das verwöhnte Kind für sich selbst sorgen. Es war, als ginge bei einem Autorennen dem Spitzenreiter kurz vor dem Ziel das Benzin aus.

Die FIS-Führung war sich der lauernden Gefahren nur zu bewußt und versuchte aufzufangen, indem sie Forderungen an die Regierung stellte, die von jener unmöglich erfüllt werden konnten.

Dabei stellte sich heraus, daß Algerien nicht Albanien ist. Die FLN ist nicht etwa ein Leichnam wie die meisten der kommunistischen Parteien in Osteuropa. Vor allem aber beträgt der Anteil der nicht-arabischen Bevölkerung wenigstens 30 Prozent. Mit anderen Worten, der Prozentsatz der zumeist anti-islamistischen Berber in Algerien liegt höher als der der Kurden im Irak. Das ist einer der Gründe weshalb die Armee der Regierung nicht davongelaufen ist. FIS-Chef Abbasi Madani beging einen groben Fehler als er damit drohte, der Armee mit Bürgerkrieg zu begegnen.

Die Möglichkeit eines Bürgerkriegs ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Schließlich war 1980 die Erhebung der für kulturelle Autonomie kämpfenden Berber in Tizi Ou-zou und ihre brutale Niederschlagung kaum weniger als ein Bürgerkrieg. Auf jeden Fall besteht wenig Aussicht darauf, daß in Algerien doch noch ein„Islamischer Staat” ausgerufen wird.

Angesichts der Trostlosigkeit in ihrem Land müssen die Algerier sich Luft machen, Ideologie ist dabei nur auswechselbares Beiwerk. Keineswegs ist der Islamismus in Algerien eine Eintagsfliege, aber im Volk verankert ist er erst recht nicht.

Ob so oder so, in der nahen Zukunft besteht wenig Aussicht auf Stabilität. Ohne wirksame Unterstützung aus dem Ausland droht Algerien weiter ins Chaos abzusinken. Es ist bisweilen auch von einem Marshall-Plan für die Maghreb-Staaten geredet worden, so wie ja sehr viel von einem Marshall-Plan für Osteuropa geredet wird. Wieviele Marshalls soll man denn auftreiben? Vor allem aber: Wo besteht der politische Wille zu solch grandiosen Plänen?

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