7065976-1992_04_12.jpg
Digital In Arbeit

Martyrium als Selbstinszenierung?

19451960198020002020

Er ist in Deutschland inzwischen unbestritten die Symbolfigur des Leidens an der hierarchisch verfaßten katholischen Kirche. Darin sind sich Gegner und Anhänger einig. Eugen Drewermann, Priester des Erzbistums Paderborn, ist den einen ein Prophet, andere sehen in ihm eine Gefahr für das Christentum.

19451960198020002020

Er ist in Deutschland inzwischen unbestritten die Symbolfigur des Leidens an der hierarchisch verfaßten katholischen Kirche. Darin sind sich Gegner und Anhänger einig. Eugen Drewermann, Priester des Erzbistums Paderborn, ist den einen ein Prophet, andere sehen in ihm eine Gefahr für das Christentum.

Werbung
Werbung
Werbung

An Eugen Drewermann, dem Seelsorger, der sich auch gerne Therapeut nennt, scheiden sich die Geister. Er beherrscht die Sprache derjenigen, die mit der Sprache der Verlautbarungen nichts mehr anzufangen wissen, und versteht es, in den Medien präsent zu sein. Der Streit mit seinem Oberhirten, dem PaderbomerBischof Johannes Joachim Degenhardt, hat ihn zum Medienstar werden lassen. Ist er der längst überfällige Reformator, oder ein Häretiker? Er selber sieht sich als jemand, der „nach einer langen Zeit der Gegenreformation und des Antimodernismus nach neuen Antworten" sucht.

Die Entwicklung der Konfrontation zwischen ihm und den Amtsträgern der katholischen Kirche zog sich über viele Jahre. Lange zeigte sich der Paderborner Bischof geduldig mit seinem Kleriker, der als junger Priester im westfälischen Kurort Bad Driburg vor den Sorgen der Menschen, vor allem ihren Ängsten „kapitulierte" und fortan versuchte, sein theologisches Wissen durch psychoanalytische Studien zu ergänzen und aufzuhellen. Mehr und mehr wurde Drewermann zu einem Seelsorger, der in der Tiefenpsychologie Antworten auf die Fragen der Menschen suchte.

Der Bruch, zumindest eine Kollision mit seinem Bischof war vorprogrammiert, als er 1989 in einem 900 Seiten starken Buch ein Psychogramm des Klerikers zeichnete, seine Mitbrüder im Priesteramt als Psychokrüp-pel und die katholische Kirche als Terrorsystem diffamierte. Immer deutlicher schälten sich seine Überzeugungen zu Jungfrauengeburt, Zölibat und Gottessohnschaft Christi heraus. Es kam zu langen Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Priester. Ein langes Gespräch, das inzwischen in Buchform (Dokumen-

tation zur jüngsten Entwicklung um Dr. Eugen Drewermann, Bonifatius Verlag, Paderborn 1991) veröffentlicht wurde, schien Annäherungen möglich zu machen. Im Sommer 1990 wuchs die Hoffnung, eine endgültige Kollision zwischen dem Kirchenkritiker und seiner Kirche könne verhindert werden. Doch es kam anders.

Sein Bischof, der auf weiteren Klärungen in bestimmten Glaubensfragen bestand, sah in Drewermanns Ansichten zunehmend deutliche Unvereinbarkeiten mit der Lehre der Kirche. So entzog er dem an der Theologischen Fakultät der örtlichen Hochschule lehrenden Privatdozenten im Oktober 1991 die Erlaubnis, im Namen der Kirche Dogmatik zu leh-

ren. Gleichzeitig hoffte der Bischof, daß „Dr. Drewermann auch von seinem spezifischen Ansatz her zu Ergebnissen kommt, die für die Gläubigen erkennbar mit der Glaubensüberzeugung der Gesamtkirche in Übereinstimmung stehen."

Daß der Bischof ernsthaft hoffte, Drewermann werde die Grenzen seiner Mission erkennen, zeigte eine Formulierung, mit der Degenhardt sich freilich zugleich weitere Disziplinie-rungsmaßnahmen vorbehielt: „Wenn ich nach Abwägen aller Umstände nicht die Ausübung der priesterlichen Weihegewalt verbiete, erwarte ich gleichwohl von ihm und hoffe, daß er bei seinem priesterlichen Wirken, besonders im Dienst am Wort, das Geheimnis Christi vollständig und getreu verkündet und dabei im Sinne seines Weiheversprechens die Gemeinschaft mit der Kirche und mit mir als seinem Bischof bereitwilliger und deutlicher bekundet."

Drewermann tat das genaue Gegenteil des vom Bischof Gewünschten. In einem vielbeachteten „Spiegel"-Inter-view setzte er seine Attacken gegen die Kirche ausgerechnet zu Weihnachten 1991 fort. Den Journalisten erklärte er in dem Gespräch, Jesus habe keine Kirche gegründet, leugnete die

Einsetzung der Sakramente durch den Kirchenstifter und beschimpfte die Amtsträger in der Kirche. Nicht zuletzt deshalb entzog Degenhardt seinem Priester jetzt die Erlaubnis, im Namen der Kirche das Wort Gottes während der Eucharistiefeier auszulegen, also das Privileg der Predigt. Gleichzeitig entpflichtete Degenhardt den Priester vom Amt des Subsidiars in der Paderborner Pfarrei St. Georg.

Der Bischof hat in den vergangenen Jahren, in denen es zahlreiche Gespräche und Briefwechsel zwischen den Kontrahenten gab, immer wieder betont, er wolle weder die wissenschaftliche Diskussion einschränken oder bestimmte Methoden ablehnen. Ausdrücklich hieß und heißt es, daß die Einbeziehung von Tiefenpsy-

chologie und Psychoanalyse in die Theologie fruchtbar sein könne. Die Geduld des Oberhirten, zu dessen Auftrag die Sorge um die Lehre zählt, ließ aber nach, als Drewermann mehr und mehr all jene Wahrheiten zu leugnen begann, die zu den Fundamenten der katholischen Lehre gehören.

Es ist nicht gesagt, daß der Entzug der Predigtvollmacht der letzte Akt in diesem Trauerstück bleiben wird. Drewermann, den sein Sendungsbewußtsein längst zu einem Prediger in ausschließlich eigener Sache machte, ließ vorigen Freitag auf einer Pressekonferenz in Bonn nichts von schadensbegrenzender Gesprächsbereitschaft erkennen. Im Gegenteil. Seine Kritik an der Kirche wird schärfer. Er vergleicht sie inzwischen gar mit der menschen verachtenden Unrechtsmaschinerie des Stasi. Selbst dieser, so schrieb er am 10. Jänner seinem Bischof, „hatte nicht so viele Möglichkeiten, wie der Absolutismus der katholischen Kirche heute ihren Oberhirten läßt". Eine Sprache, die den Abbruch des Dialogs will.

Was vielen in der Kirche Ärger bereitet: Der Rebell kann sich verkaufen, wird hofiert von elektronischen Medien. Bei seinen Auftritten verkündet er mit gleichbleibend leidendem Gesichtsausdruck und meditativ sanftem Tonfall seine Lehre, mit dem Anspruch des Dozenten, der im Stil von „Ich aber sage euch" Macht suggeriert, umgeben von der Aura der Unfehlbarkeit. All das ändert aber nichts an dem Verdienst eines Theologen, der wie kaum ein anderer darauf aufmerksam gemacht hat, daß viele verloren gegangene Schätze für das Christentum wieder gehoben werden müssen. Die Fragen, die er formuliert, berühren den Kern christlicher Glaubwürdigkeit. Ihm geht es um die Bekämpfung der Angst, um ein Bild von Kirche, das die Menschen einlädt statt sie abstößt - zum Beispiel durcn zu viele und harte Vorschriften und starr gewordene Strukturen.

Um so bedauerlicher ist es, daß Eugen Drewprmann, dessen Verletzt-heit aus früheren Zeiten ihn offenbar immer neu „dynamisiert", in letzter Zeit der Gefahr erlegen zu sein scheint, aus der Rolle des kritischen Propheten in die Haut des Ideologen zu gleiten, der nur noch seine von ihm ausgedachte Wahrheit kennt und gelten läßt. In seiner Denkfestung mußte die Kirche geradezu zum großen Feind werden, von dem man sich bedroht fühlen muß. Weil in beinahe jedem Satz, den er sagt, ein Moment der Identifikation für den Hörer und Leser vorhanden ist, kann es seinen Anhängern passieren, die vielen Unterstellungen und Halbwahrheiten, die er ebenfalls gut formulieren kann, nicht als solche zu erkennen. Da wird dann schnell übersehen, daß - bei aller berechtigten Kritik an manchen Vorgängen in der Kirche - diese eben nicht so abgrundtief böse ist, wie das simple Denkschema Drewermanns „Hier ich, der Seelsorger, dem es um die Menschen geht - und dort die Kirchejene Institution, der es nur um die Macht geht" glauben machen will.

Drewermann, der sämtliche Kern-

aussagen des Glaubens - nicht nur des katholischen - in tiefenpsychologische Vorstellungen aufzulösen gewillt ist, hat sich in seine eigene Über-hebl ichkeit verbissen. Zielsicher steuert er auch nach dem Entzug der Predigterlaubnis in jenem Drama, in dem augenscheinlich nur er als selbsternannter Leidensapostel Regie fuhrt, auf die nächste Etappe seines Martyriums zu. Auffällig häufig spricht er von der möglichen Suspendierung als Priester und gar der Exkommunikation. Will er seine eigene Sekte? Ist seine eigene Psyche so sehr bedroht von der selbstinszenierten Dynamik?

In einem Interview mit dem Augsburger Magazin „Weltbild" machte Drewermann vor einem halben Jahr Andeutungen, die er jetzt umzusetzen scheint: „Die wohl größte Angst, die mir verblieben ist, besteht darin, beim besten Wollen Menschen zu schädigen oder völlig in die Irre zu gehen." Aber auch wenn in diesem konkreten „Streit" nichts mehr zu schlichten ist, und auch wenn der Bote manch notwendiger Fragen in die Irre gegangen ist: Die Fragen bleiben eine Herausforderung für eine Kirche, deren Gesicht nicht menschenfreundlich genug sein kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung